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16. Dezember 2020
Wo schlägt die Corona-Krise bei Immobilien zu?

Wo schlägt die Corona-Krise bei Immobilien zu?

Immobilien haben sich in der Corona-Krise als relativ robust erwiesen. Doch nicht alle Asset-Klassen der Immobilien sind gleich krisenresistent. Wo die Corona-Krise auch bei den Immobilien zuschlägt und wo nicht, lässt sich heute aber unter anderem dank künstlicher Intelligenz (KI) ermitteln.

Von Dr. Nicolai Wendland, CIO von 21st Real Estate

Die Corona-Krise trifft die einzelnen Wirtschaftsbranchen unterschiedlich stark und beeinflusst auch die einzelnen Immobilien-Asset-Klassen in verschiedenem Maß. Während das Virus beispielsweise dem Büroboom zumindest kurzfristig ein jähes Ende gesetzt hat und den stationären Einzelhandel vor enorme Herausforderungen stellt, zeigen sich Wohnimmobilien aktuell eher resilient. Wie schnell und wie stark eine zurückgehende wirtschaftliche Dynamik aber auf die verschiedenen Immobiliennutzungs­arten durchschlägt, ist häufig auch für ausgewiesene Markt­experten nur schwer zu quantifizieren. Helfen können dabei durch künstliche Intelligenz und Machine-Learning-Prozesse generierte Indikatoren.

KI macht Big Data nutzbar

Die Aussicht auf langfristig stabile Cashflows, unabhängig davon, ob sie zum Erwerbszeitpunkt bereits vorhanden sind oder erst durch den Erwerber etabliert werden, sind für Investoren maßgeblich für die Risikobewertung beim Ankauf einer Immobilie. Eine belastbare Prognose, wie sich spezifische Immobilien in Krisensituationen verhalten, ist indes mit einem enormen Rechercheaufwand verbunden und hat häufig nur wenig Aussagekraft. Nicht selten müssen Markterfahrung und Bauchgefühl herhalten. Dabei existieren die für eine fundierte Einschätzung notwendigen immobilienmarktrelevanten Daten und das sogar in großer Menge. Das Stichwort heißt Big Data. Doch sie liegen in der Regel unvollständig, unsortiert oder nicht zentral griffbereit vor. Anhand neuer Technologien wie künstlicher Intelligenz und Machine-Learning-Prozesse ist es möglich, diese Milliarden von Daten so aufzubereiten, dass sie nutzbar, zugänglich und zudem für Analysen sowie die Erstellung von Prognosen einsetzbar sind.

Analysegrundlage: 2,3 Millionen Kacheln

21st Real Estate füllt diese Lücke durch einen deutschlandweiten Indikator, der die Stressanfälligkeit von Lagen berech­net. Anhand eines ökonometrischen Modells werden die kurz- und mittelfristigen Auswirkungen ökonomischen Stresses auf das Mietwachstum geschätzt. Die technische Grundlage dafür bildet ein räumliches Gliederungssystem, das Deutschland in mehr als 2,3 Millionen Kacheln in bewohnten Gebieten einteilt – 200 mal 200 Meter in Großstädten und 1.000 mal 1.000 Meter im ländlichen Raum. Jede dieser Kacheln enthält Informationen für bis zu 2.700 verschiedene Parameter, von soziodemografischen Angaben, Wirtschaftskennzahlen und Lage­informationen zur Erreichbarkeit über gebäudespezifische Informationen bis hin zu Immobilienmarktdaten wie etwa Angebotsmieten und -preisen, Mietspiegeldaten, Renditen und regulatorischen Werten wie Mietpreisbremse oder Kappungsgrenze.

Stressanfälligkeit zwischen 0 und 100

Für die Untersuchung wurde definiert, dass Lagen dann als stressanfällig gelten, wenn kurz- und langfristig ein Rückgang des Bruttoinlandsproduktes (BIP) mit negativen Cashflow-Effekten verbunden ist. Wird das Mietwachstum an einem Standort also infolge eines negativen BIP-Schocks negativ beeinflusst, dann ist dieser Standort anfällig für Stress. Die Anfälligkeit wird durch einen normierten Indikator zwischen 0 und 100 wiedergegeben. Ein Gebiet mit einem Indikator größer 0 ist anfällig für Stress.

