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12. Februar 2021
Ökosysteme: Lebenswelten steigern Kundennutzen

Ökosysteme: Lebenswelten steigern Kundennutzen

Die Integration von Produkten und Services rund um Lebenswelten ermöglicht Versicherern neue Umsatzpotenziale. Bis zu 10% des Absatzes erwarten Versicherungsexperten künftig durch Ökosysteme wie eine Studie der Unternehmensberatung Accenture zeigt.

Von Markus Zimmermann, Geschäftsführer und Leiter Insurance Strategy bei Accenture in DACH

Das Versicherungsgeschäft erscheint auf den ersten Blick stabil: Von 2016 bis 2019 wuchsen die Beitragseinnahmen der deutschen Versicherer um rund 12%. 446 Millionen Einzelverträge sicherten 2019 die Risiken von Haushalten und Unternehmen ab. Trotzdem sehen neun von zehn Versicherungsexperten klaren Handlungsbedarf für ihre Branche: „Schneller, offener, datengetriebener“ sollen Versicherer werden. Zudem sehen rund neun von zehn Befragten einen strategischen Schwer­punkt in „Agilität und Innovationsgeschwindigkeit“, gefolgt von „Plattformen und Datenanalysefähig­keiten“ und „Schnittstellen“. Die Studie „Ökosysteme in der Versicherungsindustrie“ von der Unternehmensberatung Accenture zeigt, dass die Kundenorientierung und Plattformmodelle von Amazon, Google und Co. die Erwartungshaltung der Kunden im Versicherungsgeschäft prägen und Versicherer diese konsequenter adressieren müssen.

2025: 10% des Umsatzes im Privatkundensegment über Ökosysteme

Versicherungsklassiker wie Kfz- und Hausrat-, Lebens- und Krankenversicherung wird es auch künftig geben, jedoch zunehmend im Kontext relevanter Situationen und Lebenswelten. Die Versicherung wird hier als Komponente eines Ökosystems eingebunden. Am Beispiel Mobilität bedeutet das: Der Kunde möchte unterwegs abgesichert sein, ob auf dem Weg zur Arbeit oder in den Urlaub. Wer heute eine Reise bucht oder ein Elektroauto kauft, erhält oft die relevanten Versicherungen bereits als Teil des Angebots. Der Kunde befindet sich also in einer Lebenswelt „Mobilität“ und hat Zugang zu allen Produkten und Services rund um das Thema Fortbewegung – inklusive der dazugehörigen Absicherungsthemen. Der Versicherer tritt dabei oft nicht mehr in Erscheinung. In ähnlicher Weise kann die Hausratversicherung Teil der Lebenswelt „Heim und Haus“ werden und die Lebens- oder Krankenversicherung Teil von „Gesundheit und Fitness“.

Das macht sich zunehmend im Umsatz bemerkbar: Von 3 auf 10% soll der Umsatzanteil aus Ökosystemen im Privatkundensegment bis zum Jahr 2025 steigen, insbesondere getrieben durch Lebenswelten wie „Arbeit und Beruf“, „Konsum und E-Commerce“ oder „Mobilität“. Auch im Firmenkundensegment ist ein Plus zu erwarten: Der Umsatzanteil wird bis 2025 von 3 auf 7% steigen, hier insbesondere durch „Finanzen und Bilanzierung“, „Cybersicherheit“ oder „Mehrwertservices für Mitarbeitende“. Die Versicherungskundschaft schätzt integrierte Lösungen, sodass Ökosysteme ein attraktives Geschäftsfeld für Versicherer werden.

Ökosysteme: Technische Fähigkeiten als wichtige Voraussetzung

Künftig soll nicht allein die Zah­l­ung im Schadenfall Kern der Kundenerfahrung sein. Stattdessen geht es darum, Leistungen und Produkte bereitzustellen, die innerhalb einer Lebenswelt ein gesamtheitliches Kun­denerlebnis ermöglichen. Ein Versicherer muss die technologischen und prozessualen Voraussetzungen dafür schaffen, ein Ökosystem zu betreiben oder daran teilzunehmen. Dazu gehört, geeignete Plattformen bereitzustellen, Omnikanal-Fähigkeiten zu stärken, relevante Daten verfügbar zu machen und eigene sowie externe Produkte und Services zu integrieren oder integrierbar zu machen. Vor diesem Hintergrund müssen sich Versicherer noch intensiver damit beschäftigen, die entsprechenden Fähigkeiten aufzubauen, datengetriebene Geschäftsmodelle zu entwickeln und ihre Angebote kundenzentrierter für Ökosystem-Plattformen bereitzustellen.

