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17. Januar 2022
„Junge Generation wird einen Job mit guter Betriebsrente fordern“

„Junge Generation wird einen Job mit guter Betriebsrente fordern“

Die private und betriebliche Altersvorsorge wird aktienorientierter und nachhaltiger. Dieser Wandel muss den Kunden erklärt werden und da fällt Vermittlern eine zentrale Rolle zu, meint Dr. Henriette Meissner. Bei der bAV steigt der Druck dagegen schon allein aufgrund der demografischen Entwicklung.

Interview mit Dr. Henriette Meissner, Geschäftsführerin der Stuttgarter Vorsorge-Management GmbH und Generalbevoll–mächtigte für die bAV der Stuttgarter Lebensversicherung a. G.
Frau Dr. Meissner, ein neues Jahr beginnt, die Niedrigzinsphase bleibt. Bleibt sie die größte Herausforderung in der Altersvorsorge?

Die größte Herausforderung bleibt, möglichst viele Menschen gut zu versorgen. Für die gute Versorgung ist es wichtig, dass die Regierung „die Kraft der Aktien“ endlich entfesselt. Der Koalitionsvertrag deutet das an und wird das hoffentlich schnell umsetzen.

Scheint also die Zeit gekommen, dass die Angst der Deutschen vor aktienorientierten Produkten schwindet. Spüren Sie das jetzt schon?

Das Kapitalmarktumfeld treibt die Entwicklung. Und es ist gut, dass die Ampel jetzt auch in der gesetzlichen Rentenversicherung einen Aktienimpuls setzt. Der gut informierte Vermittler ist gefordert. Er ist sozusagen der Transmissionsriemen zum Kunden und erklärt zum Beispiel, dass eine hohe Garantie eine Garantie auf eine sehr niedrige Rendite ist, bei der Kaufkraft durch die Inflation „aufgefressen“ wird. Dann versteht der Kunde, warum ein höheres Engagement in Aktien und die damit verbundene höhere Sicherheit in Inflationsszenarien hochattraktiv ist. Schon heute werden entsprechende Produkte sehr gut angenommen.

Weniger Garantien, genauso viel Sicherheit. Lässt sich das wirklich gut erklären?

Ja, und nicht nur erklären, sondern auch mathematisch beweisen. Hier rate ich jedem, der das noch nicht gemacht hat, die beiden Studien der ifa Ulm aus dem Jahre 2021 zu abgesenkten Garantien, die man kostenlos herunterladen kann, zu lesen. Denn in der Niedrigzinsphase zusammen mit einem Inflationsanstieg kann eine sichere Altersversorgung nur dann funktionieren, wenn man mehr Aktien bei abgesenkter Garantie in die Altersvorsorge einbaut. Daher sind die neuen Produkte gerade auch für sicherheitsorientierte Kunden geeignet. Das ist für unsere Kunden wie für uns ein Umdenken. Denn ehrlicherweise konnten wir seit den 1990er-Jahren die Inflation vernachlässigen. Die angesprungene Inflation spürt jeder im Portemonnaie und hilft uns bei der Argumentation.

Sie haben die Rolle der Vermittler und Vermittlerinnen schon angesprochen. Liegt es vor allem an ihnen, dass die neue Herangehensweise verstanden wird?

Genau hier zeigt sich, warum wir gut ausgebildete Vermittler brauchen: Sie sind die Erklärer und Transmissionsriemen dieser neuen Entwicklung. Es reicht doch nicht aus, dass die Regierung sagt: „Kauft mehr Aktien für die Vorsorge.“ Das neue Gleichgewicht zwischen Sicherheit und Rendite muss erklärt und verstanden werden. Das ist die Stärke unserer Vermittler.

Ihr großes Thema ist die bAV. Die Arbeitgeber dürften nun mittlerweile verstanden haben, dass die bAV auch ein Instrument zur Mitarbeitergewinnung ist. Bleibt die bAV aber auch bei jungen Leuten ein Anreiz?

Die junge Generation hat sehr gut verstanden, dass für sie die Rente nicht so sicher ist wie für den jetzigen Rentner. Gleichzeitig werden sie die größte Freiheit bei der Jobwahl haben. Die Kombination ist dann eigentlich ein No-Brainer: Diese Generation wird nicht nur einen guten Job, sondern auch einen guten Job mit einer guten Betriebsrente fordern. Die gut kommunizierte Betriebsrente ist also gerade für junge Leute ein Anreiz. Und genau dort kann der Vermittler ansetzen.

Interessant dürfte für viele vor allem eine arbeitgeberfinanzierte bAV sein. Wie überzeugt man Arbeitgeber von diesem Modell?

