Interview mit Oliver Ostheim, Fachanwalt und Partner bei Rechtsanwälte für Berufsunfähigkeit Ostheim & Klaus PartmbB
Herr Ostheim, Sie sind mit Ihrer Kanzlei Rechtsanwälte für Berufsunfähigkeit Ostheim & Klaus PartmbB auf Berufsunfähigkeitsfälle spezialisiert. Wann kommen Mandanten typischerweise zu Ihnen?
In den meisten Fällen wenden sich Versicherte an uns, wenn ihr Leistungsantrag bereits abgelehnt wurde. Wir steigen dann entweder in die Nachbearbeitung ein oder vertreten sie direkt vor Gericht. Häufig begleiten wir Mandanten schon ab der Antragstellung – das ist immer der sinnvollere Weg, um Fehler zu vermeiden.
Warum werden BU-Leistungsanträge überhaupt abgelehnt?
Meist liegt es an zwei Punkten: dem unscharf beschriebenen Berufsbild und mangelhaften Gesundheitsnachweisen. Viele Antragsteller unterschätzen, wie detailliert das Berufsbild geschildert werden muss. Wer nur schreibt, er führe „Kundengespräche“, lässt völlig offen, ob das Verkaufsgespräche im Einzelhandel oder Unternehmensrestrukturierungen sind. Der Versicherer kann so gar nicht beurteilen, welche Tätigkeiten konkret nicht mehr ausgeübt werden können.
Und bei den gesundheitlichen Nachweisen?
Besonders bei psychischen Erkrankungen ist das schwierig. Behandler dokumentieren Diagnosen und Therapien, aber selten die Auswirkungen auf die berufliche Leistungsfähigkeit. Der Versicherer braucht aber genau diese Verbindung – also: „wegen dieser Erkrankung kann ich meinen Beruf nicht mehr ausüben“. Fehlt das, wird häufig ein Gutachten angefordert.
Leider werden immer wieder dieselben Gutachter beauftragt, deren Bewertungen oft fragwürdig sind. In vielen Fällen ist dann eine Klage unvermeidlich.
Kommt es auch vor, dass die Versicherten selbst entscheidende Fehler machen?
Absolut. Der Klassiker ist die vorvertragliche Anzeigepflichtverletzung. Viele vergessen Angaben, etwa frühere Arztbesuche oder harmlose Diagnosen – manchmal, weil sie es schlicht nicht wissen. Problematisch wird das, wenn Ärzte für Abrechnungszwecke Diagnosen hinterlegen, die gar keinen Krankheitswert haben. Das kann einen kompletten Leistungsanspruch kippen. Später tauchen diese Einträge in der elektronischen Patientenakte (ePA) auf – und können zum Stolperstein werden.
Die ePA verändert also die Ausgangslage?
Definitiv. Ein harmloser Arztbesuch wegen Stress kann später als „Überlastungsreaktion“ auftauchen – und wird vom Versicherer als Hinweis auf eine psychische Vorerkrankung gewertet. Vor dem Abschluss einer BU-Police sollte ein Makler die elektronische Patientenakte einmal eingesehen haben. Das kann im späteren Leistungsfall viele Konflikte vermeiden.
Gibt es Fälle, in denen Sie einem Mandanten ehrlich sagen müssen: „Das wird nichts mehr“?
Eine leichte depressive Episode reicht in der Regel nicht aus, um Leistungen zu erhalten. Die Erkrankung muss einen bestimmten Schweregrad erreichen und klar belegen, dass die berufliche Tätigkeit dauerhaft nicht mehr ausgeübt werden kann. Wer das zu früh oder ohne ausreichende Dokumentation versucht, hat kaum Chancen.
In rund 30% der Fälle ist heute die Psyche Ursache einer Berufsunfähigkeit – wie verändert das die Streitpraxis zwischen Versicherten und Versicherern aus Ihrer Sicht?
Neueste Erhebungen gehen sogar von nahezu 35% aus. Tatsächlich stellen wir in unserer Praxis fest, dass die psychischen Krankheitsbilder kritisch geprüft werden. Insbesondere wird in sehr vielen Fällen ein medizinisches Gutachten angefordert.
Prüfen denn Versicherer bei psychischen Erkrankungen besonders genau oder lange?
Das kann ich bestätigen. Psychische Erkrankungen werden in nahezu allen Fällen hinterfragt. Die lange Prüfungsdauer von oft zwölf bis 18 Monaten trifft jedoch sämtliche Krankheitsbilder, die Berufsunfähigkeit verursachen.
Seite 1 Wenn der Antrag auf BU-Rente abgelehnt wird – was dann?
Seite 2 Welche Folgen hat die lange Prüfdauer für die Betroffenen?
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