Wichtige Mission: An der Kundenschnittstelle relevant bleiben

Versicherer müssen sich künftig im Privatkundensegment in Ökosysteme integrieren, um an der Kundenschnittstelle relevant zu bleiben und Wachstum zu ermöglichen. Das bestätigten die Studienteilnehmenden mehrheitlich mit 76%. Dabei müssen sich Versicherer für eine Rolle entscheiden: Als Orchestratoren sind sie die Hauptbetreiber und verantwortlich für ein Ökosystem sowie die dazugehörige Plattform. Sie legen die Regeln der Partnerschaften fest. Systemrelevante Schlüsselpartner bieten zentrale Services an, Produkt- und Service­geber wiederum steuern einzelne Angebote bei. Jeder Teilnehmer im Ökosystem trägt zu Kundennutzen und Gewinn bei. Doch Orchestratoren und Schlüsselpartner müssen investieren, vor allem wenn das Ziel schnell sichtbares Wachstum ist. Wer Netzwerkeffekte nutzen will, muss über die nötige Infrastruktur verfügen und die Teilnahme von Kunden oder Partnern am Öko­system zu Beginn auch mal subventionieren. Umgekehrt behält der Orchestrator – im Gegensatz zum reinen Produktgeber – langfristig die strategische Kontrolle über den Kundenzugang. Er kann dauerhaft relevanter für seine Kunden werden und neue Wachstums- und Erlösfelder erschließen.

Die relevantesten Lebenswelten: Welche Ökosysteme die größten Chancen bieten

Laut Studie werden neben „Mobilität“ die Bereiche „Pflege und Alltagshilfe“ sowie „Gesundheit und Fitness“ als die am strategisch relevantesten B2C-Lebenswelten eingeschätzt. Doch das muss nicht für jeden Versicherer gelten. Vielleicht passen andere Lebenswelten besser zur eigenen Markt- und Kundenpositionierung. Essenziell ist, ganzheitlich über die Themen und Erwartungen in einer bestimmten Lebenswelt nachzudenken und sich beim Produkt- und Servicedesign eng an den Kundenbedürfnissen zu orientieren. Ein Versicherer bietet älteren Menschen beispielweise eine Art Rundum-sorglos-Paket an: Das Ökosystem aus verschiedenen Serviceanbietern enthält neben Versicherungsleistungen auch unterstützende Dienste wie Reparaturen in der Wohnung oder Hilfe bei Einkäufen. Ein wichtiger Nebeneffekt: Versicherer können sich vom Schadenregulierer zum Servicepartner entwickeln, der den Kunden in seinen Alltagsproblemen unterstützt.

Versicherungen und Ökosysteme: CEOs erkennen den Wert

Bei allen Chancen, die Öko­systeme bieten, zeigt die Studie aber auch drei Kernherausforderungen: Es braucht eine neue Art, in ganzheitlichen Angeboten und Lösungen zu denken und sich an kundenorientierten Bedarfsfeldern zu orientieren, weniger an Produkten. Außerdem fehlt oft noch die technische Basis, um Ökosysteme aufzusetzen oder sich ihnen anzuschließen. Nicht zu unterschätzen sind zudem die Fähigkeiten, die für ein Arbeiten in Netzwerken, branchenübergreifende Serviceorientierung und Entwicklung neuer Geschäftsmodelle benötigt werden. An einem mangelt es jedoch nicht: am Willen der CEOs. Denn die Mehrheit der Versicherungsmanager hat die wachsende Bedeutung von Ökosystemen erkannt. Während aktuell mehr als jeder zweite CEO dem Thema eine hohe Priorität beimisst, werden es laut der Studie in drei Jahren mehr als 90% sein. Kein Wunder, denn gemessen an der aktuellen Versicherungsleistung könnten in fünf Jahren über 20 Mrd. Euro im deutschen Versicherungsmarkt durch Ökosysteme erbracht werden.

Diesen Artikel lesen Sie auch in AssCompact 01/2021, Seite 90 f., und in unserem ePaper.

Bild: © vegefox.com – stock.adobe.com

 
Ein Artikel von
Markus Zimmermann