Gar nicht. Die Überzeugungsarbeit übernimmt schon jetzt der demografische Druck. Wenn Lehrstellen zu Leerstellen werden und der Arbeitsmarkt nicht genügend Arbeitskräfte – egal auf welcher Qualifikationsebene – liefert, dann müssen sich Arbeitgeber überlegen, was sie Beschäftigten bieten wollen. Und da steht die Betriebsrente plötzlich ganz oben auf der Wunschliste. Wir müssen den Arbeitgebern nur diese Möglichkeit aufzeigen und es ihm mit guten Konzepten so einfach wie möglich machen. Haben wir seit 2002 noch fighten müssen, dass der Arbeitgeber „Entgeltumwandlung“ erlaubt, dreht sich das jetzt massiv. Statt der alten Wahrheit, dass Arbeitgeber aus einer Fülle von Bewerbern auswählen können, hat jetzt der Beschäftigte die Macht. Da müssen wir alle mental den Schalter umlegen.

Nächstes Jahr soll bereits die Wirkung des Betriebsrentenstärkungsgesetzes (BRSG) überprüft werden. Wie nah ist denn die bAV an einem Obligatorium mit der Möglichkeit eines Opting-out?

Das steht immer mal wieder im Raum. Für mich gilt: Arbeitgeberfinanzierung ist das bessere Opting-out, da dann alle versorgt sind. Da sollten wir noch viel stärker ansetzen. Wenn man die Niedrigverdienerförderung nach § 100 EStG richtig nutzt, hat man eine Förderquote von bis zu 51% der Beiträge. Das ist doch ein Rhythmus, wo jeder Arbeitgeber mit muss, wenn man ihn denn dazu auffordert und informiert.

Wenn wir zunächst noch auf das Jahr 2022 sehen, welche Neuerungen oder Änderungen liegen denn neben dem Niedrigzins und der Demografie zudem im Fokus der bAV?

In Neudeutsch würde man sagen, dass die arbeitgeberfinanzierte Versorgung trendet. Denn immer mehr Firmen optimieren die staatliche Förderung durch die Niedrigverdienerförderung. Im Sommer 2021 vermeldete das Statistische Bundesamt schon 82.000 Arbeitgeber, die das für über eine Million Beschäftigte nutzen.

Vermittler sollten ihr Augenmerk 2022 auch auf die Versorgung von Selbstständigen richten. Da hat die Ampel ein Opt-out im Blick und es gibt sehr gute Ansatzpunkte.

Und last, but not least: Seit dem Inkrafttreten der Transparenzverordnung am 10.03.2021 ist für Vermittler Nachhaltigkeit ein Pflichtthema. Gleichzeitig ist das auch das Megathema unserer Zeit. Als Stuttgarter und Pionier der GrüneRente haben wir im Jahr 2021 schon zweimal eine Zertifizierung zum Nachhaltigkeitsberater durchgeführt mit weit über 1.000 zufriedenen Teilnehmern. Und ab 10.03.2022 starten wir in die dritte Runde – offen für alle Vermittler.

Nachhaltigkeit wird also ein wichtiges Thema sein. Wo sind die Ansätze im Zusammenhang mit der bAV?

Wer in einer stillen Minute durch die Webseiten von großen, aber auch von kleinen und mittelständischen Unternehmen surft, merkt ganz schnell, wie wichtig es für viele Unternehmen ist zu zeigen, dass sie nachhaltig sind. Auch für die Gewinnung von Arbeitskräften ist das „Green Recruiting“, also mit Nachhaltigkeit neue Mitarbeiter zu finden, ein zunehmend wichtiges Thema. bAV als Element der sozialen Sicherheit ist nachhaltig, arbeitgeberfinanzierte bAV nachhaltiger, und was soll ich dazu sagen, wenn das noch mit einem Produkt wie der GrüneRente umgesetzt wird?

Wie können Vermittler und Vermittlerinnen davon profitieren?

Betriebliche Altersversorgung als nachhaltiges soziales Engagement des Unternehmens für seine Beschäftigten ist das Pfund, mit dem Vermittler wuchern können. Eine gute Kinderbetreuung wird auf der Website gerne genannt, doch auch die Betriebsrente kann und sollte ein Unternehmen stolz zeigen. Bei der richtigen Konzeption und Kommunikation unterstützt der Vermittler.

Sie sind seit vielen Jahren Expertin, Buchautorin und Dozentin in Sachen bAV. Was ist für Sie daran so spannend?

Ich finde, dass Altersvorsorge ein unglaublich wichtiges soziales Thema ist. Da können wir die Menschen nicht allein lassen. Die betriebliche Altersversorgung ist dafür besonders geeignet. Mich reizt es, dieses komplexe Thema zu durchdringen und dann verständlich zu machen.

Also mehr bAV?

Unbedingt.

Dieses Interview lesen Sie auch in AssCompact 01/2022, S. 22 f., und in unserem ePaper.

Bild: © sebra – stock.adobe.com

 
Ein Interview mit
Dr. Henriette Meissner