„Es gibt keinen Grund, warum irgendjemand einen Computer zu Hause haben sollte.“ (Ken Olsen, Gründer von Digital Equipment, 1977). Diese Fehleinschätzung ist legendär und auch die nun folgende Einschätzung setzt sich diesem Risiko aus. Dennoch gibt es gute Gründe, warum dies vermutlich nicht so sein wird.
Die zwei prägenden bAV-Themen
Die Begriffe BRSG und Digitalisierung prägten das bAV-Geschäftsjahr 2017. Zahlreiche Start-ups befassten sich mit der Vereinfachung von bAV-Prozessen in Unternehmen, aber auch mit der Prozessvereinfachung für Arbeitnehmer. Das BRSG wiederum soll mit zwei zentralen Stoßrichtungen die bAV optimieren: 1) Erleichterungen für Arbeitgeberförderungen und 2) höhere Motivation zur Entgeltumwandlung.
Hier kommt auch das Sozialpartnermodell ins Spiel. Die verringerte Haftung für Unternehmen – es haftet nur noch für den Beitrag – macht das Sozialpartnermodell als sechsten Durchführungsweg spannend. Die Maßnahme soll die Entscheidungsschwelle zugunsten einer arbeitgeberfinanzierten bAV absenken. Dieses Modell nur über die Tarifparteien zuzulassen, ist ein deutliches Zeugnis der Politik, dass sie den Unternehmen und auch der Finanzwirtschaft nicht wirklich vertraut.
BRSG geht am Ziel vorbei
Betrachtet man die Grundidee des BRSG – die Motivation von kleinen und mittelständischen Unternehmen zu mehr bAV – dann geht das Gesetz zielstrebig am Ziel vorbei. Durch eine „Zwangsweitergabe“ von Sozialversicherungsvorteilen und die Möglichkeit höherer steuerlicher Förderung kann man die Motivation der Unternehmen und auch der Arbeitnehmer nicht wirksam verbessern.
Professionelle bAV-Berater stellen immer wieder fest, dass nicht die Haftung, die mangelnde Förderung oder die Umwandlungslimitierung die Entgeltumwandlung in Unternehmen blockieren, sondern drei völlig andere Faktoren:
1) Ein schlechter Informationsstand bei Arbeitgeber und Arbeitnehmer.
2) Ein hohes Desinteresse beim Arbeitgeber sich aktiv mit dem Thema zu beschäftigen und
3) Der Umstand, dass Produkte der Altersversorgung völlig unsexy sind.
Vereinfacht zusammengefasst: Man wendet weder aus dem Brutto noch aus dem Netto gerne und überzeugt Gelder für einen Zeitpunkt in der Zukunft auf, um damit das abstrakte Ziel „Rente“ auszufinanzieren. Niemand wacht morgens auf und sagt: „Heute ist der Tag, an dem ich meine Altersversorgung regle.“
Übrigens, eines der häufigsten Argumente, die im Verkauf von bAV-Konzepten bei Unternehmen funktionieren, lautet: „Altersversorgung ist ein unattraktives Thema. Wenn man das weiß und auch noch weiß, dass man sich dennoch damit beschäftigen muss, dann sollte man zumindest den Weg mit der attraktivsten Förderung wählen.“
Zum allgemeinen Desinteresse gesellen sich natürlich auch noch die Niedrigzinsphase und die hohe Auslastung des Arbeitsmarktes. Konsum ist attraktiver und einfacher denn je und der Durchschnittsverdiener will und kann sein Geld nicht für Konsum und Versorgung gleichermaßen ausgeben.
Digitalisierung funktioniert nicht als Anreiz
Damit schließt sich der Kreis zur Digitalisierung. Diese ist als Hilfsmittel für Unternehmen, Arbeitnehmer und Berater wichtig und nützlich. Sie kann aber die drei benannten Kernhindernisse nicht überbrücken. Entsprechend ist sie als Stand-alone-Lösung (noch) unbrauchbar. Man kann mit Nasentropfen das Symptom Schnupfen bekämpfen, aber nicht die Erkältung heilen.
Digitale bAV-Modelle werden Unternehmen schlimmstenfalls sogar davon abhalten, sich aktiv mit der bAV zu befassen. Dem Arbeitgeber wird es leicht gemacht zu sagen: „Unsere Firma hat alles getan, um die bAV auf modernste Weise zu installieren!“ Leider wird, wie auch prominente Beispiele aus Benefit- und bAV-Apps zeigen, die Nutzung der Entgeltumwandlung durch die Arbeitnehmer in Unternehmen die 10%-Grenze kaum übersteigen. Das schaffen auch Versicherer mit Lohnzettelbeilagen und Aushängen am Schwarzen Brett.
