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24. März 2022
„Finanzmärkte strafen Greenwashing knallhart ab!“

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greenwashing and companies pretending to be sustainable conceptual image, paper leaf with green brush painting on it on top of product packaging

„Finanzmärkte strafen Greenwashing knallhart ab!“

Die EU-Kommission hat vorgeschlagen, Erdgaskraftwerke als nachhaltige Form der Energie­erzeugung zu klassifizieren. Betreibt die Kommission damit Greenwashing?

Erdgas und auch die Atomkraft sind für die „sustainable finance“-­Plattform – das Beratungsgremium der EU-Kommission – überraschend in die Taxonomie gekommen und die Plattformvertreter halten diesen Vorgang tatsächlich für Greenwashing. Erstaunlich ist die Aufnahme von Atomkraft und Erdgas insofern, als beide Technologien der Grundidee der Taxonomie – die Erreichung der Ziele aus dem Pariser Klimaabkommen und dabei keinem anderem Umweltziel schaden – widersprechen. Das war ein politischer Prozess, denn innerhalb Europas existieren unterschiedliche Philosophien von Nachhaltigkeit. Über diese Entscheidung sollte man untereinander diskutieren und versuchen, einen Kompromiss zu finden. Aber: Weder das Nachhaltigkeitsverständnis von Land A noch das von Land B ist falsch und hierzulande scheinen andere Ansichten immer ein großes Erstaunen auszulösen. Im Übrigen hinkt Deutschland bei der Implementierung von „sustainable finance“ anderen EU-Staaten weit hinterher. Und der größte Green-Bond-Emittent ist China!

Welche Rolle nimmt denn die EU-Taxonomie bei der Nachhaltigkeitswende im Allgemeinen und beim Thema Greenwashing im Besonderen ein?

Ich halte die EU-Taxonomie für einen echten Gamechanger. Sie ist ein machtvolles Werkzeug, das dazu führen kann, die Ziele aus dem Pariser Klimaschutzabkommen zu erreichen. Allerdings ist der Reputationsschaden durch die Aufnahme von Atomkraft und Erdgas enorm. Das einzig Positive daran ist, dass das Regelwerk nun maximale mediale Aufmerksamkeit genießt. Davon abgesehen hat die Taxonomie das Potenzial, das Greenwashing-Problem zu lösen, weil es bestenfalls alle Aktivitäten sammelt, die zur Erreichung der Nachhaltigkeitsziele beitragen. Dadurch wächst die Hoffnung, dass mithilfe der Kapitalmärkte die Welt ein Stück besser gemacht werden könnte.

Stichwort Taxonomie: Was kommt denn mit diesem Regelwerk auf die Versicherungs- und Finanzbranche überhaupt zu?

Gegenwärtig sind etwa 10% des Kapitals in Deutschland in nachhaltige Fonds investiert. Wir haben es also eher mit einer Marktnische zu tun. Warum dann die ganze Aufregung? Nun, die Taxonomie ist das Werkzeug und jetzt kommt es entscheidend auf die Anwendung dieses Werkzeugs an. Mal angenommen, mit der Taxonomie würden harte Regeln für die Versicherungswirtschaft getroffen, sodass das Kapital für eine fondsgebundene Altersvorsorge künftig womöglich nur noch Taxonomie-konform angelegt werden darf. Das hätte dann nichts mehr mit weicher Regulierung zu tun, sondern das wäre eine knallharte Vorgabe für die Branche! Ich vermute, dass wir hier in naher Zukunft über viele solche Anwendungsmöglichkeiten staunen werden können.

Investmentgesellschaften können nur in Unternehmen investieren, die existieren. Wie nachhaltig ist denn die Unternehmenslandschaft im Allgemeinen und gibt es überhaupt vollständig nachhaltige Unternehmen?

Es ist ein Missverständnis zu behaupten, es gäbe nur nachhaltige und nicht-nachhaltige Unternehmen. Nimmt man das Pariser Klimaschutzabkommen als Ziel vor Augen, dann stellt Nachhaltigkeit einen Prozess dar. Die Menschheit muss sich überlegen, wie sie an dieses Ziel gelangt. Wie können die Unternehmen dazu bewogen werden, dass ihre Geschäftsmodelle auch in 20 Jahren noch funktionieren und dabei im Einklang mit dem Abkommen stehen? Hier entstehen jede Menge Investitionsmöglichkeiten, wodurch die Finanzmärkte den Unternehmen signalisieren können: Hey, wir finden dein Geschäftsmodell nachhaltig!

 
Ein Interview mit
Prof. Dr. Christian Klein