Ein Interview mit Markus Schmidt-Ott, Chefredakteur bei Finanzfluss
Markus, die Märkte sind aktuell, vor allem von US-Seite, sehr volatil. Betrachtet ihr die Lage dennoch „entspannt“?
Ja, wir sehen die aktuelle Lage am Markt grundsätzlich entspannt. An den Börsen wird es immer wieder turbulente Phasen geben, das ist vollkommen normal und gehört zum Investieren dazu. Wer langfristig investiert, muss damit rechnen und sollte sich nicht von kurzfristigen Schwankungen oder negativen Nachrichten verunsichern lassen, sondern im Zweifel einfach mal herauszoomen und die langfristige Perspektive in den Blick nehmen.
Außerdem sind doch Krisen gerade für Anleger, die am Anfang ihrer Ansparphase stehen und regelmäßig per Sparplan investieren, eine Chance. Die niedrigeren Einstiegskurse können langfristig zu höheren Renditen und im Ruhestand zu einem größeren Vermögen führen.
Ihr glaubt selbst stark ans prognosefreie Investieren mit ETFs. Ist das jetzt noch, angesichts der hohen USA-Gewichtung in bspw. dem MSCI World, zeitgemäß?
Absolut. Man kann auf sehr unterschiedliche Arten prognosefrei investieren. Wer sein weltweit gestreutes Portfolio nach Marktkapitalisierung gewichtet, muss einen hohen US-Anteil in Kauf nehmen. Es gibt gute Argumente dafür und auch gute dagegen, diese Gewichtung einfach so hinzunehmen: Auf der einen Seite haben US-Aktien, insbesondere Technologieaktien, in den letzten Jahren phänomenale Renditen gebracht, und die größten US-Unternehmen sind ohnehin global tätig und nicht ausschließlich von der US-Wirtschaft abhängig. Auf der anderen Seite ist dieses überproportionale Wachstum in Zukunft nicht garantiert und man hat einen großen Klumpen sowohl auf Länderebene als auch bei den Top-Unternehmen im Portfolio.
Wem das nicht gefällt, der kann sein Portfolio anders gewichten. Es gibt unzählige alternative Methoden und Portfolio-Ideen, die das US-Gewicht reduzieren, beispielsweise durch die Ergänzung einer BIP-gewichteten Komponente oder durch die Beimischung von Schwellenländern oder zusätzlichen Europa-ETFs.
Aber die Grundidee, passiv, breit gestreut und langfristig zu investieren, bleibt unserer Ansicht nach weiter die sinnvollste und zeitgemäße Strategie, egal, wie man im Detail gewichtet.
6 oder 7% p. a. gelten als durchschnittliche Rendite beim Investment in solche World-ETFs. Müsste man das nach unten korrigieren?
Das kann man meiner Meinung nach nicht seriös prognostizieren. Einerseits könnte man argumentieren, dass wir in der Vergangenheit, insbesondere in den letzten zehn Jahren, von besonders guten Renditen, vor allem in den USA, verwöhnt wurden und man lieber nicht von der Vergangenheit auf die Zukunft schließen sollte. Andererseits wurden zukünftige Renditen schon so oft totgesagt, der Markt für überbewertet erklärt, und dann gingen die Bewertungen doch noch höher. Ich rechne lieber ein wenig pessimistischer, freue mich aber, wenn ich damit falsch liege.
Wegen der geopolitischen Schwankungen sprechen manche auch von einer „Deglobalisierung“. Könnte diese die Grundannahme hinter breit gestreuten ETFs (dass die Gesamtwirtschaft wächst) infrage stellen?
Auch in einem weniger stark globalisierten Szenario gibt es weiterhin wirtschaftliche Aktivität, Innovation und Wachstum, auch wenn es vielleicht regional anders verteilt ist. Wer breit gestreut investiert, kann trotzdem an dieser Wertschöpfung partizipieren, unabhängig davon, wo genau sie stattfindet oder wie stark sie global vernetzt ist. Sollten sich Regionen unterschiedlich entwickeln, passt sich die Gewichtung in einem nach Marktkapitalisierung gewichteten Index ohnehin automatisch an.
Beim passiven Investieren ist die Grundannahme, dass es über lange Sicht wirtschaftliches Wachstum gibt. Das wird es auch in Zukunft meiner Meinung nach geben.
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Seite 2 Viele Anleger, auch ETF-Anleger, legen ihren Schwerpunkt aktuell eher auf Europa – weg von den Staaten. Haltet ihr das „aus gegebenem Anlass“ für sinnvoll?

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