Die Immobilienbranche sieht sich einer komplexen Gemengelage gegenüber: Die Bundesregierung stellt mit ihrem angekündigten 500-Milliarden-Euro-Sondervermögen umfangreiche Investitionen in die Infrastruktur in Aussicht. Zugleich geben internationale Entwicklungen wie die Zollpolitik der USA Anlass zur Sorge, dürften sie doch erhebliche Belastungen für Lieferketten, Baukosten und Investitionsentscheidungen mit sich bringen. Was bedeutet dies alles für die Entwicklung des deutschen Immobilien- und Finanzierungsmarktes? Mit welchen Auswirkungen auf die Zinsentwicklung, die Immobilienpreise und die Nachfrage bzw. das Investitionsverhalten ist zu rechnen. Setzt der Markt seinen Erholungskurs fort oder folgt eine neue Phase der Unsicherheit? Mit diesen Fragen befasste sich jüngst eine Expertenrunde im Rahmen eines Pressegesprächs.
Wieder mehr Dynamik auf Käufer- und Verkäuferseite
Laut Dr. Lucie Lotzkat, geschäftsführende Gesellschafterin bei VON POLL FINANCE, ist ein steigendes Angebot an Immobilien auf dem Markt zu verzeichnen. Dieses Angebot treffe auch auf eine zunehmende Nachfrage. Daniel Hendel, Geschäftsführer des Immobilienportals ImmoScout24, berichtet ebenfalls von einer spürbar gestiegenen Nachfrage. Im Vergleich zum Vorjahr habe die Nachfrage auf dem Portal um 14 bis 16% zugelegt. Und auch auf der EUROPACE-Plattform war nach dem Zinsanstieg ein deutlicher Nachfrageschub zu verzeichnen, wie Stefan Münter, Mitglied des Vorstands und Co-CEO der Europace AG, in der Runde erklärte.
Kaufinteressenten warten nicht länger ab
Die Furcht vor weiter steigenden Finanzierungszinsen hat für Bewegung gesorgt. Viele Kaufinteressierte würden nicht mehr auf bessere Konditionen warten, sondern handeln, so der Tenor der Runde. Denn viele Interessenten hätten inzwischen gemerkt, dass die Kaufpreise und auch die Zinsen nicht weiter sinken werden und sich ein weiteres Abwarten nicht lohnt, erläuterte Daniel Ritter, geschäftsführender Gesellschafter bei VON POLL IMMOBILIEN. Die Ankündigung des Sondervermögens hatte die Renditen für zehnjährige Bundesanleihen innerhalb kurzer Zeit ansteigen lassen. In der Folge hatten auch die Bauzinsen kurzfristig deutlich angezogen.
Die Unsicherheit in Bezug auf die geopolitische Lage bleibe jedoch ein Risikofaktor. Gleichzeitig hätten volatile Finanzmärkte spürbaren Einfluss auf das Verhalten der Verbraucher, so die Experten der Runde. Vor allem im Bestand findet wieder mehr Bewegung statt – unterstützt durch die angespannte Lage auf dem Mietmarkt. Schließlich werde durch die stark getriebenen Mieten die Leistbarkeit von Wohneigentum neu bewertet, was wiederum die Kaufentscheidung befördere, so Dr. Lucie Lotzkat.
Aufgrund der steigenden Nachfrage geht Daniel Ritter für den weiteren Jahresverlauf von einer linearen Aufwärtsbewegung bei den Kaufpreisen aus.
Sorgt das Sondervermögen für Impulse oder Nebenwirkungen?
Das Sondervermögen der Bundesregierung wird überwiegend positiv gesehen, vor allem im Hinblick auf die überfällige Modernisierung der Infrastruktur. Allerdings bestehen Bedenken, dass der Infrastrukturboom Kapazitäten vom Wohnungsbau abziehen könnte, wenn beispielsweise Firmen Infrastruktur bauen statt Wohungen. Prof. Dr. Michael Voigtländer, Immobilienexperte und Volkswirt beim Institut der deutschen Wirtschaft Köln, betonte hierbei, dass eine bessere Infrastruktur auch für den Immobilienmarkt förderlich sei, wenn auch erst langfristig. Schließlich bleibe auch abzuwarten, wie die Gelder konkret aufgeteilt werden.
Blick auf den Finanzierungsmarkt
Stefan Münter sieht zwei Entwicklungen, die den Finanzierungsmarkt entscheidend prägen und zu Gamechangern werden: So ersetzen digitale Finanzierungsangebote klassische „Schaufensterkonditionen“ und ermöglichen personalisierte und somit passgenaue Aussagen zur Leistbarkeit, was wiederum das Vertrauen in die Beratung und die Aussagekraft eines Angebots erhöht. Zudem sorgen transparente und schnelle Kreditprüfungen für zügige Entscheidungen und mehr Planbarkeit.
Bei den Bauzinsen erwartet Prof. Dr. Michael Voigtländer eine Seitwärtsbewegung. Weiter rechnen die Experten nicht damit, dass die Bauzinsen auf absehbare Zeit über die Marke von 4% kommen. Doch die weltweite geopolitische Dynamik bleibe hoch, was Prognosen erschwere.
Ausblick: Verhaltener Optimismus
Die Experten gehen davon aus, dass sich die aktuellen Aufwärtstendenzen im Jahresverlauf fortsetzen könnten – vorausgesetzt, es kommt nicht zu weiteren wirtschaftlichen oder politischen Rückschlägen. Entscheidend für die weitere Entwicklung wird sein, wie sich die Investitionen des Sondervermögens konkret auf Regionen und Wohnraum auswirken und ob zusätzliche Maßnahmen zur Förderung des Wohnungsbaus folgen. Denn die strukturellen Herausforderungen im Neubau bleiben bestehen. Politische Klarheit und wirtschaftliche Stabilität sind wesentliche Voraussetzungen für eine nachhaltige Entwicklung. (tik)
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