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16. Februar 2018
Warum digitale Initiativen in der Assekuranz scheitern

Warum digitale Initiativen in der Assekuranz scheitern

Die Versicherungswirtschaft investiert massiv in die Digitalisierung. Doch tragen die ergriffenen Maßnahmen auch Früchte? Zahlen sich die digitalen Initiativen in Form von Kosteneinsparungen und Umsatzsteigerungen aus? Oder wird sogar am eigentlichen Sinn vorbei digitalisiert? Ein Kommentar von Frank Gehrig, Partner in der Insurance Practice bei der Marketing- und Vertriebsberatung Simon-Kucher & Partners.

In den politischen Diskussionen in Deutschland fällt in den letzten Monaten immer häufiger der Begriff „Digitalisierung“. Hört man genauer hin, so fällt auf, dass die Blickwinkel der Politiker auf das Thema Digitalisierung sehr unterschiedlich sind. Für die einen findet Digitalisierung schon dann statt, wenn es zukünftig auch in ländlichen Gebieten schnelles Internet gibt. Die anderen machen sich Gedanken, welche Auswirkungen mit Automatisierung und Vernetzung für Arbeitsplätze entstehen und wie damit umgegangen werden kann.

Die Versicherungsbranche war in diesem Fall früher dran. Vor bereits ca. fünf Jahren wurde „Digitalisierung“ zum Modewort Nummer Eins. Parallelen zur Politik gab es jedoch bei den Blickwinkeln. Zwar sprach jeder von Digitalisierung, aber was die einzelnen Akteure darunter verstehen, war unklar und unterschiedlich: Für die einen war lediglich das Anbieten einer Onlineabschlussmöglichkeit bereits der notwendige Schritt in die digitale Welt. Die anderen fassten den Begriff weiter und hatten ein Kundenportal, Apps und gar eine völlig neue IT-Landschaft im Sinn. Und die Liste lässt sich noch lange weiterführen.

Inzwischen sind wir im Jahr 2018 angekommen und es stellt sich die Frage, was sich in der Zwischenzeit getan hat. Unsere Global Pricing & Sales Study 2017 zeigt: In der Branche herrscht ein Konsens darüber, dass etwas getan werden muss. Und auch an Investitionen mangelt es nicht. Kaum ein zweiter Industriezweig investiert laut unserer Studie stärker in Digitalisierungsinitiativen. Und trotzdem geben nur 15% der befragten Versicherer an, auf der Umsatzseite auch die Früchte zu ernten. Woran liegt das?

Eine klare Strategie fehlt

Obwohl 87% der befragten Versicherer angeben, eine „Digitalisierungs-Roadmap“ entwickelt zu haben, bleiben die Erfolge aus. Dies liegt daran, dass eine große Unklarheit und Unsicherheit besteht, welche Maßnahmen wirklich notwendig und sinnvoll sind und letztendlich Erfolg bringen. Heißt im Klartext: Es gibt zwar Roadmaps, wirklich gut sind diese aber nicht. Hinzu kommt, dass die Initiativen schlecht geplant und umgesetzt werden. Vielmehr verschlingt punktueller Aktionismus enorme Ressourcen, ohne dass der Mehrwert frühzeitig abgewogen wird. Prozesse sind nicht auf den Kunden ausgerichtet, Kanäle werden nicht integriert, die Monetisierung spielt gar keine Rolle oder ist zu spät im Fokus. Daher spiegeln sich die digitalen Bemühungen der Versicherungen nicht angemessen im Umsatz wider. Werden die Teilnehmer nach den wirksamsten Hebeln für zukünftiges Wachstum in der Digitalisierung gefragt werden, lauten die Top-drei-Antworten: „die Customer Journey verbessern“, „das Geschäftsmodell neu aufsetzen oder transformieren“, „den Verkaufsprozess digitalisieren“. Das Interessante daran: jede dieser Top-drei-Antworten wurde nur von maximal 50% der Befragten gegeben. Diese hohe Varianz in der Sichtweise und Einschätzung zeigt die Unsicherheit und Uneinigkeit in der Industrie auf. Und ob bei der erfolgreichen Digitalisierung wirklich alle Wege nach Rom führen, ist äußerst fraglich.

Vertriebswege nicht am Endkunden ausgerichtet

Um die Digitalisierung erfolgreich zu meistern, muss ein Unternehmen sein Geschäftsmodell auf ganz verschiedenen Ebenen transformieren: Es gilt, kundenzentriert statt produktorientiert und in Lösungen statt in Sparten zu denken. Zudem sollte die time-to-market reduziert werden. Für viele Versicherungsunternehmen stellt die Umsetzung dieser Schritte eine massive Herausforderung dar. Denn häufig sind die Organisationsstrukturen noch zu festgefahren und nicht verwoben, wie es eigentlich sein müsste.

