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20. Juli 2022
„Ich möchte an Ehrlichkeit im Finanzvertrieb appellieren“

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„Ich möchte an Ehrlichkeit im Finanzvertrieb appellieren“

Der Vermittlermarkt ist heute reguliert. Es gibt Dokumentationen, Pflichten, Vorschriften, DIN-Normen und demnächst noch ESG-Regeln. Kommt die Kritik angesichts solcher Entwicklungen nicht etwas überholt daher?

Wieso überholt? Und welche Kritik? Ganz und gar nicht! Die im Buch beschriebenen Tricks, Manipulationen und Psychofallen im Finanzdienstleistungsvertrieb sind leider hochaktuell und stammen aus Kundenfällen, die in der Regel weniger als zwei Jahre alt sind. Über das Argument, der Vermittlermarkt sei doch so reguliert und damit qualitätsgesichert, lacht doch hinter vorgehaltener Hand die gesamte Branche. Unsere Asservatenkammer mit Beispielen interessengeleiteter Fehlberatung ist randvoll. Und der Bund der Versicherten, die Verbraucherzentralen und die Bürgerbewegung Finanzwende haben noch viel größere Asservatenkammern, die ebenfalls randvoll sind. Natürlich sind das alles nur Einzelfälle. Aber eben zigtausend Einzelfälle. Und wenn Sie den Einbezug von ESG-Regeln im Vertriebsprozess ansprechen: Da bahnt sich schon die nächste Bugwelle verbraucherfeindlicher Regulierung an. Nämlich die Rechtfertigung kostenintensiver Produkte und Vehikel durch einen Nachhaltigkeitsanspruch, der sich unter den bestehenden Bedingungen noch überhaupt nicht realisieren lässt. Die ersten Greenwashing-Skandale sind da meines Erachtens nur die Vorboten.

Versicherungsmakler sind Sachwalter ihrer Kunden und nur diesen verpflichtet. Sie sind nicht an bestimmte Anbieter und Produkte gebunden, sondern vergleichen Produkte. Findet der Berufsstand bei Ihnen Würdigung?

Grundsätzlich findet jeder Berufsstand bei mir Würdigung – das ist gar keine Frage. Trotzdem geht Ihr Einleitungssatz an der Vertriebsrealität völlig vorbei. Auch Makler unterliegen in vielen Situationen starken Fehlanreizen, wie jeder Brancheninsider nur allzu gut weiß. Auch Makler schreiben lieber Verträge über größere als kleine Volumina, vermitteln lieber provisionsstarke als provisionsschwache Produkte usw. Und am Ende der Tätigkeit des Maklers steht mit aller größter Wahrscheinlichkeit eine Produktempfehlung. Das mögliche Ergebnis einer echten Beratung im Kundeninteresse – nämlich der Rat: „Machen Sie nichts, schließen Sie keinen Vertrag ab – das lohnt sich für Sie nicht“, kommt doch so gut wie niemals vor. Den von mir oben genannten Verbraucherschutzinstitutionen liegen leider auch viele Fehlberatungsfälle von Maklern vor, die sich nur durch deren Eigeninteresse erklären lassen. Ich weiß – alles Einzelfälle… Trotzdem: um ein versöhnliches Ende zu finden. Es gibt sicher viele ehrenwerte Makler, die aus Ethos mit den täglichen Fehlanreizen und Interessenkonflikten vernünftig umgehen. Und dass viele Makler zum Beispiel nach Einführung der Indexpolicen deren Vertrieb komplett boykottierten, finde ich natürlich stark und selbstbewusst. Den entsprechenden Bericht darüber habe ich übrigens in AssCompact gelesen – Glückwunsch. Was ich also ganz sachlich kritisiere, sind lediglich die offensichtlich bestehenden Interessenkonflikte im Finanzdienstleistungsvertrieb. Und die sind bei Maklern auf alle Fälle geringer als zum Beispiel beim Ausschließlichkeitsvertrieb. Wie soll ein Einfirmenvertreter, der an der kurzen Leine des Vertriebscontrolling geführt wird, beispielsweise die Vermittlung von Indexpolicen verweigern?

An der Provisionsvergütung lassen Sie kein gutes Haar. Warum könnte man nicht einfach dem Kunden selbst überlassen, ob er sich bei seinem Vermittler oder Berater auf Provisionsbasis oder gegen Honorar beraten lässt?

Ganz einfach weil die Spielwiese zwischen Honorar und Provision kräftig schief steht und zwar zu Lasten der Honorarberatung. Das fängt schon damit an, dass Beratungshonorare mehrwertsteuerpflichtig sind, während Vermittlungsprovisionen mehrwertsteuerfrei bleiben. Das ist ein krasser Fall von Ungleichbehandlung – altbekannt, aber Dank einer tollen Lobbyarbeit nach wie vor sakrosankt. Ebenso dürfen Provisionsvermittler Honorare entgegennehmen, jedoch echte Honorarberater natürlich keine Provisionen kassieren. Und dann gibt es eben einen großen Unterschied in der Transparenz und Wahrnehmung der Vergütungen, die ja aus Sicht des Kunden Kosten sind. Während die direkt gezahlten Honorare offensichtlich sind und beim Kunden schnell die Wahrnehmung „teuer“ auslösen, fließen die Provisionen ja indirekt und bleiben in der Kundenwahrnehmung entweder völlig unentdeckt oder werden zumindest unterschätzt. Ich kenne persönlich eine Menge zum Teil sogar hochgebildete Menschen, die bei Abschluss eines Vorsorgevertrags die Information über die Höhe der Abschluss- und Vertriebskosten schlicht und ergreifend nicht wahrgenommen haben. Wie so etwas nicht trotz, sondern wegen der Art der Regulierung funktioniert und dass zum Beispiel VVG-Infos mit über hundert Seiten Umfang nicht dem Verbraucher, sondern dem Vermittler helfen, ist jedem Vertriebsprofi bekannt. Und wie diese angesichts der Informationsüberflutung des Kunden mit geschickter Fokussierung und Defokussierung diesen an der Wahrnehmung der Kosten hindern, erläutern wir gut verständlich im Buch. Kurzum: Die meisten Finanzdienstleistungen sind eben keine für den Verbraucher leicht zu durchschauenden Güter wie belegte Brötchen, sondern schwer durchschaubare Vertrauensgüter, deren Qualität sich erst nach Jahren, meist Jahrzehnten zeigt.