Es zählt der Mensch
Die Erkenntnis ist so einfach wie analog. In der bAV zählen vom Arbeitgeber bis zum Arbeitnehmer die Menschen und dies im Zusammenhang mit einer anspruchsvollen Thematik. Ohne Überzeugungsarbeit und Information vor Ort sowie das „Mitnehmen“ der Menschen, ihrer Fragen und Sorgen und das Ausräumen von Vorurteilen und Halbwissen, kann die bAV als Entgeltumwandlung nicht erfolgreich sein.
Das gilt umso mehr, als es eben nicht nur kaufmännische Berufe gibt, sondern in Deutschland immer noch eine hohe Anzahl an Arbeitnehmern an Werkstraßen und Fließbändern stehen und keinen digitalen Zugang zur bAV haben, diese aber umso mehr brauchen.
Fazit und Folgen
Das BRSG gibt professionellen Beratern eine riesige Akquise-Chance. Es besteht neuer Aufklärungsbedarf bei den Unternehmen. Die neue Förderung ist ein sensationeller Hebel, um ins Gespräch zu kommen. Es braucht Aufklärung: Der fachliche Sachstand in den Unternehmen ist aktuell kaum besser als 2002.
Parallel vereinfacht die Digitalisierung Unternehmen und Beratern die Arbeit – und das ist gut so.
Gerade das BRSG besitzt aber eine Kehrseite. Scheitert das Gesetz, dann ist die logische Konsequenz eine gesetzlich verpflichtende bAV wie in anderen europäischen Ländern. Und das hätte erhebliche Auswirkungen auf alle Säulen der privaten und betrieblichen Altersversorgung.

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Leserkommentare
Comments
Bravo!!
Hier äußert sich jemand, der die Thematik aus der Praxis und vor Ort kennt! Da kann ich nur sagen: Dem ist nichts hinzuzufügen! Der Kommentar ist jedem Politiker, Versicherungsfunktionär, Rechtstheoretiker und Digitalgläubigem wärmstens zu empfehlen!
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Sehr treffend formuliert!
Lieber Herr Seidenfad,
sehr treffend formuliert und analysiert. Die bAV, insbesondere im Belegschaftsgeschäft, ist und bleibt ein People-Business. Mithilfe der Digitalisierung lassen sich zwar Beratungsprozesse und Nachbetreuung effizienter gestalten, aber das persönliche Gespräch mit dem Arbeitgeber und Arbeitnehmer kann aus unserer Sicht nicht digitalisiert werden.
Mit dem BRSG hat unsere Regierung sicherlich nicht den besten Wurf gelandet, aber es gibt zumindest gute Ansätze und jede Menge Beratungsbedarf in den Unternehmen. Mit dem Sozialpartnermodell (Nahles-Rente) werden sich zwar die wenigen Tarifgebundenen (Groß)Unternehmen beschäftigen, aber der klassische Mittelstand wird wegen Frau Nahles die alte (bewährte) bAV-Welt nicht verlassen.
Um die Durchdringung in der Entgeltumwandlung zu erhöhen reichen die 15 % Zwangsbezuschussung und Erhöhung der steuerfreien Höchstgrenze auf 8% nicht aus. Für eine erfolgreiche Fachkäftegewinnung und nachhaltige Bindung von qualifizierten Mitarbeitern, muss man die bAV in eine innovative Employer Branding Stategie einbetten. Des Weiteren benötigen Arbeitgeber einen professionellen Informations-, Kommunikations- und Dokumentationsprozess bei der Umsetzung von bAV-Konzepten. Es kommt eben auf beides an, rechtssichere Gestaltung und "sexy bAV-Modelle".
Georg Pamboukis
Fachberater für betriebliche Altersversorgung (BWV)
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Gilt für alle Lebensstandardabsicherungen!
Aus meiner langjährigen Erfahrung haben sich die meisten für eine Ergänzung Ihrer Altersversorgung, erst nach,auch mehrfacher Ansprache und Aufzeigen für die Notwendigkeiten bzw. auch vieler Renditevorteile entschieden. Deswegen sind die Gesellschaften auf dem falschen Dampfer unterwegs, die nur mehr die Zukunft in Fintechs sehen. Der Kunde der sich von selbst aktiv meldet wird sicher eher die Minderheit darstellen.
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Hervorragend - Vielen Dank
Vielen Dank für diesen Kommentar / Artikel. Er trifft genau die Punkte und spricht die Problemkreise aus der Praxis an.
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