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5. Februar 2016
„Ansonsten könnte die größte Anlageblase aller Zeiten platzen“

„Ansonsten könnte die größte Anlageblase aller Zeiten platzen“

China-Ängste, Ölpreisverfall, Flüchtlingskrise, Niedrigzinsen, u. v. m. – an den Finanzmärkten herrscht derzeit eine diffuse Gemengelage. Klein- wie Großanleger sind daher stark verunsichert. Robert Halver, Leiter der Kapitalmarktanalyse bei der Baader Bank, erläutert wie gefährlich die Lage ist – und wie ein erneuter Crash verhindert werden kann.

Herr Halver, wie sehr verunsichert Sie der turbulente Jahresauftakt an den Finanzmärkten?

Wir haben natürlich eine Inflation an Krisen. Der Ölpreisverfall drückt die Kaufkraft der Schwellenländer. Der niedrige Ölpreis erschwert zudem die Refinanzierung, vor allem in der US-Fracking-Industrie. Es gibt Schätzungen, dass etwa ein Drittel der 1,5 Bio. US-Dollar Energieanleihen in Prolongationsnot sind, was auch Ängste vor einer neuen Krise bei Banken schürt. Doch warum schauen wir nur auf den Kaufkraftverlust der OPEC-Länder? Das ist mir zu einseitig. Warum schauen wir nicht auch auf den damit verbundenen Kaufkraftgewinn der Industrieländer? Der wird im Moment relativ stark vernachlässigt. Aber so ist das eben wenn die Stimmung schlecht ist. Die Gemengelage ist derzeit einfach auf Moll eingestellt.

Dazu kommt die verhaltenere Wirtschaftsentwicklung in China. Wie gefährlich ist die Lage dort?

China wäre in keinster Weise so in den Anlegerfokus gerückt, wenn Chinas Notenbank den Aktienmarkt seit Jahresanfang vor dem Kollaps bewahrt hätte. So hat man aber schlafende Hunde geweckt und überskeptische Fragen zur chinesischen Wirtschaft losgetreten. Und dabei ist der chinesische Aktienmarkt nicht mehr als eine Zockerbörse – schlimmer als der Neue Markt – und daher kein Abbild der chinesischen Wirtschaft. Wenn man aber lange genug auf der psychologischen Seele der Aktionäre Chinas herumtrampelt, entsteht irgendwann dennoch der Eindruck, dass im Land der Mitte einiges schief läuft. Dann behindert die schlechte Marktpsychologie die an sich stabile realwirtschaftliche Situation. Dann wedelt der Schwanz mit dem Hund. Ich dachte immer, die KP kennt sich mit Planwirtschaft aus. Diese muss sie jetzt auch bei der Stabilisierung des chinesischen Aktienmarkts praktizieren, damit wieder Ruhe in den chinesischen Karton kommt. An dieser künstlichen Befruchtung kommt selbst China nicht mehr vorbei. China ist „westlicher“ geworden als man denkt. Doch das größte Problem ist nicht China oder der Ölpreis, sondern ein anderes: die Euro-Sklerose.

Was meinen Sie damit?

Europa funktioniert nicht. Das ist zwar nichts, was die Aktienmärkte jeden Tag bewusst beschäftigt. Dennoch spielt es unterschwellig eine Rolle. Man muss aufpassen, dass Europa nicht durch ständig neue Extrawürste für Briten und demnächst vielleicht auch für Polen oder Franzosen an Corpsgeist, an Zusammenhalt verliert, ja sogar zerfressen wird. Das ist wie in einer Ehe. Man kann sich nicht ewige Liebe und Treue schwören und gleichzeitig regelmäßig auswärts spielen. Hand aufhalten wenn es um Subventionen geht, bei der gemeinsamen Bewältigung eines gewaltigen Problems – der Flüchtlingskrise – aber wegschauen, funktioniert nicht.

Hier hat auch die deutsche Politik rechtliche und taktische Fehler, z.B. mangelnde Absprachen gemacht und den Kritikern damit erst ein Alibi gegeben, sich einer gemeinsamen Lösung zu verweigern. Insgesamt ist die so hoch gelobte christliche Wertegemeinschaft ein theoretisches Gebilde, das dem Praxistest aktuell nicht lange standhält. Irgendwann könnte sich für Investoren die Frage stellen, inwieweit man in einem zerstrittenen Europa überhaupt noch investieren kann. Dieses systemische Risiko sollte man nicht auf die leichte Schulter nehmen.

Die Politik schafft es momentan nicht, den Menschen die Angst zu nehmen, dass sie die Flüchtlingsproblematik lösen kann. Und das ist gefährlich, denn Angst ist die Ursünde, aus der sich viele hässliche Dinge entwickeln können. Und bei diesem Problem kann selbst die EZB nicht helfen. Im Vergleich zu dieser Euro-Sklerose war die Finanzkrise Griechenlands fast schon lächerlich gering.

