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Steuern & Recht
8. Oktober 2019
Konkrete Verweisung: BU-Rente bei neuer beruflicher Tätigkeit?

Konkrete Verweisung: BU-Rente bei neuer beruflicher Tätigkeit?

Die konkrete Verweisung in BU-Policen führt des Öfteren zu rechtlichen Fragestellungen. In einem noch jungen Urteil musste sich der BGH mit einer Nachprüfung beschäftigen und der Frage, wie sich eine neue Berufstätigkeit des Versicherten auf die BU-Rente auswirkt. Von Dr. Arnd Böhmer LL.M., Rechtsanwalt bei der Kanzlei Voigt Rechtsanwalts GmbH.

„Was darf ich eigentlich dazuverdienen?“ ist eine Frage, die Rentenempfänger naturgemäß häufig bewegt. Wer im Bereich der Berufsunfähigkeitsversicherung beratend tätig ist, sollte sich daher der Konsequenzen aus dem Urteil des BGH zur erstmaligen Verweisung im Nachprüfungsverfahren (Urteil vom 26.06.2019; Az.: IV ZR 19/18) bewusst sein.

Worum genau geht es?

Die meisten am Markt vertriebenen BU-Policen beinhalten die sogenannte konkrete Verweisung. Danach ist der Versicherer zur Rentenzahlung verpflichtet, wenn die versicherte Person die zuletzt in gesunden Tagen ausgeübte berufliche Tätigkeit nicht zu mindestens 50% ausüben kann und auch sonst keine Tätigkeit ausübt, die ihrer Lebensstellung entspricht. Die Lebensstellung wird nach höchstrichterlicher Ansicht durch die soziale Wertschätzung und durch die finanzielle Lebensstellung geprägt. Gewisse finanzielle Einbußen sind aber zumutbar. Wenn hierfür keine konkrete Angabe im Bedingungswerk vereinbart ist – in dem vom BGH zu entscheidenden Fall war die Zumutbarkeitsgrenze bei 20% bedingungsgemäß festgelegt –, geht die Rechtsprechung davon aus, dass Mindereinkünfte bis zu 15% regelmäßig hinzunehmen sind. Wenn ein Versicherter also nach seiner Erkrankung eine andere Tätigkeit ausübt, die vom sozialen Ansehen her vergleichbar ist und mit der er Einkünfte in Höhe von 90% im Vergleich zu gesunden Tagen erzielt, dann kann der Versicherer ihn auf diese Tätigkeit konkret verweisen und muss keine Versicherungsleistungen erbringen.

Das sinngemäß Gleiche gilt, wenn der Versicherer zunächst seine Leistungspflicht anerkannt hat, da der Versicherte für den Ursprungsberuf berufsunfähig ist und keine andere Tätigkeit ausgeübt hat. Wenn der Versicherte dann zum Zeitpunkt eines Nachprüfungsverfahrens eine Verweisungstätigkeit ausübt, berechtigt das den Versicherer, seine Leistungspflicht für beendet zu erklären.

Die Fragestellung, die der BGH nun zu entscheiden hatte, ergab sich aus einer verhältnismäßig langen Dauer der Berufsunfähigkeit. Man stelle sich folgende Situation vor: Ein Versicherungsnehmer wird für seinen Ursprungsberuf berufsunfähig und sucht sich eine neue Tätigkeit, bei der er aber nur ca. 75% seines in gesunden Tagen erwirtschafteten Einkommens erhält. Hier ist der Versicherer in der Leistungspflicht. Eine von der Leistungspflicht befreiende konkrete Verweisung auf die neue Tätigkeit ist nicht möglich, da mit dieser die ursprüngliche finanzielle Lebensstellung nicht wieder erreicht werden kann. Der Versicherte erhält also seinen, im Vergleich zu früher verminderten, Lohn und die BU-Rente.

Ist das frühere Einkommen fortzuschreiben?

Gehälter werden üblicherweise in Intervallen entweder aufgrund von individuellen Verhandlungen oder durch Tarifverträge angehoben. Wenn also ein Versicherter einen Beruf ausübt, auf den er vom Versicherer zunächst nicht verwiesen werden kann, weil das Gehalt zu niedrig ist, darf der Versicherer so lange warten, bis das Entgelt der neuen Tätigkeit durch Lohnerhöhungen mit dem damaligen Gehalt vergleichbar wird, oder muss das Ursprungsgehalt fiktiv hochgerechnet werden.

Der BGH kommt zu dem Ergebnis, dass das Ursprungsgehalt nicht fiktiv hochzurechnen sei, da die finanzielle Lebensstellung eines Menschen nur dadurch geprägt sein könne, was er tatsächlich erhalten hat und nicht was er erhalten hätte. Von dieser Betrachtungsweise dürfe nur dann eine Ausnahme gemacht werden, wenn zwischen dem Zeitpunkt des letztmaligen Ausübens des Ursprungsberufes und der erstmaligen Verweisung ein besonders langer Zeitraum liege.

