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17. November 2022
Wenig Bewegung bei BU-Versicherungsbedingungen, aber …

Wenig Bewegung bei BU-Versicherungsbedingungen, aber …

Im Bedingungswettbewerb der BU-Versicherung herrscht einigermaßen Ruhe, sagt das Analyse-­Institut infinma. Änderungen finden sich im Detail, zudem gibt es viel Dynamik beim Pricing. Mit Spannung wird verfolgt, wie sich die Grundfähigkeitsversicherung in Abgrenzung zur BU-Versicherung entwickelt.

Ein Artikel von Dr. Jörg Schulz, Geschäftsführer der infinma GmbH

Die Analysten von infinma haben in der Berufsunfähigkeitsversicherung vor allem im Hinblick auf die Versicherungsbedingungen ein bisher eher ruhiges Jahr beobachtet. Das mag unter anderem daran liegen, dass mehrere Anbieter eine Grundfähigkeitsversicherung neu eingeführt oder bestehende Produkte überarbeitet haben. Insofern scheint die Grundfähigkeitsversicherung inzwischen in direkter Konkurrenz zur BU-Versicherung zu stehen, auch im Hinblick auf die Ressourcen in den Produktmanagementabteilungen.

Nach wie vor lassen sich jedoch rege Aktivitäten im Hinblick auf das Pricing der BU-Versicherung beobachten. Es werden Berufe neu eingruppiert und/oder neue Berufs- und Risikogruppen eingeführt. Daneben tauchen auch immer wieder neue Berufe auf wie beispielsweise virtuelle Assistenten, Blogger oder Robotik-Ingenieure. Parallel dazu werden Scoring-Systeme weiterentwickelt, die eine gerechtere Tarifierung entsprechend der individuellen Risikosituation des einzelnen Kunden erlauben sollen. Allerdings hat dies zwangsläufig zur Folge, dass die Tarifierung selber immer komplexer wird und hohe Anforderungen an die Digitalisierung bzw. Automatisierung stellen. Der Hinweis auf eine gerechtere Kalkulation mag ja für bestimmte Kundengruppen durchaus berechtigt sein, letztlich steckt jedoch hinter einer geänderten Tarifierung in aller Regel der Wunsch, bestimmte Personen(gruppen) günstiger ver­sichern zu können und damit für gezielte Marketingaktionen attraktiver zu machen. Diese Entwicklung wird inzwischen auch von einigen Rückversicherern durchaus kritisch gesehen, da eine immer feinere Differenzierung zwangsläufig zu immer kleineren Kollektiven führt und somit langfristig der Risikoausgleich im Kollektiv gestört werden könnte.

Änderungen bei den Bedingungen

Wie bereits angedeutet, halten sich die Bedingungsänderungen derzeit in Grenzen. Eine Verlängerungsoption bieten inzwischen immer mehr Produkte an; dabei wird meist nicht nur auf die Erhöhung der gesetzlichen Regelaltersgrenzen abgestellt, sondern analog auch auf das Renteneintrittsalter in Versorgungswerken.

Mehr Möglichkeiten bei Nachversicherungsgarantie

Weiterhin ein wichtiges Thema sind die Möglichkeiten, den Versicherungsschutz nachträglich ohne Gesundheits- und/oder Risikoprüfung anpassen zu können. Dabei werden einerseits die anlassunabhängigen Anpassungsmöglichkeiten ausgeweitet. Andererseits nimmt die Anzahl der Anlässe, zu denen eine solche Erhöhung möglich ist, weiter zu. Aus Kundensicht ist diese Entwicklung grundsätzlich zu begrüßen, allerdings muss auch ganz deutlich darauf hingewiesen werden, dass die vielfältigen Gestaltungsmöglichkeiten bei der Nachversicherung die Produkte immer schwerer vergleichbar machen. Immer mehr Möglichkeiten führen jedoch in der Praxis nicht zwingend dazu, dass sich dem Kunden auch tatsächlich mehr Optionen bieten. Durch die Begrenzung der Erhöhungen dürfte für viele Kunden, die von Versicherungsbeginn an über einen der Höhe nach adäquaten Schutz verfügen, gar keine Anpassungsmöglichkeiten mehr bestehen, weil die Höchstgrenzen schon ausgeschöpft sind. Daneben sind zahlreiche Restriktionen zu beachten wie das erreichte Alter, die bereits zurückgelegte Vertragslaufzeit, die noch bestehende Restvertragslaufzeit und vieles andere mehr. Die Frist, innerhalb derer ein Kunde nach Eintritt eines optionsauslösenden Ereignisses die Nachversicherung ausüben kann, ist bei vielen Gesellschaften inzwischen auf zwölf Monate ausgedehnt worden.

