Herr Schrögenauer, kann die LV 1871 den Wachstumstrend aus 2022 fortsetzen?
Hermann Schrögenauer: Dass wir trotz des geopolitisch und volkswirtschaftlich äußerst herausfordernden Umfelds auch 2022 wachsen konnten, freut uns sehr. Besonders stolz sind wir darauf, dass die LV 1871 eine der wenigen Versicherungen mit positiven Bewertungsreserven am Markt ist. Wir glänzen weiterhin mit sehr hohen und beständigen Solvenzquoten in Höhe von 484% und die internationale Ratingagentur Fitch attestiert uns erneut ein hervorragendes A+-Finanzstärkerating mit stabilem Ausblick. Wenn wir auf die ersten Monate des laufenden Jahres blicken, ist das Neugeschäft auf einem guten Niveau. Es lässt sich durchaus ein positiver Trend erkennen, der insbesondere bei den laufenden Beiträgen sogar fast 5% über dem Vorjahresniveau liegt.
Herr Leitgeb, was hören Sie denn aktuell vonseiten der Maklerbetriebe? Wo liegen die Herausforderungen?
Frank Leitgeb: Vor allem die großen Themen Digitalisierung, Individualisierung und Konsolidierung treiben die Maklerbetriebe um und prägen die gesamte Branche. Digitale und analoge Vertriebswege verschwimmen. Der moderne Omnikanal-Partnervertrieb stellt den Service für Geschäftspartner vor neue Herausforderungen. Auch die Geschäftsbeziehungen zwischen Kunde und Geschäftspartner unterliegen einer neuen Dynamik. Flexiblere Lebensumstände erfordern neue vertriebliche Strukturen: Kunden wollen zunehmend hybrid und auch im Ausland beraten werden und beschaffen sich ihre eigenen Informationen und Meinungen im Internet. Erwartet werden klare Antworten und schnelle Prozesse, die Zeit und Geld sparen. Das gilt auch für die Maklerbetreuung. Deshalb setzen wir auf eine neue Vertriebsaufstellung und umfangreiche Partnerservices.
Sie wollen explizit als Service-Versicherer verstanden werden. Was gehört für Sie dazu?
Hermann Schrögenauer: Wir nehmen unsere Geschäftspartner und ihre Bedürfnisse ernst, sind schnell und zuverlässig erreichbar, bieten fachliche Kompetenz im Innen- und Außendienst. Um auch in Zukunft die richtigen Antworten auf einen sich permanent verändernden Markt zu geben, haben wir unsere Services erweitert. Beispielsweise unsere neue Angebotssoftware, die den Beratungsbetrieb für Vermittler einfach, beratungssicher und intuitiv macht. Oder unsere neue vertriebliche Aufstellung – weg vom Silodenken hin zu individuellen Betreuungsstrukturen – sie soll eine schnell abrufbare und fallabschließende Expertise für unsere Geschäftspartner garantieren. Flankiert werden diese Veränderungen von unserem Digital Partner Programm, mit dem wir Vermittler dabei unterstützen, ihr Geschäft für die Zukunft aufzustellen, im Netz sichtbar zu sein und Kundenleads auf diesem Weg zu erhalten.
Mit der neuen Angebotssoftware wollen Sie schneller werden. Um welche zeitlichen Ersparnisse und um welche Conversion Rates geht es?
Hermann Schrögenauer: Ein großer Vorteil der neuen Angebotssoftware ist unter anderem die Risikoprüfung mit verbindlichem Votum am Point of Sale. Diese kann für eine BU-Versicherung direkt vor Ort oder online mit dem Kunden durchgeführt werden. Dafür müssen nur die vorgegebenen Risikofragen in der Software beantwortet werden. In den meisten Fällen kann dann ein verbindliches Votum über Zusage, Ausschlüsse oder Risikozuschläge auf Basis der Angaben zu den Risikofragen direkt eingesehen und der Antrag auf Wunsch elektronisch abgeschlossen werden. Ein weiteres Highlight ist der Bearbeitungsstand im Antragsprozess, der jederzeit über das Geschäftspartnerportal eingesehen, fortgesetzt und mit dem Kunden per Link einfach und papierlos geteilt werden kann.
Zu den Conversion Rates: Die Erfahrungen vieler Vermittler sind positiv, denn sie können in einer Welt, die sich immer schneller dreht, ihre Kompetenz als Berater direkt vor Ort beim Kunden unter Beweis stellen. Außerdem macht es die Beratung sicher, denn man kann nichts vergessen. Auch die überbordenden Regulierungsanforderungen können durch einen digitalen Prozess in den Griff bekommen werden. So wird die Beratung zu einem Kompetenzbeweis und zu einem Kundenerlebnis.
