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28. Oktober 2020
Zwischen Lockdown und Hoffnung: Wirtschaft in Corona-Zeiten

Zwischen Lockdown und Hoffnung: Wirtschaft in Corona-Zeiten

Wie hart trifft die Corona-Krise die deutsche Wirtschaft? Diese Frage hat durch einen möglichen Lockdown infolge der zweiten Welle wieder stark an Relevanz gewonnen – und stand im Zentrum der Diskussion der Top-Ökonomen Marcel Fratzscher und Clemens Fuest in der Speakers Corner der DKM digital.persönlich.

Mit Clemens Fuest, Präsident des ifo Instituts, und Marcel Fratzscher, Leiter des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), hat die DKM digital.persönlich zwei Top-Ökonomen für die diesjährige Speakers Corner gewonnen. Zusammen mit TV-Moderatorin Birgit Gräfin von Bentzel diskutierte das Duo am Mittwoch über die wirtschaftlichen Aspekte der Corona-Krise. Angesichts der zur gleichen Zeit stattfindenden Ministerpräsidentenkonferenz hätte das Thema kaum aktueller sein können.

Wieder Abschwung statt Aufschwung möglich

Marcel Fratzscher sieht angesichts der zweiten Welle der Pandemie eine starke Verunsicherung in Deutschland. Angestellte seien in Sorge um ihre Arbeitsplätze, Exporteure in Sorge darüber, was in anderen Ländern passiert. Durch die zweite Welle und die zu erwartenden Gegenmaßnahmen drohe der Aufschwung der letzten beiden Quartale zunichte gemacht zu werden. Bisher hätten Volkswirte meist optimistisch Ausblick auf 2021 geklickt. „Bei einer zweiten Welle, die noch stärker als im Frühjahr ist, kann es aber durchaus auch zu einem Abschwung kommen“, so Fratzscher.

Lage der Branchen sehr unterschiedlich

Auch Clemens Fuest schilderte eine deutliche Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage. Während der ersten Welle im Frühjahr sei die Wirtschaft in Deutschland um 13% geschrumpft, davon hat sie erst etwa die Hälfte wieder aufgeholt – und nun kommt die zweite Welle. Branchen seien aber sehr unterschiedlich betroffen. Exporte nach China hätten im August teilweise schon wieder auf Vorkrisenniveau gelegen. In anderen Bereichen, wie etwa Gastronomie und Unterhaltung, ist die Lage laut Fuest aber nach wie vor sehr schlecht. „Insgesamt sind geschätzt 20% der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigen weiter in Kurzarbeit“, gibt Fuest zu Bedenken.

Lieber kurz und schmerzhaft als zögerlich

Wenn es weitere Maßnahmen der Pandemiebekämpfung benötige, bevorzugt Marcel Fratzscher eine kurzen und scharfen Lockdown. „Natürlich würde ein Lockdown einen hohen wirtschaftlichen Schaden anrichten, vor allem in bestimmten Branchen. Aber was wäre die Alternative? So weiterzumachen wie bisher, wäre für die Wirtschaft deutlich schädlicher“, meint Fratzscher. Wenn man nicht versuche, die zweite Welle klug zu durchbrechen, würden vielen Menschen krank und könnten nicht mehr arbeiten. Zudem bekämen sie Angst und würden daher nicht mehr konsumieren. Ein schneller und harter Lockdown sei daher die beste Option – unter der Einschränkung, dass Schulen und Kindergärten diesmal nicht geschlossen werden.

Temporäre Gastronomieschließung wäre verkraftbar

Clemens Fuest sieht die Schließung von Schulen und Kindergarten ebenfalls als wenig sinnvoll an. Studien würden belegen, dass dort das Ansteckungsrisiko relativ gering ist. Eine Schließung der Gastronomie sei hingegen finanziell verkraftbar. Die Branche habe vor der Krise eine jährliche Wirtschaftsleistung von 52 Mrd. Euro gehabt. Derzeit ist nur die Hälfte aktiv. Somit lägen die Kosten für eine Gastronomieschließung bei 500 Mio. Euro pro Woche. Das sei für die Betroffenen zwar schlimm, gesamtgesellschaftlich aber verkraftbar.

Aufruf zur differenzierten Betrachtung

Insgesamt rief Fuest dazu auf, mehr über die Details der Maßnahmen zu reden. „Wirtschaftlich ist wichtig, dass wir nicht wieder geschlossene Grenzen haben und dadurch industrielle Wertschöpfungsketten gebrochen werden“, forderte Fuest. Das wäre sehr teuer und bringe zudem auch noch wenig für den Infektionsschutz. „Beim Shutdown muss man in den Bereichen ansetzen, die für das Infektionsgeschehen eine relevante Rolle spielen“, so der ifo-Präsident. Wichtig sei zudem eine regional differenzierte Vorgehensweise statt eines bundesweiten allgemeinen Lockdowns.

