AssCompact suche
Home
Assekuranz
22. August 2021
„Für einen mittelständischen Versicherer ist das eine unglaublich tolle Entwicklung“

„Für einen mittelständischen Versicherer ist das eine unglaublich tolle Entwicklung“

Die Bayerische hat die Marke von einer Million Kunden geknackt und baut das nachhaltige Angebotsspektrum von pangaea.life aus. Der Versicherer wünscht sich eine Transparenzoffensive der Branche und mehr Liberalismus bei der Frage der Vergütung für Vermittlung und Beratung.

Interview mit Martin Gräfer, Vorstand der Versicherungsgruppe die Bayerische
Herr Gräfer, seit über zehn Jahren sind Sie bei der Bayerischen. Es scheint gut zu passen?

Über die Entwicklung der Bayerischen seit meinem Start bin ich sehr glücklich. Gemeinsam haben wir es in dieser Zeit geschafft, aus dem ehemaligen Sorgenkind der Branche einen Innovator und Wachstumsmotor zu machen.

Als „Markenbildner“ der Bayerischen versuchen Sie das Reinheitsgebot und Innovationen zusammenzufügen. Auch das scheint zu funktionieren. Mit den Geschäftszahlen können Sie zufrieden sein, oder?

Die Bayerische verzeichnete nach dem Rekordjahr 2019 trotz der Corona-Krise ein sehr erfolgreiches Geschäftsjahr 2020 und konnte unter Beweis stellen, dass sie ein Mittelständler mit hoher Finanzkraft und Stabilität ist. Zudem haben wir die Marke von einer Million Kunden geknackt. Für die Bayerische als mittelständischen Versicherer ist das eine unglaublich tolle Entwicklung.

Vor rund zwölf Jahren sah das noch anders aus. Die Finanzkrise hatte der Bayerischen zu schaffen gemacht. Sorglos ist die heutige Situation aber auch nicht. Wie sehr macht Ihnen – auch als Verfechter der Riester- Rente – der Niedrigzins zu schaffen?

Die negativen Zinsen sind eine sehr große Herausforderung – und das nicht nur für unsere Branche. Es ist unsere Aufgabe, die Kunden darüber aufzuklären, welche Zusammenhänge zwischen Kapitalmarktzins, Garantiezins und Überschussbeteiligung bestehen und welche Größenordnungen die entgangenen Erträge eines Kunden haben. Zudem ist es sehr bedauerlich, dass die Politik sehenden Auges eine von ihr initiierte und sehr erfolgreiche Form der ergänzenden Altersvorsorge zugrunde gehen lässt. Die Riester-Rente leistet einen wichtigen sozialpolitischen Beitrag.

Der neue Höchstrechnungszins ab 2022 erhöht den Druck. Wie sollen Vermittler denn damit in der Beratung umgehen?

Die Senkung des Höchstrechnungszinses ist ein Einschnitt für das Geschäftsmodell der deutschen Lebensversicherung. Mit dem neuen Höchstrechnungszins kann die Bruttobeitragsgarantie bei gleichbleibenden Kosten nicht mehr dargestellt werden. Vermittler stellt das vor eine besondere Aufgabe: Sie müssen ihren Kunden Wege aufzeigen, wie sie ohne die gewohnten Garantien dennoch ruhigen Gewissens Vorsorge betreiben können. Gefragt sind innovative Lösungen, die durch kluge Investitionen Sicherheit und Rendite in Einklang bringen. Mit unseren Vorsorgeprodukten der pangaea.life verknüpfen wir beispielsweise genau das zusätzlich noch mit dem Zukunftsaspekt der Nachhaltigkeit.

Mit pangaea.life sind Sie auf Erfolgskurs. Nachhaltige Produkte bieten Sie mittlerweile in LV und in Sach an. Wohin, glauben Sie, wird sich das Thema in der Beratung entwickeln?

Ich bin der festen Überzeugung: In wenigen Jahren werden Nachhaltigkeitsaspekte einen festen Platz in der Beratung einnehmen. Für Vermittler wird es in Zukunft darauf ankommen, den verbreiteten Greenwashing-Verdacht vieler Kunden mit transparent nachhaltigen Produkten zu entkräften. Hier sehe ich Versicherer in der Pflicht vorzulegen: Mit unserer digitalen Investmentreise geben wir Vermittlern zum Beispiel die Möglichkeit, ihre Kunden hautnah zu den Energie-Investments des Fonds mitzunehmen. Nachhaltigkeit transparent und greifbar zu machen, darum muss es gehen. Dabei ist für uns Blau das neue Grün – blaue Ökologie ist im Unterschied zur grünen keine Verzichts- und Angstökologie, sondern eine neue Idee von Fortschritt, bei der es um mehr Lebensqualität geht.

Sie bauen Ihr Angebot in dem Bereich aus und kooperieren zudem mit der NÜRNBERGER. Wie genau sehen die Pläne aus?

