Interview mit Dr. Marlene Waske, Senior Ethik-Analystin bei Arete Ethik Invest
Frau Dr. Waske, Ihr Unternehmen setzt konsequent auf ethisches und nachhaltiges Investieren. Wie definieren Sie „ethisch vertretbare“ oder „ethisch gute“ Investments?
Arete Ethik Invest vergibt anhand einer eigens entwickelten Bewertung möglicher Investments die Prädikate „nicht vertretbar“, „vertretbar“, „positiv“ und „hochwertig“. Je mehr Punkte ein Unternehmen auf einer Skala von 0 bis 100 erreicht, desto höherwertiger ist das Prädikat. Ab 50 Punkten ist ein Titel ethisch vertretbar und damit investierbar. Man muss sich jedoch im Klaren darüber sein, dass eine Quantifizierung von Ethik und Nachhaltigkeit immer nur eine Annäherung an die Wirklichkeit sein kann. Das merkt man schon, wenn man sich eine Definition von Nachhaltigkeit im Brundtlandbericht (1987) ansieht: eine (wirtschaftliche) „Entwicklung, die die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt, ohne die Fähigkeit künftiger Generationen zu gefährden, ihre eigenen Bedürfnisse zu decken“.
Arete orientiert sich hierbei an der integrativen Wirtschaftsethik nach Prof. em. Peter Ulrich, deren zentraler Bestandteil die Kritik am Ökonomismus ist – der beinahe vollständigen Durchdringung der Arbeits- und Lebenswelt durch ökonomische Rationalität, der Erhebung der Logik des Marktes zum gesellschaftlichen Allround-Prinzip. Unternehmen, die neben der ökonomischen Zielsetzung auch klar ihre Verantwortung als Teil der Gesellschaft wahrnehmen, die ihre unternehmerische Pflicht nicht in der Gewinnmaximierung sehen, sondern im Erzielen eines optimalen Gewinns unter der Berücksichtigung der Würde des Lebens – solche Unternehmen würden wir tendenziell besser bewerten als solche, die die ökonomische Dimension des unternehmerischen Handelns allem anderen überordnen.
Wie läuft hier die Bewertung ab? Auf welche Daten stützen sich die Analysen des Ethik-Komitees?
Die erste Analyse erstellt das Ethik-Research, also meine Kolleg*innen und ich. Ich persönlich fange mit dem an, was das Unternehmen selbst zur Verfügung stellt: Geschäfts- und Nachhaltigkeitsberichte, Proxy Reports, Richtlinien, usw. Allein anhand der Fülle und Ausführlichkeit dieser Berichte kann man schon einen guten ersten Eindruck gewinnen. Anschließend nutzen wir auch Daten eines externen Datenanbieters, Kontroversenmonitoring und letztlich auch eine Recherche zugänglicher Quellen im Internet. Entscheidend ist nicht nur das, was das Unternehmen berichtet, sondern auch das, worüber es wenig oder gar nichts schreibt. Wenn dieser Entwurf steht, stellen wir die Analyse dem Ethik-Komitee vor, das jeweils nochmals über ganz eigene starke xpertise verfügt. Es ist tatsächlich ein Ringen um jeden Punkt in den Einzelkriterien und erfordert nicht selten auch ausführliche Diskussionen der Ausschlusskriterien, denn in den seltensten Fällen ist es ein einfaches Ja/Nein, Gut/Schlecht, Nachhaltig oder nicht.
Welche Umweltthemen stehen bei Arete besonders im Fokus und wie kann man diese in konkrete Investitionsentscheidungen übersetzen?
Umweltthemen betrachten wir aus der Perspektive des Schutzes natürlicher Ressourcen. Was tut ein Unternehmen, um möglichst ressourcenschonend seinem Geschäftsmodell nachzugehen? Wie geht es mit Treibhausgasemissionen um? Werden diese ausschließlich kompensiert oder gibt es eine Strategie zur Vermeidung? Sind Bienenkästen auf dem Dach wirklich ein ambitioniertes Unterfangen zum Schutz der Biodiversität? Wie fortgeschritten ist die Strategie zur zirkulären Wirtschaft? Und passt das alles zum Selbstverständnis des Unternehmens? Statt einzelne Umweltthemen exklusiv zu fokussieren, betrachten wir das Unternehmen ganzheitlich. Denn der beste Plan zur Verminderung von Treibhausgasen hat eine schmale Wirkung, wenn Mikroplastik das viel drängendere Thema wäre.
Woher weiß bei Ihnen der Kunde, ob seine nachhaltigen Investments eine tatsächliche Wirkung erzielen?
Nachhaltigkeit ist keine Jukebox: Man wirft nicht irgendwo ein paar Münzen ein und dann wechselt der Soundtrack. Die Probleme, mit denen wir uns als Gesellschaft so dringend auseinandersetzen müssen, sind teilweise Jahrhunderte alt – mit Kolumbus’ Reise zum amerikanischen Kontinent 1499 begann die Einschleppung invasiver Arten, die die Biodiversität gefährden; die ersten Studien zum Klimawandel und seinen Folgen erschienen bereits vor der Wende zum 20. Jahrhundert.
