AssCompact suche
Home
Investment
18. April 2011
„Es gilt eine neue tragfähige Architektur der Weltwirtschaft zu entwerfen“

„Es gilt eine neue tragfähige Architektur der Weltwirtschaft zu entwerfen“

Zukunftsforscher Klaus Burmeister sieht viele Chancen in der Entwicklung von Emerging und Frontier Markets. Auch Anleger sollten diese nicht außer Acht lassen, aber sie sollten darauf achten, Investitionen nicht nur als Renditeobjekt zu sehen, sondern auch als Beitrag zur Stabilisierung der weltwirtschaftlichen Verhältnisse.

AssCompact: Herr Burmeister, hat die neue Weltwirtschaftsordnung schon begonnen oder haben die alten Industrieländer doch noch die Nase vorn?

Klaus Burmeister: Unabhängig von den noch schwelenden Auswirkungen der Finanzkrise befindet sich die Weltwirtschaft in einem Prozess des Übergangs und der Suche nach neuen Mechanismen, die die Verschiebung der ökonomischen Gleichgewichte widerspiegelt. Es geht dabei nicht vordergründig um die Frage, wer die Nase vorn hat. Es geht letztlich aus globaler Perspektive darum, dauerhaft eine tragfähige Architektur der Weltwirtschaft zu entwerfen, die den neuen globalen Wertschöpfungsmustern, den Notwendigkeiten einer gerechten Verteilung von Einkommen und Wohlstand, sicherer Währungs- und Finanzmärkte sowie einem nachhaltigen Umgang mit Energie und Ressourcen sicherstellt.

AC: Die Entwicklungen in den Schwellenländern sind unterschiedlich. Sehen wir uns die großen Länder an: China und Indien. Was sind dort die auffälligsten Trends?

KB: Der wirtschaftliche Aufstieg Chinas zeigt deutlich die Verschiebung der ökonomischen Gleichgewichte. Chinas Wirtschaft wächst in einem rasanten Tempo. Millionenstädte werden am Reißbrett geplant und gegen alle Widerstände durchgesetzt. Der enorme Energiebedarf wird auf Basis vorhandener fossiler Energiequellen und der Atomenergie gedeckt. Weltweit verschafft sich China einen strategischen Zugang zu weiteren Ressourcen: Energie, Agrarflächen oder wissenschaftlich-technisches Know-how. Eine neue kaufkräftige Mittelschicht bewohnt die Megacities und orientiert sich an westlichen Konsummustern. Der neueste Fünf-Jahresplan will dem vermehrt Rechnung tragen. China verfolgt im Gegensatz zu Indien ein zentralistisches Entwicklungsmodell ohne demokratische Teilhabe. Dem gegenüber zeigt Indien einen alternativen Entwicklungspfad auf, der demokratisch legitimiert und dezentral angelegt dem Erfolg des großen Nachbarn nacheifert. Die Wachstumsraten sind zwar weniger stark, aber haben beträchtlich zugenommen und einzelne Industriezweige sind längst weltmarktfähig, wie die Fahrzeug- und Stahlindistrie oder IT- und Softwarebranche.

AC: Demographie, Ressourcen, Bildung, Umwelt sind verschiedene Schlagwörter, die in der Entwicklung von Schwellenländern immer eine Rolle spielen. Was sind günstige Voraussetzungen für eine positive Entwicklung?

KB: Generell kann festgestellt werden, eine erfolgreiche wirtschaftliche Entwicklung setzt stabile politisch-rechtliche Rahmenbedingungen, ausreichend Rohstoffe, eine tragfähige Infrastruktur und insbesondere ein entwicklungsfähiges Bildungsniveau voraus. Wie die Beispiele China, Venezuela oder auch die Golfstaaten zeigen, spielt das Vorhandensein der Demokratie scheinbar eine untergeordnete Rolle. Allerdings ändert sich dies mit der Herausbildung einer Mittelschicht. Auf Dauer, auch das zeigen nicht zuletzt die aktuellen Ereignisse in den arabischen Staaten, wird wirtschaftlicher Erfolg immer mit einer breiteren gesellschaftlichen Partizipation einhergehen.

AC: Wer sind für Sie die vielleicht noch unbekannteren Länder, die mit Innovationen oder starkem Wachstum aufholen?

KB: Aus meiner Sicht zeigt der vergessene „schwarze Kontinent“ die erstaunlichste Entwicklung in der letzten Zeit. Die positive Entwicklung Südafrikas wird inzwischen begleitet von wachstumsstarken Ländern wie Mosambik, Ruanda, Uganda oder auch Mali und Botswana. Afrika ist übrigens der weltweit schnellst wachsende Mobilfunkmarkt. Wichtig ist in diesem Zusammenhang natürlich auch Afrikas Rohstoffreichtum. China nutzt diesen, durch gezielte Infrastrukturentwicklungspartnerschaften. Nicht zu vergessen sind darüber hinaus Länder wie Vietnam, Thailand oder Indonesien, die zielstrebig einen Zugang zu den Weltmärkten suchen, aber auch in zweiter Linie Länder wie Kambodscha und Laos.