Je höher der Indikator, desto stärker ist die Stressanfälligkeit. Ein Standort mit Indikator 100 ist am anfäl­ligsten für Stress. Dieser Zusam­­men­hang wurde für alle der 2,3 Millionen bewohnten Kacheln in Deutschland analysiert. Der Stress­indikator ermöglicht damit einen Vergleich der Stressanfälligkeit auf Stadt- und Gemeindeebene für die Asset-Klassen Wohnen, Büro und Einzelhandel. Investoren, Portfolio- und Asset-Manager können so anhand eines standardisierten und jederzeit reproduzierbaren Wertes abschätzen, wie stark ihre Cashflows in möglichen Abschwungphasen gefährdet sind und dadurch potenzielle Schwachstellen im Portfolio identifizieren.

C-Städte reagieren überraschend resilient auf Krisen

Der aktuelle Vergleich zwischen A-, B- und C-Städten zeigt bezüglich ihrer Stressanfälligkeit beispielsweise, dass bei den Asset-Klassen Wohnen und Büro A-Städte am stärksten auf ökonomischen Stress reagieren, bei Einzelhandelsimmobilien sind es B-Städte. Büros weisen über alle drei Stadtkategorien hinweg das höchste Level an Stressanfälligkeit auf. Einzelhandel erweist sich am resilientesten in C-Städten.

Unter den sieben A-Städten besitzt Düsseldorf in allen drei Asset-Klassen den höchsten Anteil an stressanfälligen Kacheln. Berlin und München erweisen sich als weniger anfällig und belegen innerhalb aller drei untersuchten Nutzungsarten die ersten beiden Plätze. Insgesamt ist die Stressanfälligkeit der Nutzungsart Wohnen deutlich geringer ausgeprägt als bei den Nutzungsarten Einzelhandel und Büro.

KI ersetzt den Menschen nicht

Sicherlich ersetzt künstliche Intelligenz nicht die menschliche Expertise. Denn der Mensch trifft zu guter Letzt die Entscheidung. Das Potenzial von KI liegt aber darin, aus den Unmengen an vorhandenen Daten neue Informationen mit einem hohen Nutzwert zu generieren. Diese sogenannten Smart Data bieten eine zusätzliche Entscheidungsgrundlage, die reproduzierbar und innerhalb kürzester Zeit verfügbar sind. Im sich verschärfenden Wettbewerb um die lukrativsten Immobilien ist Schnelligkeit ein entscheidender Vorteil. Neben dem Stressindikator gibt es bereits weitere Bewertungskriterien. So zum Beispiel der Über- bzw. Unterbewertungsanteil, der den gerechtfertigten Fundamentalpreis mit den tatsäch­lichen Marktpreisen ins Verhältnis setzt. Daraus lassen sich wiederum Rückschlüsse auf die Überhitzungsgefahr lokaler Immobilienmärkte ableiten.

Skepsis überwinden und Potenziale nutzen

Die Beispiele zeigen, welche Möglichkeiten KI-gestützte Analysen zur Berechnung hilfreicher Kennzahlen für Investitionsentscheidungen bieten. Dabei befindet sich die Technologie gerade erst am Anfang ihrer Einsatzmöglichkeiten. Es braucht nicht viel Fantasie, um sich vorzustellen, wie angelernte IT-Systeme Immobilienportfolios auf Knopfdruck analysieren und je nach strategischer Ausrichtung automatisch Optimierungsvorschläge generieren. Bis es so weit ist, muss jedoch noch viel Skepsis aufseiten der Anwender überwunden werden.

Diesen Artikel lesen Sie auch in AssCompact 12/2020, Seite 62f., und in unserem ePaper.

Bild: © dodotone – stock.adobe.com

 
Ein Artikel von
Dr. Nicolai Wendland