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4. Juli 2020
„Die Gothaer fit für die nächsten 200 Jahre machen“

„Die Gothaer fit für die nächsten 200 Jahre machen“

Die Gothaer feiert 200. Geburtstag. Das ist die Gelegenheit, einen Blick auf die Geschichte des Versicherers zu werfen und Parallelen mit heute zu ziehen. Zudem ist es ein Abschiedsinterview mit Dr. Karsten Eichmann, dem bisherigen Vorstandsvorsitzenden der Gothaer Versicherungen.

Herr Dr. Eichmann, zum großen Jubiläum konnte die Gothaer nicht alle Feierlichkeiten realisieren. Was ist derzeit möglich?

In der Tat hatten wir viele Pläne. Aufgrund von Corona haben wir unseren Zukunftskongress auf das Jahr 2021 verschoben. Auch das Fest für unsere Mitarbeiter ist nicht möglich. Aber dennoch feiern wir den Geburtstag am 02.07.2020. Zum Beispiel werden wir in der Jubiläumswoche eine Ausstellung zur Geschichte, Gegenwart und Zukunft der Gothaer eröffnen, die auch digital zur Verfügung steht. Es herrscht also schon Geburtstagsstimmung, weil wir ja auch ein bisschen stolz auf unsere Geschichte sind.

Wie hoch kann die Stimmung in Corona-Zeiten aber sein?

Wir sind bislang gut durch die Corona-Krise gekommen. Der Großteil unserer Mitarbeiter arbeitet derzeit zum Schutz der Gesundheit von zu Hause, die Business Continuity ist sichergestellt. Das Unternehmen läuft und wir können unseren Kunden alle Services zur Verfügung stellen. Aber natürlich ist die konjunkturelle Gesamtentwicklung eine Herausforderung für viele unserer Kunden.

Versicherer sind dazu da, Krisen zu bewältigen. Früher waren Brände das größte Risiko. Darauf basiert ja auch die Gothaer-Gründung.

Ja, Auslöser der Gründung war ein Brand in einer Tabakfabrik in Gotha. Ein Versicherer aus London, vor 200 Jahren gab es noch keine größeren deutschen Anbieter, wollte hierfür einmal mehr nicht zahlen. Der Gothaer Kaufmann Ernst Wilhelm Arnoldi hat daraufhin eine Initiative unter Kaufleuten gestartet und gemeinsam mit ihnen die Feuerversicherungsbank für den deutschen Handelsstand auf die Beine gestellt. Alle hatten ähnliche Risiken, zahlten zur Absicherung einen gewissen Beitrag und erhielten im Schadenfall Hilfe: Das Gegenseitigkeitsprinzip war geboren.

Wie der Zufall es will, heißt es auch heute wieder, Versicherer wollen nicht zahlen, was uns zur Betriebsschließungsversicherung bringt.

Die Gothaer hat sich frühzeitig in den Kreis derjenigen begeben, die eine konstruktive Lösung auf die Beine stellen wollten. Denn in den Bedingungswerken der Gothaer und vieler anderer Häuser ist eine Pandemie einhergehend mit einer flächendeckenden vorsorglichen Betriebsschließung nicht gedeckt. Eine solche Versicherung gäbe es auch gar nicht, weil niemand die entsprechenden Prämien bezahlen könnte. Man würde dafür eine Lösung in Form einer Public Private Partnership benötigen, ähnlich wie bei Extremus.

Aus unserer Sicht war über die bayerische Lösung eine schnelle Hilfe gewährleistet. Die Gothaer hilft ihren Kunden aber auch darüber hinaus auf vielfältige Weise: Speditionen konnten eine beitragsfreie Ruheversicherung ohne amtliche Stilllegung in Anspruch nehmen, die Reduktion von Versicherungssummen und Deckungen ging formlos vonstatten. Zusammen mit Roland Rechtsschutz bieten wir eine kostenlose Beratung an. Und mit CoronaPuls, einer Plattform rund um das Corona-Krisenmanagement, unterstützen wir Unternehmen bei der internen Kommunikation zu allen Fragen rund um Corona und beim Gesundheitsmanagement.

Dann kommen wir auf das Prinzip der Gegenseitigkeit zurück.
Welchen Stellenwert hat das Prinzip heute noch?