Angesichts der düsteren Stimmung rückt zwangsläufig auch Gold wieder mehr in den Vordergrund. Steht das Edelmetall nach mehreren Dürrejahren vor einem Comeback?

Es gibt tausend Argumente dafür, dass Gold durch die Decke geht. Aber es gibt ein Argument, dass dies trotzdem nie passieren wird: Das systematische Drücken des Goldpreises über die Derivatemärkte seitens der Notenbanken, die „befreundeten“ Geschäftsbanken Geld geben, damit diese verhindern, dass Gold dramatisch ansteigt. Unsere Finanzwelt soll schließlich mit Geld gerettet werden und da kann man keinen fremden Gott neben Geld, nämlich Gold, gebrauchen. Dennoch ist es nach wie vor sinnvoll bis zu 10% des liquiden Anlagevermögens in Gold zu stecken – nicht, weil es bald durch die Decke gehen dürfte, sondern als Puffer, als sachkapitalistische Werterhaltungsfunktion, wenn unser Finanzsystem Schaden nehmen sollte.

Sehen sie einen solchen Zusammenbruch kurzfristig bevorstehen oder wird sich die Lage eher wieder etwas beruhigen?

Das größte nachhaltige Fragezeichen ist Europa. Der Ölpreis sollte allmählich seinen Boden gefunden haben und im weiteren Jahresverlauf leicht ansteigen. China wird planwirtschaftlich stabilisiert. Und aus Amerika werden immer Signale kommen, dass die Zinswende bestenfalls ein Zinswendchen werden kann. Ein strikter Zinserhöhungskurs wie von 2004 bis 2006, als die US-Notenbank die Leitzinsen von einem auf 5,25% erhöhte, würde den finalen Zusammenbruch unserer Finanzwelt bedeuten.

Welche Rolle spielt die Geldpolitik insgesamt in diesem Umfeld?

Die Feststellung ist zwar so spannend wie die hunderte Wiederholung von Sissi-Filmen, aber natürlich ist die Geldpolitik das alles stützende Element. Ohne das martialische Eingreifen der Bruderschaft des billigen Geldes wären unsere Finanzmärkte schon längst in die ewigen Jagdgründe eingegangen. Wenn Devisenreserven in den Schwellenländern abschmelzen, muss die Notenbankgemeinschaft dagegen halten und das Ganze mit neuer Liquidität kompensieren. Ansonsten könnte die größte Anlageblase aller Zeiten, die Anleiheblase platzen. Dagegen wäre das Platzen der Immobilienblase nur ein Kindergeburtstag gewesen.

Geldpolitik ist also so etwas wie ein Breitbandantibiotikum gegen schlechte psychologische Stimmung geworden. Die reale Wirtschaft erreicht sie sicherlich nicht mehr so wie früher. Denn in Europa haben wir zudem eine fatal asymmetrische Bankenpolitik. Einerseits das günstigste und üppigste Geld für Banken aller Zeiten. Andererseits eine Regulierung, die die Institute daran hindert, neue Kredite zu vergeben. Gleichzeitig Gas geben und bremsen ist einfach kontraproduktiv.

Wie kommen wir denn aus der insgesamt verzwickten Gesamtlage heraus?

Frau Yellen, die US-Notenbankpräsidentin, kann hier viel Gutes tun, ja einen positiven Dominoeffekt auslösen. Wenn sie – auch aus Gründen einer nicht wirklich rund laufenden US-Konjunktur – von weiteren Zinserhöhungen absieht, wird der US-Dollar seinen Aufwertungsdrang beenden und wieder nachgeben. Damit würde zunächst die Kapitalflucht aus den Schwellenländern Richtung USA eingedämmt. Dann fällt es den Schwellenländern auch einfacher, die vor allem auf US-Dollar-Basis verschuldet sind, ihren Schuldendienst durchzuführen.

Gleichzeitig erholt sich der Ölpreis, der sich gerne gegengleich zum US-Dollar entwickelt. Mit wieder steigenden Ölpreisen gewinnen die Rohstoffländer wieder an Kaufkraft, ohne die Industrieländer aber zu sehr zu schädigen. Dieser Positiveffekt würde sich noch verstärken, wenn die OPEC und andere Ölländer mit einer Förderkürzung die Ölpreisstimmung drehen würden. Wenn dann auch noch China mit einer planwirtschaftlichen Stützung des Shanghai Composite-Aktienleitindex die Anlegergemüter beruhigt, ist das insgesamt die halbe Miete. Geradezu Aktien treibender Luxus wäre es, wenn es Europa schafft, Handlungsfähigkeit zu zeigen.

Wer 2016 Krisen zulässt, hat aus der Krise 2008 nichts gelernt. (mh)