Müssen Versicherer heute eigentlich überhaupt noch alle Services selbst vorhalten? Machen das nicht die Pools?
Hermann Schrögenauer: Pools bieten ja insbesondere die technische Plattform für Geschäftspartner und organisieren die Anbindung an eine Vielzahl von Produktgebern. Oft sind sie auch eine Art emotionale Heimat. Nichtsdestotrotz spüren wir gerade bei engerer Zusammenarbeit immer wieder den Wunsch nach persönlichem Kontakt zu uns als Versicherer und Produktgeber.
Frank Leitgeb: Mit unserem „Vertrieb der Zukunft“ möchten wir unsere Services für jedes Geschäftsmodell bestmöglich und flexibel aufstellen. Am Ende entscheiden die Geschäftspartner, welche Angebote sie annehmen möchten. Außerdem gehören natürlich auch Pools selbst zu unseren Geschäftspartnern und haben ebenfalls spezielle Anforderungen an uns als Produktgeber.
Was bedeutet der Vertrieb der Zukunft konkret?
Frank Leitgeb: Vertrieb der Zukunft bedeutet für uns, unseren Service aus Perspektive unserer Geschäftspartner zu denken und aufzustellen. Im heutigen Omnikanal-Partnervertrieb funktionieren „one size fits all“ und Postleitzahl- oder Vertriebswegelogiken als Hauptkriterium für die Betreuung nicht mehr. Wir brauchen ein Ökosystem, das für den Geschäftspartner jederzeit schnell und zielgerichtet bestmöglichen Service bieten kann. Hier vereinen sich verschiedene Kompetenzen vom Vertriebsmanager über Spezialisten und Vertriebsunterstützung vor Ort und zentralisiert bis hin zu digitalen Services. So lösen wir interne Silos auf, können uns mit der Entwicklung des Marktes übergreifend auseinandersetzen, entsprechende Ableitungen treffen und unsere Ressourcen bestmöglich steuern. Dadurch soll ein attraktives Gesamtpaket entstehen, das dem Geschäftspartner einen echten Mehrwert liefert, Zeit spart und ihm mehr Raum für seine Kunden lässt.
Das bedeutet Präsenz in der Fläche, zentrale Kompetenzbereiche und digitale Services?
Frank Leitgeb: Dem Geschäftspartner immer den richtigen Ansprechpartner für das jeweilige Thema an die Seite zu stellen, ist unser Anspruch und gleichzeitig eine Herausforderung im Wettbewerb um die beste Maklerunterstützung. Geschäftsmodelle sind weiterhin extrem heterogen und es muss uns gelingen, uns an die komplexen Anforderungen anzupassen. Dabei ist eine hohe Erreichbarkeit von kompetenten Ansprechpartnern, egal ob Vertriebsmanager, Vertriebsunterstützung oder Kollegen aus der Zentrale, ein wichtiger Aspekt. Um die persönliche Beziehung perspektivisch noch breiter zu verankern, sollen Geschäftspartner künftig viel direkter von den Kompetenzen unserer Experten aus den verschiedenen Bereichen profitieren können – von der Risikoprüfung bis hin zum bAV-Spezialisten. Unsere Vertriebsmanager bleiben selbstverständlich vor Ort in den Regionen, nur wollen wir die Regionalität – wie schon beschrieben – nicht als oberstes Zuordnungsmerkmal verstehen. Die Art der Geschäftsbeziehung und die daraus entstehenden Anforderungen definieren die Zusammenarbeit, egal ob 100% persönlich, 100% digital oder hybrid – entscheidend ist eine gute Zusammenarbeit und eine gelebte Partnerschaft auf allen Ebenen. Der Effizienzdruck auf unsere Partner ist durch IDD, Regulierung, LVRG, sinkende Margen etc. enorm und wir möchten über die gesamte Wertschöpfungskette hinweg eine „Hand in Hand“-Unterstützung bieten.
Hermann Schrögenauer: Unsere neue Aufstellung im Vertrieb ist die Antwort auf das starke Wachstum der letzten Jahre und die vielen Veränderungen auf Kunden- und Vermittlerseite, wie Informationen in Social Media konsumiert oder Meinungen in Foren oder bei Workations gebildet werden und wie beispielsweise die digitale Beratung und damit die Digitalisierung in den Alltag eingezogen ist. Für uns bedeutet das, für unsere Geschäftspartner auf allen Kanälen erreichbar zu sein und kompetente Antworten zu geben.
Dieses Interview lesen Sie auch in AssCompact 07/2023 und in unserem ePaper.
Im Bild oben: Hermann Schrögenauer (l.), Vorstand, und Frank Leitgeb (r.), Leiter dezentraler Vertrieb der Lebensversicherung von 1871 a. G. München © LV 1871
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