Ein Artikel von Andreas Wollermann, Berater und Trainer für Versicherer und Finanzdienstleister unter der Wortmarke GENsurance®
Es ist Zeit für ein neues Image. Nicht weil wir wollen, – sondern weil wir müssen. Die Versicherungswirtschaft steckt, wie wir seit Langem einmal jährlich lesen können, in einer Imagekrise, die wir uns selbst eingebrockt haben. Jahrzehntelang haben wir uns auf Tugenden wie Sicherheit, Stabilität und Verlässlichkeit konzentriert und diese Begriffe so oft wiederholt, bis sie selbst die Kraft verloren haben. Heute wirkt das alles wie ein Echo aus einer anderen Zeit. In einer Welt, in der Sinn, Haltung und Geschwindigkeit den Takt angeben, wirkt unsere Außendarstellung wie das Faxgerät im Zeitalter von ChatGPT: irgendwie noch da – aber keiner weiß, warum.
Dabei ist das Produkt „Versicherung“ nicht das Problem. Es ist das Narrativ. Die Story, die wir erzählen, oder eben nicht erzählen. Die emotionale Relevanz fehlt an vielen Stellen komplett. Und das Verständnis dafür, wie junge Menschen heute denken, leben und entscheiden.
Wenn wir die nächste Generation von Kunden und Mitarbeitenden für uns gewinnen wollen, müssen wir aufhören, ausschließlich solide zu sein. Wir müssen spannend werden. Relevant. Mutig. Eindeutig. Und vor allem: anders als das Bild, das aktuell von uns gezeichnet wird.
Warum „sicher und solide“ keine Marke mehr ausmacht
Fragt man heute junge Menschen, was ihnen bei einem Arbeitgeber oder einer Marke wichtig ist, fallen immer wieder dieselben Begriffe: Sinn. Flexibilität. Authentizität. Nachhaltigkeit. Haltung. Aber „konservativ“, „verstaubt“ oder „bürokratisch“? Eher nicht.
Und genau das sind die Begriffe, die uns – oft ungewollt – anhaften. Weil wir es zugelassen haben. Weil wir es versäumt haben, unser Rebranding aktiv zu gestalten. Während andere Branchen sich neu erfunden haben, schwelgen wir in der Vergangenheit. Während Patagonia Kleidung zur politischen Botschaft erhoben hat, hängen wir bei „Service-Offensive 2025“, Imagefilmen mit Celloklängen und Handschlagästhetik fest.
Was verkauft unsere Branche? „Wir sichern Ihr Leben ab!“ – klingt irgendwie, naja. Wo ist die Vision? Wo ist der Mut zur klaren Kante? Warum sagen wir nicht: „Wir übernehmen Verantwortung für eure Zukunft – mit Haltung, mit Technologie, mit Transparenz.“?
Ein Rebranding beginnt nicht bei der Werbung. Es beginnt bei der inneren Überzeugung, die über § 823 BGB hinausgeht.
Patagonia – Haltung ist keine Marketingmaßnahme
Patagonia, ein Unternehmen für Outdoorbekleidung, hat sich von Anfang an positioniert: gegen Fast Fashion, für Nachhaltigkeit. Für ihre Werte haben sie auf Profit verzichtet, ihre Firma verschenkt und damit ein Markenimage geschaffen, das weltweit respektiert wird. Die Frage an die Branche: Wofür stehen wir? Wirklich!
Die Antwort darf nicht lauten: „Für umfassende Risikoabsicherung im Sinne unserer Versicherten.“ Das ist ein Satz für Geschäftsberichte, nicht für Herzen. Wenn wir wollen, dass junge Menschen uns folgen – als Kunden, als Mitarbeitende, als Markenbotschafter – dann müssen wir neue Positionen beziehen. Zu gesellschaftlichen Fragen. Zu ökologischer Verantwortung. Zu moderner Führung.
Stattdessen sehen wir oft ein vorsichtiges Abwarten. Eine Angst anzuecken. Ein Lavieren, das man in keinem TikTok-Clip erzählen kann. Apropos TikTok:
TikTok – wer nicht erzählt, wird nicht gesehen
TikTok ist nicht nur ein Hype. TikTok ist ein Spiegel. Für das, was Menschen heute fesselt: Echtheit. Tempo. Haltung. Überraschung. Dialog.
Wie viele Versicherer nutzen heute Storytelling wirklich? Und ich meine nicht: „Der Azubi macht ein Reel mit Einblicken in den Arbeitsalltag.“ Ich meine: Wie viele trauen sich, echte Geschichten zu erzählen? Geschichten, die berühren, polarisieren, hängen bleiben? Geschichten, in denen Menschen sich wiederfinden – nicht nur Paragrafen oder Versprechen für die Zukunft?
Die Versicherungswirtschaft ist voll von echten Geschichten. Von Mut. Von Neuanfängen. Von Rettung. Von Sicherheit in der Dunkelheit. Wir müssen diese Geschichten nicht erfinden, wir müssen sie nur endlich dort erzählen, wo andere Branchen dies schon längst tun.
Drei Ideen zum Rebranding der Branche
- Purpose klar definierenWarum gibt es uns? Was wollen wir bewegen – gesellschaftlich, ökologisch, kulturell? Wer das nicht beantworten kann, wird keinen einzigen Menschen unter 30 langfristig binden.
- Kommunikation emotionalisierenRaus aus der Faktenwelt, rein in die Gefühlswelt. Versicherungen lösen Ängste. Geben Hoffnung. Eröffnen Chancen. Warum kommunizieren wir das nicht so?
- Mut zur UnbequemlichkeitMarken, die gemocht werden wollen, gehen unter. Marken, die Haltung zeigen, polarisieren und bleiben. Lasst uns doch lieber die Hälfte verlieren, als niemandem etwas zu bedeuten.
Wir brauchen keine neue Werbung, wir brauchen ein neues Selbstbild. Es geht nicht um Logos, Slogans oder Claims. Es geht um Glaubwürdigkeit. Um Relevanz. Und um das ehrliche Eingeständnis: Die Welt hat sich verändert. Jetzt sind wir dran.
Ein Rebranding der Versicherungswirtschaft ist keine kosmetische Maßnahme. Wer jetzt zögert, verliert nicht nur Marktanteile. Sondern Anschluss. An die Zukunft. An Talente. An Vertrauen.
Oder wie es ein junger Auszubildender in einem meiner Workshops sagte: „Ich will nicht mein Leben lang für einen alten ‚Image-Dino‘ arbeiten. Ich will für eine Marke stehen, auf die ich stolz sein kann.“ Na dann, liebe Branche: Worauf warten wir?
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