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31. August 2019
„Die deutsche Wirtschaftspolitik muss sich schleunigst ändern“

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„Die deutsche Wirtschaftspolitik muss sich schleunigst ändern“

Braucht es gezielte Förderungen einzelner Branchen wie etwa der Automobilindustrie?

In der Automobilindustrie ist die Stimmung enorm gekippt. Das hat sowohl konjunkturelle Ursachen wie etwa die Abschwächung Chinas, aber vor allem auch strukturelle Ursachen wie Diesel-Gate, Fahrverbote oder verschärfte CO2-Vorgaben. Bei wirtschaftspolitischen Maßnahmen denke ich dennoch nicht an einzelne Branchen. Ich denke an die Standort- und Wachstumsbedingungen, die schon immer wichtig gewesen sind, die wir aber ein bisschen aus dem Auge verloren haben. Dazu gehört unter anderem die Steuerbelastung. Sie ist in Deutschland für Unternehmen und insbesondere Mittelständler im internationalen Vergleich überdurchschnittlich hoch. Andere Länder haben sich diesbezüglich in den vergangenen Jahren bewegt – ob die USA, Großbritannien oder auch Frankreich. Wichtige Wettbewerber liegen bei der Steuerbelastung wieder deutlich unter uns. Das ist ein Punkt, an dem man dringend ansetzen müsste.

Auch bei den Energiepreisen steht Deutschland ganz oben. Das ist für eine industrielastige Wirtschaft problematisch, zumal im verarbeitenden Gewerbe auch die Lohn- und Lohnnebenkosten höher sind als bei fast allen unserer Wettbewerber. Das ist in Ordnung, wenn die Produktivität Schritt hält. Das tut sie aber seit einiger Zeit nicht mehr; gesamtwirtschaftlich werden wir in diesem Jahr ein Produktivitätswachstum von Null haben. Es gibt also ein paar Themen, die die Wirtschaftspolitik aktuell nicht ausreichend auf der Agenda hat. Das muss sich schleunigst ändern. Sonst wird aus der viel bewunderten und gelobten Stärke Deutschlands bald ein Rückfall ins Mittelmaß.

Von Mittelmaß ist das Zinsniveau seit Jahren weit entfernt. Besteht die Hoffnung, dass sich daran etwas ändert?

Nein, denn die Weichen für die weitere Geldpolitik der EZB sind bereits gestellt. Mario Draghi hat uns in der letzten großen Konferenz in Sintra noch einmal auf eine lange Zeit niedriger Zinsen eingeschworen. Der neue Chefökonom der Bank steht auch für eine expansive Geldpolitik. Die Zinsen werden daher auf der Geldmarktseite noch lange ganz tief bleiben. Daher werden auch die Kapitalmarktzinsen etwa für zehnjährige Bundesanleihen nur minimal steigen können. Einen kräftigeren Renditeanstieg werden wir nicht bekommen, weil die Geldpolitik die Renditen tief halten will und sich in diesem Zusammenhang als wirkungsmächtig erwiesen hat. Man muss als Lehre der letzten Jahre anerkennen, dass die Geldpolitik wirksame Instrumente hat, um den langfristigen Zins unten zu halten. Alle damit verbundenen Probleme werden uns somit erhalten bleiben. Für den Sparer bleibt die Lage unbefriedigend.

 
Ein Artikel von
Michael Heise