Ein Artikel von Dirk Schmidt-Gallas, Senior-Partner und Leiter der globalen Insurance-Practice bei Simon-Kucher und Philipp Kaupke, Partner in der Insurance-Practice bei Simon-Kucher
Naturkatastrophen nehmen zu, die Schadensummen steigen und die Inflation lässt die Reparatur- und Instandsetzungskosten in die Höhe schnellen. Eine Gemengelage, die die Wohngebäudeversicherung zunehmend unter Druck setzt und dazu führt, dass die Assekuranz die Prämien anheben und die Produkte neu kalkulieren muss. Doch allzu oft verlassen sich viele Versicherer dabei noch immer auf altbewährte Mechanismen wie den Baukostenindex und den Anpassungsfaktor. Diese Parameter wirken heute allerdings eher wie ein Blick in den Rückspiegel – und reichen nicht mehr aus, um die reale Risiko- und Kostenlage abzubilden.
Stellschrauben mit Tücken
Der Anpassungsfaktor und der Baupreisindex des Statistischen Bundesamts dienen traditionell als zentrale Stellgrößen zur Werterhaltung in der Wohngebäudeversicherung. Der Anpassungsfaktor kombiniert Lohn- und Materialkostenentwicklungen und soll sicherstellen, dass die Versicherungssumme Jahr für Jahr dem steigenden Wiederherstellungswert eines Gebäudes entspricht. In der Praxis werden viele Altverträge mit diesem Mechanismus automatisch angepasst.
In den vergangenen Jahren zeigten diese Stellschrauben jedoch erhebliche Schwächen: Baupreise und Sanierungskosten stiegen sprunghaft an – befeuert von Lieferengpässen, Fachkräftemangel oder Energiepreisschocks. So stieg der Anpassungsfaktor für 2023 um 14,73% und für 2024 um weitere 7,5%. Zum 01.01.2025 stieg der Anpassungsfaktor um 2,47% auf einen Wert von 26,51. Die pauschale Anpassung anhand historischer Durchschnittswerte führt in vielen Fällen jedoch zu einer Unterversicherung oder zu Verzerrungen bei der Tarifkalkulation.
Warum es eine neue Form der Planbarkeit braucht
Schon jetzt zeichnet sich ab: Auch in den kommenden Monaten werden die Baukosten auf hohem Niveau bleiben. Und das nicht nur inflationsbedingt, sondern auch durch das milliardenschwere Infrastrukturpaket der künftigen Bundesregierung, das die Nachfrage nach Baustoffen und damit die Preise nach oben treiben wird. In den vergangenen Jahren zeigte die Entwicklung bereits eindeutig nach oben. Der Index belegt, dass sich die Preise für Wohngebäude im Zeitraum von 2010 bis 2022 um 64% erhöht haben. Die Inflationsrate ist im gleichen Zeitraum allerdings nur um 25% gestiegen.
Zwar steht die nächste Festlegung des Anpassungsfaktors und des Baupreisindex erst in einigen Monaten bevor – doch der Trend geht in eine klare Richtung. Versicherer sollten deshalb ihre Bestände rechtzeitig neu bewerten und ihre Tariflogik anpassen. Denn die heute genutzten Indexmodelle greifen zu kurz, um künftige Kostenrealitäten frühzeitig abzubilden. Wer sich auf Durchschnittswerte verlässt, riskiert strategische Blindflüge.
Profitabilität unter Druck – und kaum Spielraum für Fehler
Wie brisant die Lage für die Assekuranz ist, untermauert die Schaden-Kosten-Quote in der Wohngebäudeversicherung. Sie lag den jüngsten Zahlen des Versicherungsanalysten Assekurata zufolge 2023 bei 100,9%. Trotz teils signifikanter Prämienerhöhungen konnten viele Versicherer die gestiegenen Schadenleistungen also kaum ausgleichen. Auch 2025 dürfte herausfordernd werden – nicht zuletzt wegen immer öfter auftretender Extremwetterlagen, die den Versicherern die Profitabilität verhageln.
