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07/2015
27. Juli 2015
„Die Bedeutung der Betrugsbekämpfung hat deutlich zugenommen“

„Die Bedeutung der Betrugsbekämpfung hat deutlich zugenommen“

Schäden am Smartphone, kaputte Brillen, „Autobumser“, Belegfälschungen etc. Die Bandbreite beim Thema Versicherungsbetrug ist groß und das Unrechtsbewusstsein oftmals gering. Vermittler sollten aufpassen, nicht zum „Handlanger“ der Betrüger zu werden, und im Schadenfall von Anfang an mit offenen Karten spielen.
Interview mit Prof. Dr. Dirk-Carsten Günther, BLD Bach Langheid Dallmayr Rechtsanwälte

Herr Prof. Dr. Günther, Versicherungsbetrug wird oft als Kavaliersdelikt angesehen. Die finanziellen Auswirkungen für die Versicherungswirtschaft sind jedoch enorm. Welche Sparten sind besonders betroffen?

Solche Dubiosschäden betreffen alle Sparten in unterschiedlicher Intensität. Im Fokus steht die gesamte Bandbreite der Sachversicherung und der Kraftfahrtversicherung, aber auch die allgemeine Haftpflicht- und Transportversicherung. Nach zugegebenermaßen groben Schätzungen sollen rund 10% aller Schadenmeldungen in fast allen Industrieländern betrügerisch sein. In einigen Sparten, ich denke zum Beispiel an die Reisegepäckversicherung oder gar die „Handyversicherung“, ist der Anteil viel höher. Zu beobachten ist aber auch ein negativer Trend in der Personenversicherung. Dies gilt nicht nur für die Krankenversicherung mit ihren Abrechnungsbetrügereien als Massenphänomen, sondern beispielsweise auch für die Berufsunfähigkeitsversicherung. Dort geht es zwar nur um wenige Dubiosschäden, aber mit einer jeweils hohen Schadenhöhe.

Ist jeder Versicherungsbetrug auch ein Betrug im strafrechtlichen Sinn?

Bei auffälligen Schäden geht es nicht nur um den „klassischen“ Betrug. Es geht auch und gerade um die Fälle, bei denen versicherungsrechtliche Einwände in Betracht kommen, die zur Leistungsfreiheit des Versicherers führen, ohne dass es sich um einen Betrug im strafrechtlichen Sinne handelt. Einfaches Beispiel: Der Versicherungsnehmer reicht beim Versicherer einen gefälschten Beleg als Nachweis für die Anschaffung des angeblich entwendeten Goldschmucks bei seinem Hausratversicherer ein. Das ist eine „krasse“ arglistige Täuschung, die zur vollständigen Leistungsfreiheit des Versicherers führt – also auch für die Sachen, über die er nicht getäuscht hat. Dies setzt aber keine Bereicherungsabsicht des Versicherungsnehmers voraus. Der typische Einwand des Versicherungsnehmers in diesen Fällen, er hätte aber den Schmuck doch besessen und das könne doch seine Ehefrau oder wer auch immer bestätigen, ist ihm abgeschnitten. Strafrechtlich handelt es sich aber nur dann um einen versuchten Betrug gegenüber dem Versicherer gemäß § 263 StGB (Strafgesetzbuch), wenn der Versicherer positiv nachweisen kann, daß der Versicherungsnehmer nicht „nur“ eine Fälschung eingereicht hat, sondern den Schmuck nie hatte.

Viele Versicherungsmakler unterstützen ihre Kunden bei der Schadenmeldung. Was müssen Vermittler im Falle eines Verdachts auf einen Versicherungsbetrug beachten bzw. mit welchen Konsequenzen müssen Vermittler rechnen?

Mein Rat ist: Einfach bei der Wahrheit bleiben. Der Versicherungsnehmer soll gemeinsam mit seinem Vermittler von Anfang an mit „offenen Karten“ spielen, auch wenn klar ist, dass es Deckungsprobleme geben kann. Der Versicherer, so meine Erfahrung, weiß diese Offenheit zu schätzen und zieht vielleicht nicht ­jeden möglichen rechtlichen Einwand. Oft kommt die falsche Angabe doch ­hinaus und die Rechtsprechung ist in diesen Fällen recht „hart“ und betont die fehlende Schutzbedürftigkeit des arglistig handelnden Versicherungsnehmers. Besonders „bitter“ mag es sein, wenn bei wahrheitsgemäßer Angabe der Versicherer gezahlt hätte.

