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31. Januar 2024
Zur Rolle des Gutachters in der privaten Unfallversicherung

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Zur Rolle des Gutachters in der privaten Unfallversicherung

Bei Unfällen mit Verletzungsfolgen müssen oft Gutachter herangezogen werden. Wann ist dies in der Regel der Fall? Worauf kommt es bei der Erstellung eines Gutachtens an und welche Herausforderungen ergeben sich z. B. durch teils unterschiedlich gestaltete Versicherungsbedingungen?

Interview mit Dr. Holm-Torsten Klemm, Leiter und Gründer Freies Institut für medizinische Begutachtungen und Vorsitzender der Fachgesellschaft Interdisziplinäre Medizinische Begutachtung (FGIMB e.V.)
Herr Dr. Klemm, wann kommt denn nach einem Unfall ein Gutachter ins Spiel?

Wenn ein Unfallverletzter/Geschädigter Ansprüche geltend macht gegenüber seiner gesetzlichen und/oder privaten Unfallversicherung oder bei Schädigung durch einen Unfallgegner gegenüber dessen Haftpflichtversicherung wegen verbliebener körperlicher oder geistiger Funktionsstörungen, so bedarf es in der Regel der Einschaltung eines ärztlichen Sachverständigen zur Klärung der Unfallzusammenhangsfragen und Benennung und Bewertung der Unfallverletzungsfolgen.

Müssen Sie sich im Rahmen Ihrer Arbeit häufig mit dem Unfallbegriff an sich auseinandersetzen? Und stoßen Sie diesbezüglich hin und wieder auf Unstimmigkeiten?

Die Auseinandersetzung mit dem Unfallbegriff ist eine Kernaufgabe des ärztlichen Sachverständigen. Der Gutachter muss dabei verinnerlichen, dass der Unfallbegriff in den Bedingungswerken der jeweiligen Versicherer vorgegeben ist. Für die Ausfüllung des Unfallbegriffs in gesetzlicher und privater Unfallversicherung müssen sowohl ein von außen auf den Körper wirkendes Ereignis als auch die unfreiwillige Erstgesundheitsschädigung nachgewiesen sein – und dies ohne Zweifel. Weiter gibt es im Bereich der privaten Unfallversicherung auch den Begriff der Unfall­fiktion durch erhöhte Kraftanstrengung und in manchen Bedingungswerken sind sogar Eigenbewegungen versichert.

Mit der Umsetzung solcher Vorgaben in den Bedingungswerken stößt der ärztliche Sachverständige irgendwann an Grenzen, denn aus medizinisch-naturwissenschaftlicher Sicht kann natürlich eine Eigenbewegung nicht zu einer Verletzung führen, denn das würde bedeuten, dass der Mensch sich durch normale Bewegungen quasi selbst zerstören könnte.

Wie läuft eine Gutachtenerstellung denn in der Regel ab?

Nach Eingang des Gutachtenauftrags prüft der Gutachter umgehend, ob er zur Beantwortung der Fragen des Auftraggebers auch fachkompetent ist oder z. B. vorschlagen muss, dass weitere Zusatzgutachter auf anderen medizinischen Fach­gebieten beauftragt werden müssen.

Danach erfolgt die Erhebung der Vorgeschichte anhand der übersandten Akten und ggf. muss der Sachverständige den Auftraggeber oder den zu Begutachtenden auffordern, eventuell noch fehlende Unterlagen beizubringen. Am Begutachtungstag erfolgt die persönliche Anamneseerhebung und Untersuchung und die Fertigstellung des Gutachtens mit Beantwortung der Fragen des Auftraggebers.

Worauf gilt es besonders zu achten?

Der Gutachter muss unparteiisch und unabhängig in Eigenverantwortung das Gutachten fachkompetent erstellen können. Er muss die Rechtsgrundlagen beachten und alle Sachverhalte vollständig erfassen. Außerdem muss er das Gutachten in einer für alle Beteiligten verständlichen Sprache formulieren, darf sich also nicht hinter lateinischen Begriffen „verstecken“.

Welche Rolle spielen bestehende Vorerkrankungen bzw. ältere Verletzungen?

Vorbestehende Veränderungen spielen immer eine große Rolle, da der Versicherer nur für rein unfallbedingte Folgen eine Leistung erbringen kann. Insofern ist zu klären, ob aus vorbestehenden Veränderungen tatsächlich auch Funktionseinschränkungen resultierten oder ob Krankheiten und/oder Gebrechen am Eintritt der Unfallverletzung oder der Entwicklung der Unfallverletzungsfolgen mitgewirkt haben. Dies ist dann wieder je nach Rechtsgebiet unterschiedlich zu würdigen.

Welche Schwierigkeiten ergeben sich denn aus den mitunter ja recht komplexen oder teils unterschiedlich gestalteten Versicherungsbedingungen für Sie als Gutachter?

Dies spielt regelhaft nur bei der privaten Unfallversicherung eine Rolle. Man kann nicht oft genug die Bitte wiederholen, dass der Versicherer von den Musterversicherungsbedingungen abweichende Bedingungswerke dem Gutachter auch mit dem Auftrag bereits mitteilt. Darüber hinaus muss der ärztliche Sachverständige auch die höchstrichterliche Rechtsprechung kennen, wo sich manchmal juristischer und ärztlicher Sachverstand scheinbar unversöhnlich gegenüberstehen.

 
Ein Interview mit
Dr. Holm-Torsten Klemm