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29. Januar 2020
Warum stecken wir in einem nicht funktionierenden Modell?

Warum stecken wir in einem nicht funktionierenden Modell?

Stefan Kemmler ist Honorar-Finanzanlagenberater sowie Geschäftsführer von RHEINPLAN in Köln. Der aus den Medien bekannte Spezialist für Vermögensverwaltung wagt im ersten Teil des Interviews mit AssCompact den thematischen Bogen von Mr. Dax bis zum norwegischen Staatsfonds.

Herr Kemmler, momentan verkaufen sich die Bücher am besten, die uns morgen den nächsten Finanzmarkt-Crash prophezeien. Empfehlen Sie Ihren Kunden dennoch, jetzt in Wertpapiere zu investieren?

Negative Schlagzeilen verkaufen sich immer besser als positive. Das liegt in der Natur bzw. Psychologie des Menschen. Das machen sich die Crash-Propheten à la Dirk Müller natürlich für ihre Eigenwerbung zunutze. Mr. Dax prophezeit einen Crash – seit Jahren. Die in seinem Aktienfonds darauf ausgerichtete Anlagestrategie erzielt dementsprechend schlechte Ergebnisse. Nachweislich liegt er hinter dem selbst gewählten Index. Damit haben seine Anleger letztlich viel Geld bezahlt, da sie hohe Renditen verpasst haben. Irgendwann kommt bestimmt wieder ein Crash. Bezogen auf die Crash-Propheten kann man nur sagen: „Auch eine kaputte Uhr geht zweimal am Tag richtig.“ Um Ihre Frage zu beantworten: Ja, ich empfehle meinen Anlegern, in Wertpapiere zu investieren. Man muss schauen: Was kostet es den Anleger, wenn der Crash eben nicht kommt, und was, wenn doch. Es ist denkbar ungünstig, sich nur auf ein Szenario vorzubereiten.

Sie empfehlen in zahlreichen Artikeln immer wieder ETFs gegenüber herkömmlichen Investmentfonds zu bevorzugen. Woher kommt Ihre Wertschätzung gegenüber dieser Anlagemöglichkeit?

Es ist mittlerweile kein Geheimnis mehr, dass der Großteil der herkömmlichen Fonds langfristig nicht besser als der Markt abschneidet – im Gegenteil. Warum soll ein Anleger dann die Risiken des Stock Pickings und Market Timings bei hohen Gebühren eingehen? Das ergibt kaufmännisch überhaupt keinen Sinn. Der Gewinn liegt im Einkauf. Renditen kann man eben nicht vorhersehen, Kosten schon. Und wenn man diese gering hält, ist der Ertrag langfristig logischerweise höher. Hinzu kommt die Kontrolle des Risikos. Bei Mischfonds hat man diese nicht, was aber wichtig für eine individuelle Strategie ist. Mit ETFs können Anleger kostengünstig, planbar und transparent investieren. Das ist der Grund, warum ich ETFs in meinen Anlagestrategien einsetze bzw. empfehle.

Gibt es auch Kunden, denen Sie empfehlen, sich ein eigenes Aktienportfolio zusammenzustellen oder raten Sie Laien grundsätzlich davon ab?

Meine Zielgruppe (50plus) sucht ein solides und rentables Engagement mit moderatem Risiko, um das sie sich selbst nicht kümmern muss. Daher steht ein eigenes Aktienportfolio überhaupt nicht zur Diskussion. Die wenigen, die vor der Beratung ein Einzelaktienportfolio gehalten haben, äußerten überwiegend selbst den Wunsch, sich davon trennen zu wollen. Die professionelle Sicherheit fehlt, und das erzeugt Stress.

Nachhaltigkeit steht momentan auch bei Finanzprodukten hoch im Kurs. Halten Sie das Label ESG („Environment Social Governance“) nur für einen Trend, der wieder vorübergeht, oder vollzieht sich hier gerade ein bedeutungsvoller Wandel?

Insbesondere die Finanzindustrie ist dafür bekannt, dass immer wieder eine „Sau durchs Dorf getrieben wird“. Vor wenigen Jahren waren es Robo-Advisor, jetzt ist es eben Nachhaltigkeit. In Zeiten von „Fridays for Future“ perfekt. Sich primär auf bestimmte Produkte zu fokussieren, ist in meinen Augen der falsche Ansatz. Fakt ist: Der Deutsche hat keine Ahnung von Geldanlage. Daher ist es wichtig, Anlegern zuallererst eine passende Planung an die Hand zu geben. Erst wenn diese steht, folgt die Auswahl der geeigneten Produkte. Wenn es nach eingehender Beratung unbedingt ESG sein muss, warum nicht. Dann muss es aber auch zum eigenen Lebensstil passen. Wenn man, wie Johann König in seinem Programm zu sagen pflegt, mit seinem 3.000-PS-Geländewagen zum Bio-Supermarkt um die Ecke fährt und in Plastik abgepackte Lebensmittel kauft, braucht man auch nicht grün zu investieren. Persönlich finde ich es ohnehin illusorisch, mit einer Geldanlage die Welt besser machen zu können. Es bleibt abzuwarten, wie sich der Trend weiterentwickelt.

Geht es Ihren Kunden nur um eine möglichst hohe Rendite oder wird auch hin und wieder der Wunsch nach einer nachhaltigen Anlage an Sie herangetragen?

Es kommt bei mir selten vor, dass konkret danach gefragt wird. Ich vertrete die Philosophie, so breit wie möglich zu investieren und wissenschaftliche Erkenntnisse zu integrieren. Und das geht aktuell mit nachhaltigen ETFs nicht. Aber: Wenn der Kunde es wünscht, bekommt er es natürlich.

Sie empfehlen Ihren Lesern und Kunden, nicht alles verfügbare Geld zu investieren, sondern sich eine Barreserve in Form eines Tagesgeldkontos oder etwas Ähnlichem vorzuhalten. Wie hoch sollte so eine Barreserve Ihrer Meinung nach sein?

Das hängt ganz stark von der persönlichen Situation ab. In der Regel sollte diese zwischen drei und zwölf Monatsausgaben liegen. Im Rahmen einer überwiegend wertpapierbasierten Ruhestandsplanung kann diese auch bis zu 36 Monatsausgaben betragen. Dies ist wichtig, um in negativen Jahren keine Verluste zu realisieren.

Wenn Sie einen Tag Bundesfinanzminister sein dürften, welche Änderungen würden Sie vornehmen, um den Bürgern zu einer sicheren Altersvorsorge zu verhelfen?

Ich glaube nicht, dass man alleine mit dieser Position weitreichende Änderungen erzielen könnte. Jedoch würde ich als Erstes die Erbschaft- und Schenkungsteuer streichen. Es ist ein Unding, dass bereits versteuertes Geld erneut versteuert werden muss. So ließe sich mehr Vermögen über Generationen weitergeben, das für die Alterssicherung wichtig ist. Im Allgemeinen sind nicht nur Steuern das Problem, sondern die gesamte Systematik der gesetzlichen Rentenversicherung, der staatlich geförderten und privaten Altersvorsorge. Ich frage mich, warum zum Beispiel Norwegen einen zeitgemäßen Staatsfonds unterhält und wir in einem nicht mehr funktionierenden Modell stecken.

Bild: © jotily – stock.adobe.com

Den zweiten Teil des Interviews lesen Sie nächste Woche auf www.asscompact.de. Weitere Informationen zu Stefan Kemmler und seinem Unternehmen sind unter www.rheinplan.finance zu finden.

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Ein Artikel von
Stefan Kemmler