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29. Juni 2020
Wie viel Ego verträgt die Wirtschaft?

Wie viel Ego verträgt die Wirtschaft?

Investoren und Unternehmer werden oftmals im negativen Sinne als Egoisten dargestellt. Man denke nur an den Film „The Wolf of Wall Street“ mit Leonardo DiCaprio, der darin einen skrupellosen Aktienhändler verkörpert. Julien Backhaus sagt, dass es aber auch einen guten Egoismus gibt, der allen nützt.

Selten gibt es Menschen, die sich darüber freuen, wenn sie als Egoisten bezeichnet werden. Dies rührt jedoch daher, dass wir nicht wissen, was der Begriff Egoismus wirklich bezeichnet. Denn im Grunde bedeutet „Ego“ nichts anderes als „Ich“. Der Egoist ist folglich jemand, der sich seiner selbst bewusst ist. Dies ist nichts anderes als eine Grundbedingung für das Menschsein und unterscheidet uns letztendlich von Tieren.

Leider gibt es eine große Anzahl von Synonymen für den Begriff des Egoismus. Hier nur ein kleiner Auszug: Eigenliebe, Eigennutz, Eigensucht, Ichbezogenheit, Narzissmus, Selbstsucht, Selbstliebe etc. Vermutlich haben die wenigsten Menschen etwas gegen eine Portion Selbstliebe auszusetzen, bei Selbstsucht sieht dies dann schon wieder anders aus. Selbstsucht an den Tag zu legen, bedeutet folglich, andere Menschen zu missachten und den eigenen Bedürfnissen Vorrang zu geben. Der negative Ruf des Egoismus ist einer Bewertung durch die Gesellschaft geschuldet. Ich plädiere jedoch für ein Mehr an gesundem Egoismus in Wirtschaft und Privatleben.

Der gesunde Egoismus

Ein gesundes, glückliches Leben ist nur möglich, wenn gesunder Egoismus gelebt wird. Schon der berühmte Philosoph Arthur Schopenhauer hat Folgendes über den Egoismus gesagt: „Egoismus ist der Drang zum Dasein und Wohlsein!“. Dies bedeutet jedoch nicht, dass dies nur auf Kosten des Gegenübers oder der Gesellschaft funktionieren kann. Im Gegenteil.

Menschen, die den gesunden Egoismus leben, stellen tatsächlich die eigenen Bedürfnisse an die oberste Stelle. Sie tun alles dafür, dass es ihnen selbst gut geht. Sie versuchen nicht, sich selbst aufzuopfern und ihren Wert aus der Hilfestellung für andere festzusetzen. Sie kümmern sich um sich selbst und erst in zweiter Instanz um die Umgebung. Dies sorgt dafür, dass sie aus einer inneren Balance heraus handeln und damit, quasi als Nebeneffekt, die größte Hilfe für ihr Umfeld darstellen. Es ist wie beim berühmten Flugzeugbeispiel: Wenn die Beatmungsmasken aufgrund des Druckverlustes herunterpurzeln, wird man dazu angehalten, sich zuerst eine über Mund und Nase zu stülpen und sich erst dann um sein Umfeld zu kümmern. Viele Menschen vergessen diese Abfolge in ihrem Leben, mit verheerenden Folgen.

Gute Egoisten kennen ihre Werte

Ein Merkmal guter Egoisten ist, dass sie über ihre eigenen Werte Bescheid wissen. Sie kennen auch ihren Wert für die Gesellschaft und versuchen immer, alles aus sich und aus dem eigenen Leben heraus­­zuholen. Dies passiert jedoch nicht, wie fälschlicherweise angenommen wird, auf Kosten anderer Menschen. Der gute Egoist weiß nämlich, dass all diese Taten, früher oder später, auf ihn zurückfallen können. Das kann vielleicht kurzfristig funktionieren, aber niemals langfristig. Es ist keine nachhaltige Strategie, die ihm auf Dauer nützt. Durch diese innere Klarheit kommunizieren gute Egoisten auch sehr klar nach außen. Dem Gegenüber ist immer bewusst, welche Forderungen vom guten Egoisten aufgestellt werden. Es wird nie um den heißen Brei herumgeredet, weil der gute Egoist sich und seine Zeit sehr wertschätzt. Durch diesen Respekt in Bezug auf sich selbst profitiert natürlich auch das Gegenüber. Es gibt keine versteckten Machtspielchen, sondern es wird sich auf den Kern der Verhandlungen oder Diskussionen konzentriert. Schließlich soll das beste Ergebnis erreicht werden.