Für die kommenden Monate gilt daher: Versicherer müssen sich wetterfest machen und frühzeitig ihre Produkt- und Preisstrategien justieren. Bereits kleinste Fehleinschätzungen bei der Baukostenentwicklung oder bei der Wirkung des Anpassungsfaktors können große Löcher in die Bilanz reißen. Die Kalkulationsmodelle sollten daher nicht nur auf Indexdaten beruhen, sondern stärker differenzierte Prognoseinstrumente und Szenarioanalysen einbeziehen.
Um das eigene Produktportfolio profitabel auszurichten, sind jetzt insbesondere fünf Schritte notwendig:
- Regionalisierung und Risikodifferenzierung vorantreiben
Ein bundesweiter Standardfaktor ignoriert regionale Unterschiede bei Baupreisen im Allgemeinen und Lohn- sowie Materialkosten im Besonderen. Wer differenzierter kalkuliert – etwa nach PLZ-Regionen oder Risikozonen –, kann präziser steuern.
- Produktdesign dynamisieren
Anstelle starrer Versicherungssummen sind variable Modelle sinnvoll, die die Anpassungsmechanismen flexibler gestalten. Denkbar sind Tarife mit Indexkorridoren, automatischer Höchstwertprüfung oder modularen Zusatzbausteinen.
- Kundenkommunikation professionalisieren
Steigende Beiträge und neue Tarifstrukturen müssen nachvollziehbar bleiben. Vermittler brauchen Argumentationshilfen, um ihren Kunden die Tarifanpassungen, aber noch viel wichtiger den Mehrwert der einzelnen Bausteine der Wohngebäudeversicherung verständlich machen zu können. Versicherer, die hier Transparenz schaffen und die Kommunikation mit den Kunden optimieren, minimieren Abwanderung – und erhöhen die Zahlungsbereitschaft.
- Neuzuschnitt statt Weiter-so
Angesichts der zunehmenden Extremwetterereignisse funktioniert ein „Weiter-so“ nicht mehr. Die Branche braucht eine strategische Neuausrichtung ihrer Produkte – mit modularen Bausteinen, dynamischen Versicherungssummen und differenzierter Risikobewertung. Nur so bleibt der Schutz für die Kunden bezahlbar und gleichzeitig profitabel für die Versicherer.
- Rabatte strategisch neu ausrichten
Rabatte werden oft zu großzügig und ohne klare Strategie gewährt, auch bei Wohngebäudeversicherungen – das belastet die Profitabilität. Versicherer sollten bestehende Rahmen- und Kooperationsrabatte kritisch prüfen und dort ansetzen, wo schnelle Einsparungen möglich sind. Auch Marketingaktionen gehören auf den Prüfstand: Nur Rabatte mit echtem Absatzhebel sollten Bestand haben. Langfristig gilt es, Vermittleranreize und Rabattvergabe stärker zu verzahnen – etwa durch Boni für eine zurückhaltende Rabatthandhabung bei stabiler Neukundengewinnung. Entscheidend dabei ist, die vertraglichen Grundlagen für die Zusammenarbeit zwischen Versicherern und Vermittlern so anzupassen, dass eine gezielte Steuerung der Rabatte möglich ist. Ziel sollte eine stärker regelbasierte Rabattvergabe durch den Vermittler sein.
Alte Formeln reichen nicht mehr
Die Mechanismen der Vergangenheit bieten in Zeiten volatiler Märkte keine zuverlässige Orientierung mehr. Anpassungsfaktor und Baukostenindex bleiben wichtige Eckpfeiler – doch sie sollten nicht alleinige Grundlage für Kalkulation und Pricing sein. Versicherer, die jetzt ihre Modelle hinterfragen, datenbasierte Prognoseinstrumente nutzen und ihr Produktportfolio weiterentwickeln, sichern nicht nur ihre Profitabilität, sondern auch das Vertrauen ihrer Kunden. Klug geplante Prämienanpassungen, ein modularer Produktzuschnitt und eine zielgerichtete Kundenkommunikation sind dabei der Schlüssel zur Zukunftssicherung.
Diesen Beitrag lesen Sie auch in AssCompact 05/2025 und in unserem ePaper.


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