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11. Februar 2021
Zum Rechtsstatus des Mehrfachagenten

Zum Rechtsstatus des Mehrfachagenten

Obwohl das deutsche Vermittlerrecht seit der Umsetzung der EU-Vermittlerrichtlinie in nationales Recht klar zwischen Versicherungsmaklern und Versicherungsvertretern unterscheidet, hat sich die Rechtsfigur des Mehrfachagenten bis heute gehalten. Eine kurze Bestandsaufnahme von Hans-Ludger Sandkühler.

Polarisation von Versicherungsmaklern und -vertretern

Das Gesetz unterscheidet bei den Versicherungsvermittlern zwischen Versicherungsmaklern und Versicherungsvertretern. Versicherungsvertreter ist, wer von einem Versicherer oder einem Versicherungsvertreter damit betraut ist, gewerbsmäßig Versicherungsverträge zu vermitteln oder abzuschließen (§ 59 Abs. 2 VVG). Dagegen ist Versicherungsmakler, wer gewerbsmäßig für den Auftrag­geber – also für den Kunden – die Vermittlung oder den Abschluss von Versicherungsverträgen übernimmt, ohne von einem Versicherer oder einem Versicherungsvertreter damit betraut zu sein (§ 59 Abs. 3 VVG). Es kommt für die Abgrenzung also entscheidend darauf an, dass der Makler nicht von einem Versicherer oder Versicherungsvertreter, sondern vom Kunden betraut wird. Aus dieser Abgrenzung ergibt sich eine klare Lagerzuordnung: Der Versicherungsvertreter hat das Interesse des Versicherers wahrzunehmen; der Versicherungsmakler steht im Verhältnis zum Versicherer auf der Seite des Kunden und hat als dessen Sachwalter die Kundeninteressen wahrzunehmen.

Das Gewerberecht übernimmt diese Polarisierung ins Erlaubnisverfahren. Die IHK erteilt eine Erlaubnis entweder als Versicherungsmakler oder als Versicherungsvertreter und sorgt mit der entsprechenden Eintragung ins Versicherungsvermittlerregister für Transparenz: Der Vermittler muss sich also schon bei der Beantragung der Erlaubnis entscheiden, ob er als Vertreter im Lager des Versicherers oder als Makler im Lager des Kunden tätig sein will. Der Vermittler kann also nicht erst auf der Couch des Kunden entscheiden, ob er Makler oder Vertreter ist.

Einordnung des Mehrfachagenten

Ein Mehrfachagent vermittelt wie ein Versicherungsmakler an verschiedene Versicherer, ist aber nicht vom Kunden beauftragt, sondern von den Versicherern, mit denen er Agentur­verträge (Handelsvertretung) unterhält. Der Mehrfachagent ist Vertreter mehrerer Versicherungsunternehmen (vgl. § 34d Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GewO). Seine Agenturverträge enthalten kein Wettbewerbsverbot. Der Mehrfachagent ist deshalb – anders als der Einfirmenvertreter oder der Ausschließlichkeitsvermittler – nicht verpflichtet, Versicherungsverträge ausschließlich an ein Versicherungsunternehmen zu vermitteln. Er ist vielmehr berechtigt, für mehrere Versicherungsunternehmen zu vermitteln, und dabei frei in seiner Entscheidung, welchem Versicherungsunternehmen er das Geschäft zuführt. Auch der von mehreren Versicherern betraute Mehrfachagent ist Versicherungsvertreter im Sinne des § 59 Abs. 2 VVG. Es ist deshalb besser, ihn als Mehrfachvertreter zu bezeichnen.

Erstinformation

Beim ersten Geschäftskontakt muss der Mehrfachvertreter dem Kunden unter anderem mitteilen, dass er als Versicherungsvertreter mit einer Erlaubnis nach § 34d Abs. 1 GewO tätig ist.

Beratungsgrundlage

Anders als der Versicherungsmakler ist der Mehrfachvertreter nicht zu einer objektiven und ausgewogenen Marktuntersuchung verpflichtet, muss aber dem Kunden vor Abgabe der Vertragserklärung des Kunden klar und verständlich in Textform mitteilen, auf welcher Markt- und Informationsgrundlage er seine Leistung erbringt, und die Namen der seinem Rat zugrunde gelegten Versicherer angeben. Außer- dem muss er mitteilen, für welche Versicherer er seine Tätigkeit ausübt.

