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20. September 2022
Warum eine schärfere Versicherungspflicht der GKV schadet

Warum eine schärfere Versicherungspflicht der GKV schadet

Der Gesetzlichen Krankenversicherung droht angesichts der alternden Bevölkerung dauerhaft eine finanzielle Schieflage. Doch woher sollen Finanzmittel kommen? Eine Lösung wäre eine Anhebung der Beitragsbemessungs- und Versicherungspflichtgrenze. Doch davor warnt der PKV-Verband.

Die finanzielle Kassenlage der Gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV) ist schlecht. Gesetze der Großen Koalition unter dem damaligen Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) wie der Neupatientenbonus oder die bessere Bezahlung von Pflegekräften kosten eine Menge Geld. Gleichzeitig führte die Corona-Pandemie zu Beitragsmindereinnahmen infolge von Kurzarbeit, Arbeitslosigkeit und Lockdown. Summa summarum kalkuliert der aktuelle Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) mit einem Kassendefizit im nächsten Jahr in Höhe von rund 17 Mrd. Euro. Andere Schätzungen gehen sogar von bis zu 25 Mrd. Euro aus – eine erste Beitragserhöhung für GKV-Versicherte ist nun die Folge (AssCompact berichtete).

Anhebung der Beitragsbemessungs- und Versicherungspflichtgrenze?

Allerdings: Die strukturellen Probleme in der GKV werden nicht immer nur durch Beitragserhöhungen oder großzügigere Bundeszuschüsse abzufedern sein. Auf die Folgen des demografischen Wandels und die rasant steigenden Leistungsausgaben geben diese beiden Maßnahmen nämlich keine Antwort. So steht eine nachhaltige Finanzreform weiter auf der politischen Agenda. Eine immer häufiger anzutreffende Forderung ist in dieser Debatte die Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze (BBG) und der Versicherungspflichtgrenze (VPG) auf das Niveau der Rentenversicherung. Vor diesem Schritt wiederum warnt nun der Verband der Privaten Krankenversicherung (PKV-Verband) eindringlich. Denn: „Was die Befürworter als ‚sozial gerechte Belastung starker Schultern‘ beschreiben, hätte gerade für die Mittelschicht und für die Arbeitsplätze in Deutschland massive Folgen“, schreibt der PKV-Verband in einer aktuellen Stellungnahme, die AssCompact vorliegt.

BBG: Zusätzliche Belastungen für Versicherte und Wirtschaftsstandort

Derzeit beträgt die Beitragsbemessungsgrenze in der GKV monatlich 4.837,50 Euro und soll im Jahr 2023 regulär auf 4.987,50 Euro steigen (AssCompact berichtete). Eine Anhebung auf das Niveau der Rentenversicherung (aktuell: monatlich 7.050 Euro) würde für die Betroffenen faktisch auf eine Beitragserhöhung um 46% hinauslaufen, rechnen die PKV-Experten nun vor. Der Beitrag für die Kranken- und Pflegekasse würde für Versicherte mit einem Einkommen in Höhe der Beitragsbemessungsgrenze von monatlich 933 Euro auf 1.361 Euro steigen – eine enorme Mehrbelastung von 428 Euro im Monat.

Und auch die Folgen für den Wirtschaftsstandort Deutschland wären groß, heißt es vom PKV-Verband. Der Faktor Arbeit würde nämlich gerade im Bereich hochqualifizierter Angestellter, z. B. in Forschungs- und Technologie-Unternehmen zusätzlich belastet. „Die Wettbewerbsfähigkeit der Betriebe hierzulande würde unter der Explosion der Lohnzusatzkosten für die Arbeitgeber leiden“, erwartet daher der PKV-Verband.

Anhebung der VPG würde Wahlfreiheit endgültig beseitigen

Gravierende Folgen für die GKV hätte der PKV-Stellungnahme zufolge auch die Anhebung der VPG auf das Niveau der Rentenversicherung. Diese VPG legt fest, bis zu welchem Einkommen sich Angestellte in der GKV versichern müssen. Mittlerweile liegt die VPG bei 64.350 Euro Bruttoentgelt im Jahr – und damit das 1,7-Fache des Durchschnittseinkommens (2022: 38.901 Euro). Eine Anhebung auf 84.600 Euro würde also mehr als das Doppelte des Durchschnittseinkommens bedeuten.

Diese außerordentliche Anhebung der VPG würde den Markt im Bereich der Arbeitnehmer für die PKV faktisch schließen, schätzt man beim PKV-Verband. Denn nur die wenigsten Angestellten zwischen 30 und 40 Jahren erreichen eine entsprechende Einkommenshöhe. Für Angestellte gäbe es dann praktisch keine Möglichkeit mehr, sich im System der PKV zu versichern. „Wahlfreiheit und Wettbewerb zwischen GKV und PKV um Angestellte würden zu Gunsten einer ‚Bürgerversicherung für Angestellte‘ beseitigt“, schreibt der PKV-Verband. Den Schaden hätte dann aber das gesamte Gesundheitssystem. Denn der Wettbewerb zwischen GKV und PKV trägt maßgeblich zur hohen Qualität der Gesundheitsversorgung in Deutschland bei, erklärt der PKV-Verband.

Anhebung verschärft außerdem die GKV-Finanzierungsprobleme

Angesichts des demografischen Wandels würde die Anhebung der VPG jedoch die Finanzierungsprobleme der GKV sogar noch verschärfen, meint man beim PKV-Verband. Denn mittelfristig würden mit der Alterung des erweiterten Kreises von Versicherungspflichtigen die Leistungsausgaben stark steigen. Allerdings gebe es in der GKV keine Vorsorge zum Beispiel in Form von Altersrückstellungen, sodass diese altersbedingt steigenden Kosten vor allem zulasten der künftigen Beitrags- und Steuerzahler gingen.

PKV: Mehr Wahlfreiheiten an der Systemgrenze ermöglichen

Doch wie lautet der konstruktive Gegenvorschlag seitens des PKV-Verbands? „Im langfristigen finanziellen Eigeninteresse der GKV wäre es besser, mehr Wahlfreiheiten an der Systemgrenze zu ermöglichen anstatt weniger“, heißt es dazu knapp. Denn jeder Wechsler von der GKV in die PKV werde bis zum Zeitpunkt des Wechsels mehr in die GKV eingezahlt haben, als er bis dahin an Leistungen in Anspruch genommen habe. In diesem Fall würden die Versicherten ihre ausgabenintensiveren Jahre der zweiten Lebenshälfte in der PKV verbringen, wo sie eine entsprechende finanzielle Vorsorge mit den PKV-typischen Alterungsrückstellungen aufbauen würden.

Und die Digitalisierung könnte ebenfalls eine deutliche finanzielle Erleichterung für das GKV-System versprechen: Allein 42 Mrd. Euro könnten in der GKV jährlich eingespart werden, wenn Kliniken und Arztpraxen etwa auf E-Rezepte und elektronische Patientenakten umstellen würden. Das errechnete erst kürzlich die Unternehmensberatung McKinsey. (as)

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