Schlechte Egoisten erzielen schlechte Ergebnisse

Schlechte Egoisten erzielen vielleicht kurzfristig herausragende Ergebnisse, indem sie ihr Umfeld ausnutzen oder dergleichen, auf lange Sicht jedoch wendet sich das Blatt in Richtung gute Egoisten. Als Beispiel sehen wir uns den ehemaligen Fondsmanager Bernie Madoff an. Er hat den größten Betrug der Finanzgeschichte mit mehreren Milliarden Dollar Schaden zu verantworten. Sein damaliger Fonds schien den Gesetzen des Finanzmarktes zu widersprechen, da er selbst in der größten Krise keinerlei Wertverluste verzeichnete. Dabei veranlagte Madoff das Geld seiner Anleger schon seit Jahren nicht mehr, sondern bezahlte Entnahmen durch die Einzahlungen neuer Kunden. Dies ging eben bis zur Finanzkrise 2008 gut. Solche Dinge passieren genau dann, wenn man gegen die eigenen Werte verstößt. Langfristig führt dies zu einer massiven Schädigung des Selbst und hat somit nichts mit gutem Egoismus zu tun.

Gute Egoisten sind unabhängig

Egal, ob es ums eigene Business oder ums Privatleben geht. Der gute Egoist versucht alle Abhängigkeiten zu vermeiden. Er macht sein Glück nicht abhängig von einzelnen Personen. Er ist sich selbst der beste Freund. Weil dies so ist, ist er enorm ausgeglichen und kann ebenso viel geben. Schließlich kann aus einem Portemonnaie auch nur so viel herausgegeben werden, wie vorher hineingetan wurde. Dies gilt für Energie, Emotionen und Geld in gleichem Maße.

Dies ist auch der Grund, weshalb Kredite aller Art vom guten Egoisten nur äußerst selten und ausschließlich in Ausnahmesituationen in Anspruch genommen werden. Damit würde er sich wiederum von Banken abhängig machen und nicht mehr selbstbestimmt agieren. Dies gilt es für den guten Egoisten in jedem Fall zu vermeiden. Ein glückliches Leben ist durch das Maß an individueller Freiheit bestimmt. Je weniger eine andere Instanz mitzusprechen hat, desto mehr Freiheit kann genossen werden. Die Rechnung ist simpel!

Gute Egoisten verhandeln hart, aber fair

Der Spruch „Jeder ist seines eigenen Glückes Schmied!“ kommt vor allem in Verhandlungen zum Tragen. Da der gute Egoist weiß, was er selbst wert ist und was ihm persönlich wichtig ist, versucht er immer das Maximum aus jeder Situation herauszuholen. Das macht ihn vielleicht nicht zum angenehmsten Verhandlungspartner, in jedem Fall jedoch zu einem ehrlichen.

Da Selbstverantwortung ebenfalls ein Wert ist, der beim guten Egoisten ganz oben auf der Liste steht, übernimmt er nicht Verantwortung für die Verhandlungsergebnisse des Gegenübers. Es steht seinen Verhandlungspartnern frei, die Verhandlungen abzubrechen oder den angebotenen Deal zu akzeptieren. Wenn der Verhandlungspartner ebenso gut Bescheid weiß über die eigenen Werte und Bedürfnisse, dann ist relativ schnell ein Ergebnis zu erzielen, welches entweder in eine Einigung mündet oder eben nicht. In jedem Fall wird keine unnötige Zeit verschwendet.

Fazit: Sich selbst zum besten Freund machen

Im alltäglichen Sprachgebrauch wird das Wort „Egoist“ als Negativbezeichnung verwendet. Dabei blendet diese Verwendung leider die positiven Seiten des Begriffes aus, welche elementar für ein glückliches und vor allem selbstbestimmtes Leben sind. Deshalb die Aufforderung, sich selbst zum besten Freund zu machen und das Maximum aus dem eigenen Leben zu ziehen. Nur wer eine gesunde Beziehung zu sich selbst aufbaut, kann auch eine gesunde Beziehung zum eigenen Umfeld aufbauen.

Über den Autor

Julien Backhaus ist Medienunternehmer, Verleger und Bestseller-Autor. Zuletzt erschien sein Buch „EGO – Gewinner sind gute Egoisten“.

Bild: © Julien Backhaus

Den Artikel lesen Sie auch in AssCompact 05/2020 und in unserem ePaper.