Beratungs- und Dokumentationspflichten

Für den Mehrfachvertreter gelten die allgemeinen Beratungs- und Dokumentationspflichten, die von allen Versicherungsvermittlern zu beachten sind (§ 61 Abs. 1 VVG).

Haftung

In Kreisen mancher Mehrfachvertreter hält sich nachhaltig das Gerücht, der Rechtsstatus des Mehrfachvertreters sei der Königsweg: Er beinhalte aufgrund der Verbindung zu zahlreichen Gesellschaften alle Vorteile eines Versicherungsmaklers, biete aber auf der Haftungsseite den Schutz der finanzstarken Versicherer, die der Mehrfachvertreter vertrete. Das ist zu kurz gesprungen. Nach früherem Recht kam die persönliche Haftung eines Vertreters grundsätzlich nur in Betracht, wenn er entweder ein besonderes persönliches Vertrauen in Anspruch nahm, das über das normale Verhandlungsvertrauen hinausging, oder ein besonderes wirtschaftliches Eigeninteresse verfolgte, das mehr war als das Provisionsinteresse und das Handeln des Vertreters wie ein Handeln in eigener Sache erscheinen ließ.

Darüber hinaus liefen Vertreter und Mehrfachvertreter Gefahr, als Pseudomakler wie ein Versicherungsmakler zu haften, wenn sie im Geschäftsverkehr mit Kunden ihren genauen Status und ihre Vertretungsverhältnisse nicht offenlegten und nach außen fälschlich den Anschein erweckten, sie seien als Versicherungsmakler tätig (Rechtsscheinhaftung).

Im aktuellen Vermittlerrecht sind alle Versicherungsvermittler, also auch Mehrfachvertreter, zum Ersatz aller Schäden verpflichtet, die ihren Kunden durch die Verletzung gesetzlicher Informations-, Beratungs- und Dokumentationspflichten entstehen (§ 63 VVG). Dabei ist zu beachten, dass der Gesetzgeber die von der Rechtsprechung entwickelte Rechtsscheinhaftung von Vertretern ins VVG übernommen hat. Gemäß § 59 Abs. 3 Satz 2 VVG gilt als Versicherungsmakler, wer gegenüber dem Versicherungsnehmer den Anschein erweckt, er erbringe seine Leistungen als Versicherungsmakler. Anders als im früheren Recht geht es aber wegen § 63 VVG nicht mehr darum, ob der Vertreter überhaupt haftet, sondern nur noch, in welchem Umfang. Wenn ein Vertreter aufgrund eines von ihm gesetzten Rechtsscheins als Versicherungsmakler anzusehen ist, ist er – anders als üblich – auch zur objektiven und ausgewogenen Marktuntersuchung verpflichtet, deren Verletzung zusätz­liches Haftungspotenzial bedeutet. Soweit Mehrfachvertreter in der Erstinformation pflichtgemäß ihre genaue Funktion angeben, ist die Gefahr der Rechtsscheinhaftung gering.

Eine Besonderheit der Tätigkeit eines Mehrfachvertreters besteht darin, dass er bei der Vertragsanbahnung zunächst nicht für einen bestimmten Versicherer auftreten kann, solange die Bedarfssituation noch nicht geklärt ist. Erst wenn ein konkreter Versicherungsvertrag eines bestimmten Versicherers ins Gespräch kommt, kann das Vertreterhandeln dem Versicherer zugeordnet werden. In der Literatur wird deshalb die Meinung vertreten, für Fehler in der Klärungsphase hafte der Mehrfachvertreter – je nach Auftreten auch wie ein Makler – allein. Für Fehler nach der Konkretisierung hafte – auch – der Versicherer.

Diesen Artikel lesen Sie auch in AssCompact 02/2021, Seite 72 f., und in unserem ePaper.

Bild: © pixelkorn – stock.adobe.com

 
Ein Artikel von
Hans-Ludger Sandkühler