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29. Januar 2020
Wohin geht die Privathaftpflicht?

Wohin geht die Privathaftpflicht?

Das Angebot an Haftpflichtprodukten auf dem Markt ist vielfältig. Konkurrenz bekommen die etablierten Versicherer zunehmend auch von jungen Marktteilnehmern. Doch kommt der rege Wettbewerb auch der Qualität der Tarife zugute? Eine Standortbestimmung von Michael Franke, Geschäftsführer der Franke und Bornberg GmbH.

Kompositversicherungen unterliegen einem stetigen Wandel. Dieser wird nicht zuletzt durch die Anbieter selbst, aber ebenso durch Versicherungsvermittler vorangetrieben. Klassische Anbieter laufen aktuell zudem Gefahr, insbesondere jüngere Kunden an volldigitale Wettbewerber zu verlieren. Start-ups aus der InsurTech-Szene locken mit passgenauen Angeboten und technischen Services für digital affine Verbraucher. Ihrer Zielgruppe bieten sie auf den ersten Blick deutliche Mehrwerte und erfreuen sich deshalb steigender Beliebtheit. Die Konkurrenz zwischen etablierten Anbietern und neuen Playern spiegelt sich auch in der Qualität der Privathaftpflichtprodukte wider. Eine Standortbestimmung gibt Aufschluss.

Qualitätswettbewerb – Die Leistungsspirale dreht sich

Nicht ohne Grund gilt die Privathaftpflichtversicherung (PHV) als eine der wichtigsten, wenn nicht als die wichtigste Versicherung für Verbraucher. Das Angebot an Privathaftpflichtversicherungen ist vielfältig. Wer nun glaubt, dass sich das Qualitätsniveau von Privathaftpflichtversicherungen in den letzten Jahren angenähert hat, wird schnell enttäuscht. Der Auswahl des passenden Vertrags kommt große Bedeutung zu. Nicht jedes Produkt ist gleich, sondern mit unterschiedlichen Optionen, Klauseln und Deckungssummen versehen, und es zeigt sich eine Qualitätsspreizung der Produktlandschaft. Als Qualitätsgrad für Privathaftpflichtversicherungen hat Franke und Bornberg anhand von Ratingkriterien 2019 einen durchschnittlichen Indexwert von 72 von 100% ermittelt. Dabei stehen 100% für das Erreichen der maximalen Punktzahl. Das ist ein guter Wert, keine Frage. Aber noch immer sind viele Produkte am Markt, die sich am unteren Ende der Qualitätsskala bewegen. Häufig handelt es sich dabei um die Basisproduktlinie der jeweiligen Versicherer. Diese Tarife beschränken sich auf die wesentlichen Leistungen einer Privathaftpflichtversicherung und können daher mit einer günstigen Prämie angeboten werden. Die Ausgestaltung der einzelnen Tariflinien ist jedoch sehr unterschiedlich. Nahezu alle Gesellschaften bieten zwei oder drei verschiedene Qualitätslevel. Diese variieren von Anbieter zu Anbieter allerdings stark – mit der Konsequenz, dass das Basisprodukt der einen Gesellschaft einen höheren Qualitätsindex aufweisen kann als das beste Produkt einer anderen Gesellschaft.

 

Wohin geht die Privathaftpflicht?

 

Die gute Nachricht: Grundsätzlich zeigt sich ein erfreulicher Trend zu mehr Qualität. Leistungen, die früher höchstens dem Top-Produkt eines Unternehmens vorbehalten waren, finden immer häufiger den Weg in das Basisprodukt, wie der historische Vergleich in der Grafik zeigt. Ratings erweisen sich hier als Qualitätstreiber in für Kunden wichtigen Leistungsmerkmalen. Wie man erkennen kann, hat es aber auch ohne Ratings einen Leistungswettbewerb gegeben. Zu beobachten ist auch ein Trend zu Mehrleistungen, deren Nutzen zumindest fraglich ist.

Die PHV als „Social Insurance“

Ein Trend, der schon aus anderen Sparten bekannt ist, greift nun auch in der PHV-Versicherung um sich: das Add-on-Prinzip. Immer neue und kreative Leistungsmerkmale werden einem Produkt beigefügt mit dem Ziel, es für vermeintlich schwer erreichbare Kunden attraktiver zu gestalten.

Die Privathaftpflichtversicherung entwickelt sich mehr und mehr zur neuen „Social Insurance“. Der Versicherungsschutz umfasst zunehmend Leistungen, die über den ursprünglichen Schadensersatzanspruch aufgrund gesetzlicher Haftpflichtansprüche privatrechtlichen Inhalts (§ 823 BGB) weit hinausreichen. Leistungen für Schäden durch Gefälligkeitshandlungen oder deliktunfähige Mitversicherte verfolgen nicht länger das Ziel, Versicherte von Schadensersatzansprüchen freizustellen. Sie erbringen eine freiwillige Leistung, um das Sozialgefüge zwischen Schadenverursacher und Geschädigtem zu bewahren.