Insbesondere in den Vertriebswegen hapert es noch ziemlich: Diese werden nicht genug gesteuert, passende und hilfreiche Unterstützung für den Vertrieb fehlt. Das eigentliche Potenzial des Online-Kanals besteht in geführten Verkaufsprozessen, welche die Charakteristika des Kunden erkennen, je nach Kundentyp Informationstiefe, Angebotsdarstellung, Voreinstellungen, Add-on-Angebote anpassen und schnell und systematisch zu einem hochwertigen Kaufabschluss führen. Digitalisierung heißt eben auch Reduzierung.

Auch im stationären Vertrieb müssen Beratung und Verkauf verzahnt und digitalisiert werden, um dem Kunden ein Erlebnis zu bieten, gefühlte Transparenz zu kreieren und subtil zu überzeugen. Damit ist nicht gemeint, unübersichtliche Print-Broschüren einfach auf ein digitales Format (zum Beispiel Tablet) zu übertragen, antike Antragsstrecken anzupassen, oder gar Apps zu entwickeln, die kaum ein Kunde nutzt. Viele Versicherer setzen hier auf die falschen Initiativen. Im Hinblick auf Produktivität und Conversion besteht also noch ungenutztes Potenzial. Behavioral Economics – also wissenschaftliche Erkenntnisse zum Wahl- und Kaufverhalten der Kunden – und eine echte Personalisierung des Angebots und Selektionsspektrums werden in diesem Kontext noch stiefmütterlich behandelt, sind aber wichtig. Denn: Den meisten Kunden sind Versicherungen egal. Daran ändert auch die Digitalisierung nichts. Sie ist aber eine Chance, Fehler und Unzulänglichkeiten in den Prozessen bewusst anzugehen und herausragende Lösungen zu finden, die beim Vertrieb und beim Endkunden ankommen und vereinfachen.

Weniger ist mehr

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Digitalisierung eine große Herausforderung für die Branche darstellt. Um die Möglichkeiten optimal zu nutzen, müssen die Unternehmen sich intensiv mit der Frage auseinandersetzen, welche Ansatzpunkte die richtigen sind, sich auf diese fokussieren und sie in der Folge lückenlos mit allen notwendigen Maßnahmen implementieren. Viele Leuchttürme ohne Licht sind Pseudo-Leuchttürme und damit nutzlos. Wie in so vielen Bereichen des Lebens, ist weniger oft mehr.

 

Leserkommentare

Comments

Gespeichert von Kamil Bieder am 16. Februar 2018 - 08:51

Wir sollten noch 2-3 Jahre warten, dann müssen wir nicht mehr digitalisieren. Dies werden dann andere für uns übernehmen. Amazon ist schon in Lauerstellung. Zusammen mit den Discountern wird dann die Versicherungsbranche angegangen.

Gespeichert von Heinrich Bockholt am 16. Februar 2018 - 10:55

Die Analyse ist sehr gut. Aber Unternehmen, Makler und Berater müssen heute entscheiden, was zu tun ist. Dazu gibt der Artikel keine Hinweise. Dass der Kunde wichtig ist, spricht sich gerade ja auch bei Vorständen herum. Aber die Kundschaft ist sehr unterschiedlich. Wie richte ich die digitale Welt auf den Kunden ein? Leider geht das nur mit Versuchen und Tests, die teuer sind.
MfG Prof. H. Bockholt, Koblenz

Gespeichert von Michael Krüger… am 16. Februar 2018 - 11:15

Digitalisierung und Versicherungsbranche sind zwei Worte, die sich gegenseitig ausschließen. Aktuell sieht es doch so aus, dass die meisten Versicherer auf dieser Schiene unterwegs sind, aber hinten rum immer noch vieles analog läuft. Michael Krüger

Gespeichert von Frank Knoche am 16. Februar 2018 - 11:38

Versicherungen beschäftigen sich leider immer noch zu sehr mit sich selbst und zu wenig mit den Kundenbedürfnissen. Auch 2018 setzt sich fort, was ich 2017 bereits beschrieben habe (https://frankknoche.de/versicherungdigitalisierung/): Vor kurzem erklärte mir ein Versicherungskonzern, dass man jetzt Scrum eingeführt habe und agil arbeiten würde. Was hat man gemacht? Eine "agile Komponente" auf die bestehenden Wasserfall-Prozesse aufgesetzt. Damit wurden die Prozesse insgesamt noch mehr verkompliziert und die Belegschaft verunsichert. Für die eingesetze externe Beratung ein gutes Geschäft - der Versicherungskonzern entfernt sich damit noch mehr von seinen Kunden, da man sich nur noch mit sich selbst beschäftigt. Kundenbedürfnisse bleiben außen vor.

Auch bei vielen Insurtechs sehe ich nur Pseudo-Innovationen und viel heiße Luft.

Meine Prognose: In 2-3 Jahren werden Amazon & Co. mit voller Ausrichtung auf die Kundenbedürfnisse zumindest weite Teile des "Brot- und Butter-Geschäfts" der Versicherungen übernommen haben.