AC: Am Beispiel von Tunesien oder Ägypten sehen wir, dass viele Länder nicht so stabil sind wie erhofft. Welche Folgen wird dies haben?

KB: Der politische Um- und Aufbruch dort bietet diesen Ländern eher die Chance, endlich brachliegende ökonomische Potenziale zu entfalten. Eine gleichberechtigte Teil habe am wirtschaftlichen Geschehen und stabile politische Strukturen werden den Ländern helfen, sich infrastrukturell zu entwickeln. Das gute Bildungsniveau der Bevölkerung eröffnet beste Voraussetzungen für die Ansiedlung von Fertigungsindustrien sowie dienstleistungsorientierter Branchen.

AC: Welche Gefahren gibt es neben politischen Umwälzungen für die aufstrebenden Länder?

KB: Wenn die Europäische Union den grundlegenden Umbruch nicht anerkennt und den begonnenen Dialog mit den nordafrikanischen Anrainerstaaten nicht auf eine solide Grundlage stellt, durch wirtschaftliche Sonderentwicklungszonen oder die Umsetzung von Desertec, könnte ein Wiedererstarken alter Machteliten drohen.

AC: Sehen Sie denn auch Rückschläge in einzelnen Ländern?

KB: Vielleicht dazu nur so viel, die Veränderung ist das Konstante. Es gibt immer „Rückschläge“ und Fehleinschätzungen, davor sind auch wir nicht gefeit. Unabdingbar ist es deshalb, bei Zukunftsanalysen eigene Annahmen regelmäßig zu überprüfen und aus Fehlern zu lernen. Wir verzichten deshalb auch auf Prognosen und nähern uns der Zukunft mit plausiblen und konsistenten Szenarien, die ihre Prämissen offenlegen.

AC: Würden Sie grundsätzlich Anlegern empfehlen, in Emerging Markets zu investieren?

KB: Die echten Wachstumsmärkte liegen außerhalb der gesättigten Märkte, deshalb werden die Anleger nicht umhinkommen, sehr genau die aufstrebenden Ökonomien zu beobachten. Anleger müssen aber lernen, langfristiger zu denken und zu investieren. Die Entwicklung der Märkte braucht Zeit und vor allem entsprechende Rahmenbedingen. Aber wo sind neue „Anlageinstrumentarien“, die neben den Märkten auch stabile Entwicklungen der physischen Infrastrukturen, der Bildung, Gesundheit und sozialen Gerechtigkeit im Fokus haben? Hier scheinen mir die Finanzmärkte noch weitgehend blind zu sein. Mittel- und langfristig gedacht verspielen hier Anleger eine große Chance zur Entwicklung solider Grundlagen für nachhaltigen wirtschaftlichen Erfolg. Wo bleibt hier die vielbeschworene Innovationskraft der Finanzmärkte? Die Mikrokredite kamen so wenig wie der Smart aus den Kernindustrien, sondern von Außenseitern.

AC: Emerging Market Fonds halten auch Einzug in die Altersvorsorge der Deutschen. Normalerweise setzen die Deutschen sehr auf Sicherheit. Passt dies zusammen?

KB: Aus meiner Sicht ja. Vor allem, wenn solche Investitionen zukünftig nicht nur einseitig als Renditeobjekt gesehen werden, sondern stärker auch als Sicherung stabiler ökonomischer Verhältnisse in einer interdependenten Weltwirtschaft. Ein hehres Ziel, aber vielleicht auch eine notwendige neue Sicht auf eine risikobehaftete Welt.

AC: Welche Rolle wird Deutschland in dem neuen Weltwirtschaftssystem spielen?

KB: Als Exportnation profitiert Deutschland eindeutig vom Aufstieg der Schwellenländer. Den Emerging Markets modellhaft Lösungen für drängende Herausforderungen zu exportieren, scheint ein vielversprechender Weg für dauerhafte Austauschbeziehungen. Damit sind explizit Produkte und Dienstleistungen unter anderem zum Auf- und Ausbau von Infrastrukturen für Megacities, für energieeffizientes Bauen, für regenerative Energieerzeugung, zur Entwicklung von Gesundheits- und Bildungsstrukturen und zum Übergang von fossilen Verbrennungsmotoren zu regenerativen Antriebssystemen und Mobilitätsdienstleistungen gemeint.

AC: Geben Sie uns noch einen neuen, vielleicht überraschenden, Trend mit auf den Weg.

KB: Land Grabbing könnte für Sie überraschend sein, gemeint ist der strategische Aufkauf von landwirtschaftlicher Nutzfläche durch Staaten oder Staatsfonds. Dadurch ist zum Beispiel fast die Regierung Madagaskars gestürzt, die rund 40% der Agrarfläche an China verkaufen wollte. Eines wird so sichtbar – Knappheit von Ressourcen ist ein Megatrend und ein nachhaltiger Umgang mit Rohstoffen, der Biodiversität oder der Entwicklung von Ökonomien bleibt ganz oben auf der ökonomischen Agenda.

AC: Herr Burmeister, vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview mit Interview mit Klaus Burmeister, Zukunftsforscher und Gründer und geschäftsführender Gesellschafter der Z_punkt GmbH lesen Sie auch in der Aprilausgabe der AssCompact auf Seite 66f.