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11. November 2022
„So viele Menschen wie möglich vor der Altersarmut bewahren“

„So viele Menschen wie möglich vor der Altersarmut bewahren“

Als bAV-Flüsterin ist Versicherungsmaklerin Cordula Vis-Paulus auf Social Media bekannt geworden. Sie gibt auch Workshops und ist zudem Referentin, Speakerin, Schreiberin. Ihr großes Thema ist und bleibt die betriebliche Altersversorgung. Warum, erzählt sie im Interview.

Interview mit Cordula Vis-Paulus, Versicherungsmaklerin und bAV-Expertin
Frau Vis-Paulus, einmal in die bAV eingetaucht, kommt man nicht mehr davon los, hört man hin und wieder in Beraterkreisen. Trifft das auf Sie zu?

Ja, zu 100%. Sobald ich das Thema und die Problematik durchdrungen hatte, war die logische Schlussfolgerung: bAV.

Ein bisschen verzweifelt die Branche aber auch gerade an dem Thema. Alle warten auf die angekündigte Reform der Koalition. Alle hoffen auf eine Absenkung der Garantien. Wie gehen Sie damit um?

In die Zukunft gesehen: Das Sozialpartnermodell gibt die Richtung vor. Vielleicht schreibt der Gesetzgeber in absehbarer Zukunft keine Garantie in der bAV mehr vor. Das Anlagerisiko wird immer mehr auf den Mitarbeiter verlagert, der Arbeitgeber aus der Haftung entlassen. Um die Volksseele zu beruhigen, werden alternative „Sicherheitsgurte“ gefunden wie zum Beispiel der Sicherungsbeitrag des Arbeitgebers im Sozialpartnermodell.

Daneben gibt es ja auch einige weitere neuen Regularien und Veränderungen, Beispiel Nachweisgesetz oder die kommende Digitale Rentenübersicht. Beschäftigen Sie diese Themen?

Es ist lästig. Die Auswirkungen des Nachweisgesetzes sind ein Schlag gegen die gerade in Schwung gekommene Digitalisierung und den damit einhergehenden Barriereabbau, den wir als soziale Gesellschaft im Hinblick auf unsere demografische Verantwortung und den Gesellschaftsfrieden dringend brauchen, um mehr Menschen in Versorgung zu bringen.

Die Digitale Rentenübersicht wiederum könnte der Branche durch bessere Sichtbarkeit des Problems und Transparenz Schwung geben. Wahrscheinlich müssen wir aber erst mal Lese- und Deutungskurse einplanen.

Auch wir haben schon mal in Ihre Vorträge hineingehört. Dort wollen Sie die Aussage, dass eine bAV Mitarbeiter bindet, so nicht stehen lassen. Warum nicht?

Es kommt auf diese Punkte an: Passt das Konzept ganz genau zur vom Mitarbeiter gefühlt wahrgenommenen Wertschätzung durch den Vorgesetzten und das Unternehmen? Hält es aus Sicht des Mitarbeiters für ihn Mehrwerte bereit? Sind sie für ihn verständlich? Ist es ein gerechtes Modell beim Blick auf die Unterschiede der Belegschaft? Sind die Versprechungen glaubhaft? Passt alles zur DNA des Unternehmens?

Dann kann bAV auf Mitarbeiterbindung einzahlen. Es lohnt sich, alle Gestaltungsregister zu ziehen: Belohnung und Barriere!

Bei einem weiteren Thema geht es Ihnen um die „Stornovorsorge“, wenn man das so ausdrücken darf. Nun könnten die enormen Preissteigerungen aber dazu führen, dass Versicherte ihre Verträge beitragsfrei stellen – müssen. Ein Dilemma?

Klar ist das ein Dilemma. Jetzt kommt es darauf an, den engen Kontakt zum Kunden zu halten, an der richtigen Stelle umzudispo­nieren und möglichst keine Lücken im Vermögensaufbau entstehen zu lassen. Ein Berater, der den „Zinseszinseffekt“ von Beitragsfreistellungen verständlich machen kann, wird seine Kunden davor – solange es geht – erfolgreich bewahren.

Unter Stornovorsorge verstehe ich die Entkoppelung von Gehaltseingang und Sparvorgang. Wer gelernt hat, dass 10% vom Gehalt in Altersvorsorge gehören – was macht der, wenn das Gehalt wegfällt? Pausieren. Elternzeit: kein Gehalt, keine Einzahlungen mehr. Leider wahr.

Lassen Sie uns über den Gender Pension Gap reden. Was sind Ihrer Meinung nach sinnvolle Maßnahmen, um die Rentenunterschiede zwischen Männern und Frauen zu verkleinern? Welche Rolle spielt hier die bAV?

Erstens: Aufklärung und Information. Zweitens: auch für Männer. Drittens: Die Folgen von Unterbrechungen beim Vermögensaufbau verständlich machen. Diese Punkte zielen in der Praxis auf einen familieninternen Ausgleich ab.