Rücklagen weitestgehend aufgebraucht

Fratzscher zufolge verkraftet die deutsche Wirtschaft allerdings gar keinen Lockdown mehr. „Viele Unternehmen haben sich während der ersten Welle bereits stark verschuldet und ihre Rücklagen aufgebraucht“, so der DIW-Ökonom. Gerade deswegen sei es wichtig, dass die Maßnahmen zeitlich sehr begrenzt getroffen werden. Zudem müssten Unterstützungen schnell und zielgerichtet fließen. Dabei dürfe man aber die Fähigkeiten des Staates nicht überschätzen. „Der Staat kann nicht alle Unternehmen retten, auch wenn das manchmal so dargestellt wird. Es geht darum, denjenigen zu helfen, die betroffen sind. Frühes, entschiedenes Handeln ist der Schlüssel, damit in ein paar Wochen nicht doch noch ein noch härterer Lockdown nötig wird“, so Fratzscher.

Drohende Insolvenzwelle Anfang 2021

Trotz aller Unterstützungen droht Fratzscher zufolge Anfang 2021 eine Welle der Unternehmensinsolvenzen. Wie viele Insolvenzen genau drohen, konnte auch Clemens Fuest nicht präzise prognostizieren. Wichtig sei vor allem, dass sichergestellt wird, dass funktionierende Geschäftsmodelle weitergeführt werden können. Dennoch sieht er in der Verlängerung des Kurzarbeitergeldes bis Ende 2021 ein falsches Signal. Leute würden dafür bezahlt, zuhause zu bleiben. Anreize in andere Berufe zu wechseln, würden dadurch reduziert. In diesem Punkt wären flexiblere Lösungen gefragt.

Keine typische Wirtschaftskrise

Fratzscher begrüßte hingegen die Verlängerung des Kurzarbeitergeldes bis Ende 2021. „Wir haben keine typische Wirtschaftskrise. Es geht erstmal um Stabilisierung, auch der Arbeitsplätze. Wenn Menschen jetzt arbeitslos werden, werden sie längere Zeit brauchen, bis sie in ihren Beruf wieder zurückkehren können“, meinte der DIW-Ökonom.

Strukturwandel nicht aus den Augen verlieren

Bei all der kurzfristigen Stabilisierung dürften allerdings die dringend notwendigen Herausforderungen des Strukturwandels nicht vernachlässigt werden. Darin sind sich die beiden Ökonomen einig. Fratzscher nannte als Musterbeispiel die Automobilindustrie. Sie müsse sich schneller hin zu alternativen Antrieben entwickeln. Wirtschaftliche Hilfen sollten immer auch den allgemein notwendigen Strukturwandel berücksichtigen und ihn vorantreiben statt bremsen.

Mehrwertsteuersenkung nicht verlängern

Auch in Bezug auf eine mögliche Verlängerung der bis Jahresende befristeten Mehrwertsteuersenkung herrscht Einigkeit unter den Wirtschaftswissenschaftlern. Beide lehnen eine solche Verlängerung ab. Fratzscher nennt dafür zwei Gründe. Erstens sei sie mit 20 Mrd. Euro allein für ein halbes Jahr sehr teuer. Zweitens wollte man damit vor allem Vorzugseffekte erzielen. Das würde bei einer Verlängerung oder gar permanenten Senkung wegfallen. Darüber hinaus sei die Wirkung auch noch beschränkt gewesen. „Es wäre besser, gezielt die Branchen und Menschen zu unterstützen, die besonders stark betroffen sind“, so Fratzscher.

Ersparnisse sind sogar gestiegen

Clemens Fuest würde die Mehrwertsteuersenkung ebenfalls nicht verlängern. Durch sie würden schließlich auch viele Unternehmen begünstigt, die gar keine Hilfe bräuchten. „Es ist wichtig, gezielt vorzugehen“, meint Fuest. Eine so breit wirkende Maßnahme wie die Mehrwertsteuersenkung sei hierfür nicht geeignet. Darüber hinaus sei der Konsum stark gesunken, obwohl die verfügbaren Einkommen bisher kaum gesunken sind. Dadurch sind die Ersparnisse stark gestiegen, zumal die Menschen das Geld teilweise gar nicht ausgeben konnten, weil Geschäfte geschlossen und Reisen nicht möglich waren oder sind.

Verlustrücktrag ausdehnen statt Mehrwertsteuer senken

Fuest schlägt als zielgerichtetere Maßnahme unter anderem eine Ausdehnung des Verlustrücktrags vor. „Das würde genau den betroffenen Unternehmen helfen, die von der Pandemie betroffen sind“, so Fuest. Daneben sollten Hilfen für die Branchen aufgestockt werden, die durch staatliche Restriktionen geschlossen werden. Politik müsse Entscheidungen fällen, die unterschiedliche Gruppen sehr unterschiedlich betreffen. Das sei unfair. Die Unfairness könnte man aber durch staatliche Hilfen für besonders betroffene Personen und Betriebe ausgleichen. (mh)

Die DKM geht bis zum 29.10.2020. Eine Anmeldung ist jederzeit hier möglich. Bereits angemeldete Teilnehmer gelangen hier direkt auf die digitale Messeplattform.