Einem vergleichbaren Zweck dienen Entschädigungen zum Neuwert oder der Rabattausgleich bei Kraftfahrzeugen. Während die ersten beiden Leistungen bereits eine große Marktdurchdringung erreicht haben – ca. zwei Drittel aller Tarife leisten für deliktunfähige Kinder und Gefälligkeitshandlungen –, sind Neuwertentschädigung und Rabattausgleich bislang (noch) vor allem in Toptarifen zu finden.

Zur Verbesserung der Ratingnoten tragen die neuen Leistungsbausteine nur teilweise bei. Treiber dieser Leistungsspirale sind vor allem Versicherungsvermittler. Schließlich bieten ihnen neue Optionen und Produkte einen Anlass, ihre Kunden auf die Neuerungen anzusprechen und deren Produktportfolio zu optimieren. Im Kontext des Megatrends Individualisierung erscheint mehr Vielfalt von Versicherungsprodukten durchaus zielführend. Trotzdem sollten die negativen Folgen der Vielfalt ebenfalls bedacht werden. Weniger Transparenz und steigende Komplexität der Produktlandschaft sind nur zwei Begleiterscheinungen häufiger Optimierungen. Höhere Preise oder Druck auf die Margen stehen auf der anderen Seite der Bilanz.

InsurTechs erhöhen die Vielfalt

Aber ist es überhaupt notwendig, den Produktkern mit neuen Leistungen zu verändern? Anscheinend nicht, denn neue Akteure wie lemonade agieren genau entgegengesetzt zu den klassischen Versicherungshäusern. Das PHV-Produkt von lemonade bietet beispielsweise ein sehr abgespecktes Leistungsspektrum. Hier fehlen viele etablierte Standards im Versicherungsschutz, darunter das Halten von Kleintieren, das Hüten von Hunden und Pferden, Mietsachschäden am Inventar der Reiseunterkunft, Vermögensschäden und Vorsorgeversicherung.

InsurTechs entwickeln Produkte nach eigener Aussage so, wie es Kunden wünschen. Smart, einfach abschließbar und verständlich, so lautet die Devise. Ein reduziertes Leistungsspektrum soll die Antragsstrecke ebenso wie die Schadenbearbeitung einfach und vor allem schneller machen. Doch ganz so einfach ist es leider nicht. Durch verständliche Sprache und schlanke Abschlussprozesse kann eine reduzierte Produktqualität schnell aus dem Blick geraten. Das schlägt sich aber in unseren Produktbewertungen nieder. Die Produkte mancher InsurTechs fallen schlichtweg in der Qualitätsprüfung durch. Zudem könnte durch geringe Limits das Kundenvertrauen in die PHV oder den Versicherungsschutz im Allgemeinen leiden. Verbraucher können den Unterschied zu dem inzwischen etablierten hohen Leistungsniveau nicht auf Anhieb erkennen. Daher setzen auch längst nicht alle neuen Anbieter auf diese Ausdünnungsstrategie. Unkomplizierte Schadenabwicklung ist sicher ein Wert für sich, aber Verbrauchern muss vorher klar sein, wenn der Preis dafür Einbußen in der Leistungserstattung sind.

Social oder Smart?

Trotz aller Kritik – die neuen Tarife treffen den Nerv ihrer Zielgruppe. InsurTechs bringen ein unerschöpfliches Potenzial für disruptive Ideen mit. Klassische Anbieter bekommen die Auswirkungen zu spüren. Denn wenn Produktentwicklung nur auf Verbesserung von Qualität und Leistung abzielt, entsteht ein Vakuum. Ab einem gewissen Zeitpunkt ist die Qualität so hoch, dass ein Produkt für zu wenige Kunden erschwinglich ist – das Beispiel Berufsunfähigkeit lässt grüßen.

Der Kampf um Kunden nimmt gerade erst richtig an Fahrt auf. Lautet die entscheidende Frage Social Insurance oder Smarte Abschluss- und Leistungsprozesse? Gefragt sind jedenfalls echte Mehrwerte und spürbare Zusatznutzen, die in die Lebenswelt der Kunden passen. Aber bitte mit Transparenz der Inhalte. Wir sind gespannt auf die Entwicklung. Bis dahin beobachten wir für Sie weiterhin den Markt und die Qualität der Produkte und halten Sie auf dem Laufenden – versprochen.

Den Beitrag lesen Sie auch in AssCompact 01/2020 auf Seite 42 f. und in unserem ePaper.

Lesen Sie außerdem zum Thema Haftpflicht: 

"Privathaftplicht ist nicht gleich Privathaftpflicht"

Bild: © magele-picture – stock.adobe.com

 
Ein Artikel von
Michael Franke

Leserkommentare

Comments

Gespeichert von Erwin Daffner am 02. Februar 2020 - 21:53

Warum schließt eine Gefälligkeitsleistung einen Schadenersatzanspruch nach BGB § 823 aus?
Warum verstößt die Neuwertentschädigung nicht gegen das Bereicherungsverbot?