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23. Juli 2021
„Die gleichen Methoden, die auch Wahrsager benutzen“

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„Die gleichen Methoden, die auch Wahrsager benutzen“

Keine Verschwörungstheorie ist die Inflation. Sie kletterte zuletzt auf 2,5%. Kommt die Inflation nun dauerhaft zurück oder ist das eher ein kurzes Aufflackern?

Darauf kann ich nur die klassische Antwort eines Ökonomen geben: Es kommt darauf an. Dafür spielen vor allem zwei Einflüsse eine Rolle. Kurzfristig ist das ganz klar die Corona-Pandemie. Da deutet einiges darauf hin, dass es kurzfristig zu erhöhten Preisen kommt. Auf der Angebotsseite sind Lieferketten unterbrochen und Kapazitäten reduziert worden. Die Frage ist, wie schnell sich das wieder aufbauen lässt. Auf der anderen Seite, der Nachfrageseite, sehen wir, dass die Leute im vergangenen Jahr sehr viel mehr gespart haben als sonst. Diese Überschussersparnisse drohen jetzt zu einer deutlich erhöhten Nachfrage zu werden. Dazu kommen noch die umfassenden Fiskalpakete der Regierungen. All das sprich kurzfristig für inflationäre Tendenzen. Teilweise sehen wir sie ja bereits.

Und langfristig?

Auch da sieht es zumindest problematisch aus. Seit mehr als zehn Jahren fluten die großen Notenbanken die Welt mit Geld. Zumindest nach alten Lehrbuchtheorien deutet das langfristig auf erhöhte Preise hin. Hinzu kommen noch die bereits erwähnten umfassenden Fiskalpakete und die historisch niedrigen Zinsen. Wenn die Staaten zudem irgendwann mal von ihren Schuldenbergen herunterkommen wollen, ist Inflation die scheinbar bequemste Möglichkeit.

Ist die Theorie aber so einfach auf die Praxis übertragbar?

Kritiker der Hypothese sagen, dass wir diese Entwicklung ja schon seit Jahren haben und dennoch nichts von einer Inflation gesehen haben. Eine Theorie, die ich durchaus unterstütze, besagt, dass die riesigen Geldmengen nicht in die Gütermärkte, sondern nur in die Vermögensmärkte fließen. Statt zu einer Güterinflation kommt es deshalb zu einer Inflation der Vermögenspreise. Die normale Inflation misst nur die Teuerung eines Güterkorbes. Vermögensgüter wie Aktien, Anleihen Immobilien oder Rohstoffe fließen darin nicht mit ein. Das könnte zum Teil erklären, warum der Dax so hoch ist und warum Immobilien so teuer sind. Vielleicht haben wir also die ganze Zeit auf die falsche Inflation gestarrt, nämlich auf die Inflation von Brokkoli und Pizza. Die sind nach wie vor relativ günstig. Aktien und Immobilien nicht mehr. Dann kommt etwas anderes hinzu.

Was?

Die Erwartungen. Die Leute machen sich ein Bild davon, wie Wirtschaft funktioniert, und reagieren darauf. Steigende Geldmengen und hochverschuldete Staaten bedeuten für sie eine zukünftige Inflation. Auf diese Erwartung reagieren sie bereits, bevor die Inflation kommt, und fliehen zum Beispiel in Sachwerte, um der drohenden Inflation zu entkommen.

So ganz rational agieren die Sparer aber nicht, wenn sie so viel Geld wie nie auf Sparbüchern und Girokonten bunkern ...

Ja, das liegt an der Habitualisierung. Übersetzt: Wir tun das, was wir immer tun. In dem Fall also bei steigender Unsicherheit mehr Geld auf das Sparbuch legen. Das scheint gerade in der deutschen Mentalität fest verankert zu sein. Zum Teil erbt man das Investmentverhalten der Eltern. Und unsere Eltern haben oft ihr Leben lang gesagt: Wir gehen auf Nummer sicher. Aktien waren lange Zeit nicht Teil der deutschen Anlagekultur. Und als sie es geworden sind, ging es Anfang der 2000er-Jahre ordentlich in die Grütze. Für die deutsche Aktienkultur kam der Zusammenbruch des Neuen Markts zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt. Das wirkt sicherlich bis heute nach.