Wir sind fest davon überzeugt, dass dieses Prinzip der Gegenseitigkeit Vorteile hat. Wir haben nur einen Stakeholder – unsere Kunden – und können unser Handeln komplett auf ihre Interessen ausrichten, wir müssen keine Dividenden an Eigentümer ausschütten. Versicherungsvereine konnten über die Jahre hinweg an Marktanteilen gewinnen. Gerade in Zeiten von Share Economy findet sich hier viel Zuspruch. Zudem können wir sehr langfristig und nachhaltig agieren. Das heißt auch, dass wir einen Teil unserer Erträge der Gemeinschaft zur Verfügung stellen. Zum 200. Geburtstag werden wir dies besonders sichtbar über die Gründung einer Stiftung tun.

Wo hat sich der Gedanke in der Gothaer-Geschichte bewährt?

Zunächst einmal hat es Arnoldi geschafft, innerhalb von zwei oder drei Jahren ein grenzüberschreitendes Vertriebsnetz mit 250 Kaufleuten aufzubauen. Darüber konnte das Unternehmen schnell neue Mitglieder gewinnen. Die große Feuerprobe kam für die Gothaer dann mit dem großen Hamburger Brand 1842. Hier zeigte sich, dass das Prinzip funktioniert. Alle Schäden wurden erstattet, das Geld wurde zum Teil mit Schiffen nach Hamburg gebracht.

Ein weiterer Großschaden war 1937 der Absturz des Zeppelins Hindenburg mit 36 Todesopfern. Die Gothaer war immer wieder konfrontiert mit außergewöhnlichen Situationen, aber bisher hat sich das Prinzip immer bewährt.

Sie hatten mit Share Economy schon einen Trend der Digitalisierung angesprochen. Diese geht immer weiter. Wo findet sich die Gothaer hier wieder?

Wir fanden die Entwicklung von Anfang an hochspannend und sind weiter neugierig, was noch an Innovationen und an Mehrwerten für die Kunden entwickelt wird. Unser erklärtes Ziel ist es, die Gothaer fit für die nächsten 200 Jahre zu machen. Wir haben dazu aber keine Zweitmarken gegründet und auch kein Geld zu Start-ups nach Berlin getragen. Wir setzen vielmehr auf Kooperationen mit interessanten Partnern. Wir sind an vielen Stellen sehr gut vorangekommen, insbesondere bei den Themen Convenience, innovative Produktangebote und digitale Services. An manchen Stellen agieren wir heute ähnlich wie Start-ups.

Diesen Weg haben Sie mitgeprägt.
Sie waren Treiber des Gothaer-Strategieprogramms 2020. Wie fällt hierzu Ihr Rückblick aus?

Wir wollten uns eine klare strategische Ausrichtung geben, bei der Gewerbe- und Firmenkunden stark im Mittelpunkt stehen. Auch die Vertriebsfokussierung war uns wichtig, Makler spielen hier eine wichtige Rolle. Zudem war die Ausrichtung des Konzerns inklusive des Produktportfolios auf die Niedrigzinsen sicherlich ein Kraftakt, insbesondere bei der Gothaer Leben. Nach dem erfolgreichen Umbau der Produktlandschaft zeigt sie Finanzstärke und ich bin froh, dass Run-off für uns nie ein Thema sein musste. Zudem haben wir unsere Kostenposition verbessert, aber gleichermaßen ein großes Investitionsprogramm für den IT-Umbau gestemmt. Und wir haben in Mindset und Kultur investiert, soll heißen, wir haben ein umfangreiches Qualifizierungs- und Change-Programm durchlaufen. Unsere Veränderungs- und Reaktionsfähigkeit ist heute eine klare Stärke im Marktgeschehen.

Und wie ist Ihr persönliches Fazit?

Ich glaube, jeder, der im Bereich Versicherung und Absicherung von Risiken für Privatkunden und Gewerbekunden arbeitet, kann stolz darauf sein, Menschen und Unternehmen in Krisensituationen zu helfen und zur Seite zu stehen. Ich habe immer viel Sinn in meiner Aufgabe gesehen und viel Freude an der Zusammenarbeit mit Kollegen und Partnern gehabt. Ich würde mich freuen, wenn die Bedeutung unserer Branche gemeinsam von Versicherern und Maklern für die Zukunft ausgebaut wird.

Das Interview finden Sie auch in AssCompact 07/2020 und in unserem ePaper.

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