Diese Bewertung ist in doppelter Hinsicht nicht unproblematisch. Wenn die Sichtweise, nur das tatsächlich erhaltene Geld präge die Lebensstellung einer Person und verbiete so eine Anpassung an den Zeitablauf, systematisch richtig ist, dann ist schwer nachzuvollziehen, warum nach einem bestimmten Zeitablauf ein anderer Bewertungsmaßstab anzuwenden sein soll. Einfach ausgedrückt: Was nach vier Jahren noch richtiger Bewertungsmaßstab der finanziellen Lebensstellung ist, kann nach fünf Jahren nicht plötzlich falsch sein. Hinzu kommt, dass der BGH die naheliegende Frage nicht beantwortet hat, wann aus einem langen Zeitraum ein besonders langer Zeitraum wird.

Es muss letztlich aufgrund dieser Entscheidung damit gerechnet werden, dass bei einer erstmaligen konkreten Verweisung, die nach drei bis fünf Jahren nach Eintritt der Berufsunfähigkeit erfolgt, die zeitversetzt erzielten Einkunftshöhen – also das zuletzt in gesunden Tagen erzielte Gehalt auf der einen Seite und das im Verweisungsberuf erzielte Einkommen auf der anderen Seite – miteinander verglichen werden, ohne dass ein Lohnentwicklungskorrektiv berücksichtig wird.

Welche Konsequenz hat diese Rechtsprechung?

Ein Aspekt wird in diesem Zusammenhang nicht deutlich genug herausgestellt. Es gibt in den rechtlichen Regelungen zur BU-Versicherung – anders als beispielsweise im Deliktsrecht – keine Schadenminderungspflicht. Insbesondere gilt § 82 VVG nicht, da dieser in der Summenversicherung, zu der die BU-Versicherung zweifelsfrei gehört, nicht anwendbar ist. Das hat zur Folge, dass der Versicherte weder verpflichtet ist, überhaupt zu arbeiten, noch daran gehindert ist, die neue Tätigkeit rentenunschädlich auszugestalten.

Der BGH hatte in einer anderen Entscheidung – etwas pointiert zusammengefasst – entschieden, dass sich die finanzielle Lebensstellung erst am Monatsende bemerkbar macht. Um einen Berufsunfähigen auf eine neue Tätigkeit konkret zu verweisen, reicht es nicht aus, dass der Stundenlohn identisch ist. Wenn dieser beispielsweise eine neue Tätigkeit, bei vergleichbarem Stundenlohn, nur halbtags ausübt, dann erreicht er lediglich eine finanzielle Lebensstellung, die nur 50% im Vergleich zu gesunden Tagen ausmacht. Ein solcher Einkommensrückgang verbietet aber – wie oben ausgeführt – die konkrete Verweisung auf diese Tätigkeit.

Für den oben dargestellten Fall des langjährigen BU-Rentners mit neuem Job bedeutet das: Er muss gegebenenfalls im Laufe der Jahre seine Wochenarbeitszeit so reduzieren, dass er trotz des Zeitverlaufs relevant weniger verdient als zuletzt in gesunden Tagen, wenn er sich seinen Rentenanspruch erhalten will. Das ist vollkommen legitim. Wer ein solches Verhalten möglicherweise als treuwidrig gegenüber dem Versicherer ansieht, hat womöglich den Regelungsgehalt der Versicherungsbedingungen noch nicht vollständig internalisiert.

Fazit: Offene Rechtsfragen

Obwohl die BU-Versicherung ein sehr etabliertes Produkt ist, sind bei Weitem noch nicht alle Rechtsfragen geklärt. Von Zeit zu Zeit ist der BGH daher berufen, diese noch offenen Rechtsfragen zu entscheiden. Diese Entscheidung im Interesse des Versicherten zu beachten und umzusetzen, bleibt eine anspruchsvolle Herausforderung.

Bild: © moodboard – stock.adobe.com

Den Artikel lesen Sie auch in AssCompact 10/2019, Seite 164 f. und in unserem ePaper.

 

Leserkommentare

Comments

Gespeichert von Markus Lörch am 11. Oktober 2019 - 11:42

Sehr geehrter Herr Böhmer,
ihnen ist ein sehr guter Artikel zu diesem doch für den Verbraucher komplexen Thema gelungen.
Sie zeigen die Widersprüche des BGHS und zeigen Lösungsmöglichkeiten auf.
Vielen Dank für diese fundierte Arbeit, gerne in Zukunft mehr davon.