Auf der anderen Seite beginnen wir gerade erst zu verstehen, was Mikroplastik eigentlich in unserem Körper anrichtet und wie die verschiedenen Themen zusammenhängen. Ich sehe Versprechen wie „heute hier investieren und morgen da ein Problem lösen“ sehr skeptisch. Wir investieren wertebasiert, das heißt langfristig. Wer das Ethik-Komitee erlebt hat – und das kann jeder tun –, der weiß, dass wir es uns schwer machen zu beurteilen, ob das zu bewertende Unternehmen aus ethischer Sicht etwas zu der Gesellschaft beiträgt, in der wir als Menschheit leben wollen.
Aus aktuellem Anlass: Wie hält es Arete mit der Rüstungsindustrie – eine auch bei der Nachhaltigkeitsfrage kontroverse Branche?
Wir schließen Investitionen in Waffen bzw. Rüstung aus, aber Sie haben natürlich recht: Man kann auch aus ethischer Sicht kontrovers darüber diskutieren. Investitionen in Rüstung als Beitrag zur Verteidigung souveräner Staaten und der Demokratie kann man tatsächlich als positiv betrachten. Dennoch kann man nie sicherstellen, wo Waffen letztendlich landen – nehmen wir mal an, all die Waffen, die zur Verteidigung angeschafft werden, werden irgendwann nicht mehr gebraucht oder sind technisch überholt. Es gibt keinen geschlossenen Kreislauf, in dem sie dann rezykliert und zu modernen Waffen wieder zusammengesetzt werden. Sie werden in aller Regel verkauft – und wo sie schlussendlich landen, und wer wen damit angreift, lässt sich nicht kontrollieren.
Wie kritisch sehen Sie Trumps zweite Amtszeit und seine Anti-Nachhaltigkeitspolitik in Bezug auf nachhaltige Investments?
Trump stellt gerade die Gretchenfrage: Wie hältst du’s mit der Nachhaltigkeit? Wir werden in den kommenden Monaten sehen, welche Unternehmen die Nachhaltigkeit als Marketingstrategie interpretiert haben und welche sie in ihr langfristiges Risikomanagement integriert haben. Ich glaube nicht, dass Letztere alle Bemühungen wieder einstampfen, weil es derzeit politischen Gegenwind gibt. Der wird irgendwann wieder verschwinden – die globalen Krisen nicht, wenn wir so weitermachen.
ESG wird nicht mehr mit wehenden Fahnen und in Hochglanzbroschüren auftauchen, es wird ruhiger, subtiler, erwachsener werden. Vielleicht ist es sogar gut für nachhaltige Investoren – wenn es tatsächlich leichter wird, echte Nachhaltigkeitsbemühungen von großen Worten zu unterscheiden.
Stehen Ihre Fonds auch Versicherern für Fondspolicen zur Verfügung? Wie ist hier die Nachfrage?
Diese Frage müssten Sie grundsätzlich unserem Vertrieb stellen. Aber ich kann Ihnen sagen, dass PRIME VALUES Fonds bspw. in der Stuttgarter Grüne Rente eine Rolle spielen und wir hier ratierliche Zuflüsse sehen, insbesondere in der betrieblichen Altersversorgung. Auch in der Fondsauswahl des VOLKSWOHL BUND, der Allianz, der mylife, der Continentale und anderen sind wir zu finden. Die Nachfrage ist aufgrund der Tatsache, dass das Thema Ethik und Nachhaltigkeit aus regulatorischen und politischen Gründen etwas abgekühlt ist, zurückgegangen. Dem wirken wir aber aktiv entgegen, indem wir mit Maklerhäusern bspw. Veranstaltungen im Bereich der betrieblichen Altersversorgung machen, um die Ökologisierung der Betriebsrenten nach vorne zu bringen. Dort spiele ich dann als Referentin eine Rolle und spreche über Themen wie Biodiversität und Mikroplastik.
Welche konkreten Möglichkeiten bieten Sie Maklern und Finanzberatern, die ihren Kunden nachhaltige Anlagelösungen im Bereich Umwelt- und Artenschutz anbieten möchten?
Beispielsweise die Möglichkeit, Veranstaltungen mit uns zu machen, um das Thema B2B und B2C mit erlebbaren Inhalten zu füllen. Auch bieten wir entsprechende Webinare an, sind stark aktiv in der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit und sind auch Kooperationspartner auf Events wie z. B. dem German Equal Pension Symposium, auf dem ich dieses Jahr als Speakerin bzw. Diskussionsteilnehmerin vertreten sein werde.
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Diesen Beitrag lesen Sie auch in AssCompact 05/2025 und in unserem ePaper.

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