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3. Oktober 2022
„Schöne neue Vorsorgewelt“ ist nicht zu Ende gedacht

„Schöne neue Vorsorgewelt“ ist nicht zu Ende gedacht

In der betrieblichen Altersversorgung befindet sich mal wieder alles in Bewegung. Es steht zudem weiterhin die angekündigte Reform der Altersvorsorge aus. Die aba mit einer Einordnung des Sozialpartnermodells und der Entwicklung von Beitragszusagen sowie deutlicher Kritik an Staatsfondsplänen.

Interview mit Klaus Stiefermann, Geschäftsführer der aba Arbeitsgemeinschaft für betriebliche Altersversorgung e.V.
Herr Stiefermann, es zieht sich bis zur Umsetzung des ersten Sozialpartnermodells. Bei Redaktionsschluss ist aber so viel bekannt, dass es nicht mehr lange dauern kann [inzwischen neuester Stand der Dinge siehe hier]. Wird es beim zweiten, dritten, vierten schneller gehen oder wo liegen die Herausforderungen?

Gut Ding braucht Weile, vor allem wenn man Neuland betritt und nur auf tarifvertraglicher Basis tätig werden darf. Der Tarifvorbehalt beim Sozialpartnermodell führt dazu, dass die entsprechenden Verhandlungen erst eingereiht werden müssen in geeignete Tarifrunden. Und die gab es, auch wegen des coronabedingten anderweitigen Handlungsbedarfs, lange nicht. Zudem betreten die Sozialpartner Neuland und sie stellen ihre Reputation und ihren guten Namen unter Risiko, da sie ja in der Durchführung und Steuerung der Einrichtung ganz neue Verantwortungen übernehmen werden. Die Arbeitnehmerseite muss den Mitgliedern auch erklären, dass es hohe Sicherheit auch ohne teure Garantien, die wir uns nicht mehr leisten können, gibt. Und dann müssen ja Sozialpartner, Versorgungseinrichtung und BaFin auf einen gemeinsamen Nenner kommen, bevor es losgeht. Die coronabedingten Einschränkungen hatten zudem bremsende Wirkung.

Da finde ich es schon bemerkenswert, wie schnell man sich dieser Thematik zielführend angenommen hat. Und wir werden sehen, wenn das erste Sozialpartnermodell umgesetzt wird, werden schnell andere folgen.

Die reine Beitragszusage mit höherer Investmentorientierung könnte mit der Inflation mehr Zuspruch bekommen. Welche Entwicklung erwarten Sie?

Dauerniedrigzins, Garantien, kaum Möglich­keiten, einmal gegebene Zusagen für die Zukunft anzupassen, und dann noch hohe Inflationsraten. Das sind Rahmenbedingungen, die die bisherigen Formen der bAV zunehmend an Grenzen stoßen lassen. Die reine Beitragszusage kann helfen, diese Herausforderungen besser zu managen. Die kollektive Systematik und der kollektive Sparprozess werden attraktive, generationengerechte, lebenslange Leistungen generieren können. Chancenorientierte Kapitalanlage, Renten auf der Basis realistischer Rechengrößen, Volatiliätsmanagement durch ausgeklügelte Sicherungsmechanismen sind dabei Qualitätsmerkmale der reinen Beitragszusage.

Gleichermaßen steht in der Ampelkoalition eine Reform der Altersvorsorge aus. Großprojekt ist die Aktienrente, aber auch die bAV könnte reformiert werden. Was hören Sie zu den Projekten?

Das Thema Aktienrente verfolgen wir natürlich, auch wenn es die gesetzliche Rente betrifft. Wir sind gespannt darauf zu sehen, wie sichergestellt wird, dass der Kapitalstock vor politischer Einflussnahme geschützt wird, wie und mit welchen Mitteln er befüllt wird und wie die Gesamtkostensituation aussieht.

Mit Sorge verfolgen wir die Diskussionen um all die Staatsfondsmodelle von Deutschlandrente bis Extrarente. Was als schöne neue Vorsorgewelt dargestellt wird, ist nicht zu Ende gedacht. Kosten rechnet man schön, weil der gesamte administrative Aufwand auf die Arbeitgeber verlagert wird und die Kosten der Auszahlungsphase negiert werden. Verbreitungserfolge stellt man in Aussicht, ohne die kannibalisierende Wirkung solcher Modelle zu berücksichtigen. Die reine Beitragszusage ist da überlegen. Altersversorgung ist nämlich mehr als Geld einsammeln und es möglichst effizient anlegen!

2023 soll das BRSG evaluiert werden. Bisher ist es nicht gelungen, die Durchführung in der bAV deutlich zu erhöhen. Steht dann vielleicht ein Obligatorium an?

Die für 2023 anstehende BRSG-Evaluierung sollte möglichst aufgeschoben werden. Sie darf jedenfalls nicht genutzt werden, um ein bAV-Obligatorium einzuführen. Bereits im Gesetzgebungsverfahren haben wir darauf hingewiesen, dass die Einführung von Sozialpartnermodellen Zeit braucht, und Corona hat auch den Prozess entschleunigt. Auch das muss bei der Evaluierung angemessen berücksichtigt werden.

Die Wirtschaft steht vor schwierigen Zeiten. Was bedeutet dies für die Entwicklung der bAV?

Demografie, Digitalisierung, Dekarbonisierung und externe Schocks wie Corona oder der Krieg in der Ukraine, all diese Themen beeinflussen auch die bAV, ihre Versorgungswerke und deren Finanzierung sehr stark. Daher setzen wir auf Sozialpartnermodelle, fordern aber auch für bestehende Systeme mehr Flexibilität. Es muss ermöglicht werden, rechtssicher einmal gegebene Zusagen jeweils auf die aktuellen Herausforderungen anzupassen. Bereits erworbene Anwartschaften sollen dabei nicht gekürzt werden, es geht immer nur um die zukünftig noch zu erwerbenden Anwartschaftsteile. So kann der Unternehmensaufwand für bAV jeweils generationengerecht verteilt werden. Angesichts des Fachkräftemangels zeigt sich nämlich: Wir brauchen gute Betriebsrentenversprechen, um junge Mitarbeiter zu gewinnen. 

Welche Themen stehen denn sonst noch an?

Die breite Berichterstattung zum Sozialpartnermodell kann leicht darüber hinwegtäuschen, dass wir noch eine Unzahl weiterer bAV-Baustellen haben. So steht zum Beispiel die Überprüfung der sogenannten EbAV-II-Richtlinie an. Nachhaltigkeit, IT-Sicherheit, EbAV-Kostenberichtswesen, die Einführung der digitalen Rentenübersicht oder die Umsetzung des sogenannten Nachweisgesetzes sind weitere wichtige Themen, um nur einige zu nennen. Unermüdlich kämpfen wir gegen drohende Überregulierung, für mehr Generationengerechtigkeit und Flexibilität in der bAV. Zudem muss die bAV digitaler werden; da passt das aktuelle Nachweisgesetz nicht in die Zeit.

Das Interview lesen Sie auch in der AssCompact Sonderedition Betriebliche Versorgung (09/2022), S. 12 f. und in unserem ePaper.

Bild: © aba