Wir möchten die Wachstumsstory der pangaea.life fortschreiben. Neben unserem Erneuerbare-Energien-Fonds (blue energy) wird es daher Ende des Jahres einen zweiten eigenen Sachwerte-Fonds geben, der in der Branche einmalig ist. Dieser wird es Kunden ermöglichen, direkt in nachhaltige Immobilien (blue living) zu investieren und mit ihrer Zukunftsvorsorge einen Beitrag für klimaneutrale Städte zu leisten. Wir freuen uns sehr, mit der NÜRNBERGER einen starken Partner gefunden zu haben, mit dem wir das Wachstum der pangaea.life weiter vorantreiben werden. Die NÜRNBERGER vertreibt die pangaea.life Investment­rente fortan als Konsortialpartner und investiert auch selbst in die Nachhaltigkeitsfonds. Die Bayerische bleibt Risikoträger und wird Konsortialführer.

Wird eine eventuelle Regierungsbeteiligung der Grünen weiteren Einfluss auf die nachhaltige Entwicklung in der Assekuranz haben?

Das ist gut möglich. Allerdings halte ich noch mehr politische Regulierung für den falschen Weg. Die Branche hat das wachsende Kundeninteresse an nachhaltigen Lösungen längst erkannt und vergrößert ihr Angebot auf breiter Front. Das Umdenken ist hier in vollem Gange. Natürlich fordern Kunden gerade in diesem Bereich zu Recht Transparenz. Für Versicherer muss daher gelten: Kommen wir vor die Welle der Regulierung und lassen wir diese durch eine Transparenzoffensive ins Leere laufen.

Wie wird es dann mit Provisionen aussehen?

Wir brauchen mehr Liberalismus bei der Frage der Vergütung für Vermittlung und Beratung. Alle Vermittler sollten auf sämtliche Vergütungsformen zurückgreifen können. Natürlich immer transparent und in Abstimmung mit den Kunden. Eine pauschale gesetzliche Begrenzung von Provisionen ist Unfug und wohl auch verfassungsrechtlich kaum haltbar. Leider ist es uns als Branche bisher nicht gelungen, glaubwürdig deutlich zu machen, dass die oft zitierten „Provisionsexzesse“ entweder ein Märchen oder ein Relikt vergangener Zeiten sind. Statt politischer Regulatorik benötigen wir freiwillige Regelungen und Vorschläge unserer Branche.

Es gehört auch zu Ihren Aufgaben, die Digitalisierung in Ihrem Haus voranzutreiben. Wie geht es in der digitalen Kommunikation mit Vertriebspartnern voran?

Für eine individuelle und umfängliche digitale Beratung bieten wir unserem Vertrieb und unseren Kunden schon heute verschiedene Lösungen. Die von unserer Tochter iS2 entwickelte digitale Unterschrift InSign, unser neuer digitaler Kundenmanager oder die zusammen mit dem Start-up flexperto entwickelten Lösungen zur Online-Beratung sind nur einige Beispiele. Digitale Transformation bedeutet aber auch, alle unsere Mitarbeitenden und Vertriebspartner auf diesem Weg mitzunehmen und sie aktiv einzubinden.

Sie selbst sehen Amazon als Vorbild für die Branche. Mit welchen Services sollte sich die Branche nicht mehr allzu lange Zeit lassen?

Den Vorbildcharakter sehen wir in der speziellen Amazon-Philosophie dem Kunden gegenüber: Wie kein zweites Unternehmen denkt Amazon die eigenen Leistungen stets vom Kunden her und rückt ihn in das Zentrum des eigenen Handelns. Für uns als Versicherer bedeutet das: da sein, noch bevor der Kunde überhaupt weiß, dass er uns braucht, und damit das Versichern vielleicht sogar überflüssig machen. Deswegen sehen wir uns für die Zukunft mehr in der Rolle des Risikopartners statt des Schadenregulierers. Konkret denken wir etwa zunehmend in Ökosystemen. Mit unserer Prime-Home-Police bieten wir beispielsweise eine Art ADAC für das Eigenheim – mit allen nur erdenklichen Services, die rund um das eigene Haus anfallen können.

Was sind Ihre weiteren Pläne für die nächsten Monate?

Der neue pangaea.life blue living Fonds ist eines der absoluten Highlights. Auch darüber hinaus stehen die nächsten Monate klar im Zeichen der Nachhaltigkeit. Zum 01.07.2021 haben wir unsere Gewerbepolice um den pangaea.life Nachhaltigkeitsbaustein kostenfrei erweitert. Dieser sieht nach einem Schaden Mehrleistungen in Höhe von 20% unter anderem für nachhaltig produzierte Ersatzprodukte wie Bodenbeläge, Farben sowie technische oder elektronische Geräte in einer höheren Energieeffizienzklasse vor. Im Falle eines Brandes wird das durch das Feuer freigesetzte CO2 klimaneutral gestellt.

Das Interview lesen Sie auch in AssCompact 08/2021 und in unserem ePaper.

Bild oben: © emerald_media – stock.adobe.com; Porträtfoto: © die Bayerische

 
Interview mit
Martin Gräfer