Ausweitung der Einmalleistungen

Als weitere Tendenz scheint sich abzuzeichnen, dass die Anbieter zunehmend Einmalleistungen bei Eintritt von bestimmten schweren Erkrankungen in Aussicht stellen und/oder zusätzliche Leistungsauslöser für eine gegebenenfalls auch befristete Rentenzahlung abbilden, zum Beispiel, wenn die versicherte Person einen Rollstuhl benötigt. Grundsätzlich gewinnen additive Einmalzahlungen an Bedeutung, die beispielsweise als Wiedereingliederungshilfe, als Anfangshilfe oder als Umorganisationshilfe gezahlt werden. Für die Kunden können dies sicher sinnvolle Add-ons sein, allerdings stellt sich schon die Frage, ob bzw. inwieweit derartige Zusatzleistungen das Produkt verteuern. Eines der nach wie vor größten Probleme innerhalb der BU liegt ja immer noch darin, dass sie für viele Interessenten schlicht zu teuer ist. Daher wäre es sehr wünschenswert, wenn prämienrelevante Produktmerkmale optional angeboten würden und der Kunde somit selber entscheiden kann, ob er bereit ist, für eine Anfangshilfe einen zusätzlichen Prämienbestandteil zu bezahlen.

Überprüfung der Tarifierung als Wettbewerbsmerkmal

Immer mehr Versicherer geben ihren Versicherten auch die Möglichkeit, anlassbezogen oder anlassunabhängig ihre Tarifierung überprüfen zu lassen. Die Berücksichtigung (neuer) beruflicher Qualifikationen beispielsweise kann dann zu einem Qualifikationsbonus führen oder zu einer grundsätzlichen Eingruppierung in eine günstigere Berufsgruppe. Wenn man sich die Regelungen einiger Gesellschaften anschaut, dann könnte hier durchaus ein neues Wettbewerbsfeld entstehen. Schon jetzt gibt es Anbieter, die eine solche Möglichkeit, gegebenenfalls anlassabhängig, mehrmals während der Laufzeit anbieten. Für den Kunden sind derartige Möglichkeiten insofern positiv zu beurteilen, als es (zumindest bislang) in keinem Fall zu einer Schlechterstellung, sprich zu einer höheren Prämie kommen kann.

Bedingungen auf hohem Niveau

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass sich die Versicherungsbedingungen in der BU weiterhin auf hohem Niveau bewegen. Die Qualität passt sich bei den Anbietern mehr und mehr an; das zeigt sich zum Beispiel darin, dass der Verzicht auf eine Meldepflicht bei Verbesserung des Gesundheitszustandes inzwischen zum Marktstandard geworden ist und bei der überwiegenden Mehrheit der Produkte entfallen ist. Auch bei den Umorganisationsmöglichkeiten für Selbstständige haben sich die Bedingungen angenähert. Inzwischen wird meist zwischen Akademikern mit überwiegender Bürotätigkeit einerseits und selbstständigen Betreibern von Kleinbetrieben unterschieden. Somit wird es immer schwieriger, sich durch das Bedingungswerk vom Wettbewerber zu differenzieren. Dies erklärt vielleicht auch, warum die Versicherer so rege an immer wieder neuen Tarifierungen „basteln“.

Neue Zielgruppen dank Grundfähigkeitsversicherung?

Eine interessante Frage für die Zukunft wird sein, inwieweit die Einführung der Grundfähigkeitsversicherungen tatsächlich neue Kunden- und Zielgruppen erschließt oder ob es möglicherweise zu einer Kannibalisierung des eigenen BU-Geschäfts führt. Richtungsweisende Neuerungen in der BU waren in diesem Jahr aus infinma-Sicht bisher nicht zu beobachten.

Diesen Artikel lesen Sie auch in AssCompact 11/2022, S. 42 f., und in unserem ePaper.

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Bild: © Fokussiert – stock.adobe.com

 
Ein Artikel von
Dr. Jörg Schulz