Nehmen wir eine andere „Quelle“ unter die Lupe: die Arbeitgeber. Diese können die bAV während der Elternzeit weiter einzahlen. Oder bei Rückkehr nachzahlen. Das Betriebsrentenstärkungsgesetz sieht Zweiteres seit 2018 ausdrücklich vor. Viele Arbeitgeber kennen diese Option wahrscheinlich nicht mal: attraktiver Welcome-back-Bonus!

Unternehmen können Informationstage zum Thema Altersvorsorge, Finanzen, Vereinbarkeit anbieten. Auch so was macht einen Arbeitgeber attraktiver, er wird als verantwortungsvoller wahrgenommen. Ein dicker Pluspunkt. So was spricht sich herum.

Über eine intelligente Gruppendefinition kann Teilzeitlerinnen und Teilzeitlern mehr arbeitgeberfinanziert in die Altersvorsorge gezahlt werden. 100er-Förderung!

Außerdem: für bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf sorgen. Bessere Betreuungsangebote ermöglichen längere Arbeitszeiten, die sich in höheren – oder weniger reduzierten – Rentenansprüchen niederschlagen. Hier gilt es auch seitens der Politik, bessere Bedingungen zu schaffen.

Vereinbarkeit unterstützen ist bunt: von Granny-Service über mehr Liquidität im Portemonnaie, indem der Arbeitgeber einen höheren Teil an der Altersvorsorge übernimmt, bis hin zu Zeitwertkonten, die heute auch echte Vereinbarkeit können – mit Mikroauszeiten oder Aufstockung von Teilzeitgehältern, um zum Beispiel den Lieblingsbetreuungsplatz finanzieren zu können.

Engagieren Sie sich besonders für die Altersvorsorge von Frauen?

Nö. Sehe ich nicht so. Dieses Wissen brauchen beide Partner. Und Arbeitgeber dürfen verstehen, dass es da einen besonderen Bedarf gibt, mit dem sie sich noch herausputzen können. Vereinbarkeit ist ein Thema. Betrifft beide. Wir sind im 21. Jahrhundert.

Sie sind Maklerin und geben Seminare für Ihre Kolleginnen und Kollegen sowie für Versicherer und Arbeitgeber. Wie sieht Ihre Arbeitsaufteilung in etwa aus? Wo ist Ihr Schwerpunkt?

Zwei Drittel Workshops, Referentin, Speakerin, Schreiberin sowie Recherche und Aufbereitung und ein Drittel Maklerin.

Ich lese viele Studien und sehe immer neue Verbindungen zur bAV: Ob es die Ängste der Jugendlichen sind – für über 50% ist die Sicherung des Rentensystems die drängendste Forderung an die Politik –, ob es die große Anzahl wechselwilliger Angestellter ist – 46% wollen sich in den nächsten sechs Monaten umsehen –, ob es die vielen teilzeitbeschäftigten Frauen sind, die gerne mehr arbeiten würden, überall kann die bAV ein Teil der Lösung sein. Das inspiriert mich.

Man begegnet Ihnen auch regelmäßig in den sozialen Medien. Für Sie ein wichtiges Vehikel?

Ja, definitiv. Ich bin sehr gerne auf LinkedIn und habe ein mir sehr wohlgesinntes Netzwerk. Dort kann ich Themen ausprobieren und Kontakte knüpfen.

DIE DEUTSCHE WIRTSCHAFT hat mich 2019 als Innovator für bAV-Kommunikation ausgezeichnet. Außerdem habe ich den Online-­Publikumspreis gewonnen. 2020 wurde ich als Exzellenzberater des Deutschen Mittelstandes ausgezeichnet. Ebenfalls durch DIE DEUTSCHE WIRTSCHAFT. Auf beides bin ich sehr stolz!

Was ist Ihnen denn bei der Erfüllung Ihrer Aufgaben besonders wichtig?

Meinen Kunden und mir selbst im Spiegel morgens immer mit gutem Gewissen und gutem Gefühl aufrichtig in die Augen schauen zu können. Ich möchte so viele Menschen wie möglich vor der Alter­s­armut bewahren.

Sie spielen Violine. Schon mal daran gedacht, sich näher mit Instrumentenversicherungen als Geschäftsfeld zu beschäftigen?

Nein. Ich mache das, was ich kann: Workshops, reden, beraten, Altersvorsorge und Geldanlage.

Über Cordula Vis-Paulus

Cordula Vis-Paulus (cordula-vis-paulus.de) ist Versicherungsmaklerin und berät Arbeitgeber in Fragen der bAV. Darüber hinaus bietet sie bAV-Schulungen für Versicherer und Maklerbetriebe an. Ein Beispiel hierfür ist der Workshop „bAV-Practitioner®“. In den sozialen Medien wiederum kennt man sie als bAV-Flüsterin.

Frühere Beraterstationen der gelernten Bankkauffrau waren unter anderem die Deutsche Bank, WWK und die LV 1871.

Dieses Interview lesen Sie auch in AssCompact 11/2022, S. 92 f., und in unserem ePaper.

Bild: © fizkes – stock.adobe.com bzw. Cordula Vis-Paulus

 
Ein Interview mit
Cordula Vis-Paulus