Erst letzte Woche habe ich bei einem Oberlandesgericht einen typischen Fall verhandelt. Aufgrund eines Sachverständigengutachtens stand fest, daß das Küchenfenster, welches der Täter aufgehebelt hatte, auf Kipp stand. Der Versicherungsnehmer, es handelte sich um einen Zahnarzt, betonte vorgerichtlich gegenüber dem Schadenregulierer jedoch, dass das Fenster geschlossen war. Er befürchtete offenbar, daß der Versicherer wegen des gekippten Fensters den Anspruch wegen grob fahrlässiger Herbeiführung des Versicherungsfalls kürzt. Dies hätte der Versicherer schon deswegen nicht gemacht, weil nicht der Versicherungsnehmer selbst das Fenster in Kippstellung zurückgelassen hat, sondern seine Putzfrau, deren Handeln ja dem Versicherungsnehmer nicht zuzurechnen ist.

Wo sollten Vermittler lieber zweimal hinsehen? Was sind die typischen Indizien eines Versicherungsbetrugs?

Na ja, wenn der tiefergelegte 3er BMW zwei Wochen nach Versicherungsbeginn entwendet wird, sollte man schon genauer hinsehen. Allerdings sehe ich hier weniger den Vermittler im Obligo als die Mitarbeiter in der Schadenabteilung.

Welche Auswirkungen hatte das neue VVG auf die Betrugsabwehr bzw. wie sieht es mit der Verteilung der Beweislast aus?

Bei vielen Konstellationen, bei denen früher zum Beispiel grobe Fahrlässigkeit zur vollständigen Leistungsfreiheit führte, ist dies heute nicht mehr der Fall. Viele Gerichte stützten ihr Urteil auf solche Einwände, sodass es nicht einer womöglich mehrjährigen Beweisaufnahme zur Frage einer Eigenbrandstiftung des Versicherungsnehmers bedurfte. Selbst bei einer vorsätzlichen Obliegenheitsverletzung muß der Versicherer nunmehr zahlen, wenn es an der Kausalität fehlt. Solche Konstellationen führen nur noch bei einer vom Versicherer nachzuweisenden Arglist des Versicherungsnehmers zur Leistungsfreiheit. Daher hat die Bedeutung der Betrugsbekämpfung deutlich zugenommen.

Was dürfen Versicherer alles tun, um sich gegen Versicherungsbetrug zu schützen bzw. wo sind die Grenzen?

Im Rahmen der Regulierungsprüfung hat der Versicherer aufgrund der Aufklärungs- und Belegobliegenheit eine recht weite Befugnis, Informationen vom Versicherungsnehmer anzufordern, beispielsweise zu dessen wirtschaftlicher Situation. Wenn der Versicherer Ermittler einsetzt, hat er natürlich die rechtlichen Vorgaben zu beachten, insbesondere datenschutzrechtliche Bestimmungen und die des Strafrechtes. Gerade im Kfz-Bereich setzen viele Versicherer auch Betrugserkennungssoftware ein, wobei deren Bedeutung nicht überschätzt werden darf.

Welche Aufgaben übernimmt das Betrugsaufklärungs­zentrum der Kanzlei BLD?

Das Hauptproblem bei der Betrugsbekämpfung ist zunächst das Erkennen auffälliger Schäden, sodann die Ermittlung gerichtsfester Fakten. Die wesentliche Aufklärungsarbeit muss erbracht werden, bevor es zu einem Rechtsstreit kommt. Hier bietet das BLD-Betrugsaufklärungszentrum (www.betrugsaufklaerungszentrum.de) eine Unterstützung mit Anwälten, die auf die außergerichtliche und gerichtliche Abwehr betrügerischer Schäden hochspezialisiert sind, eine Fülle von Veröffentlichungen vorweisen und regelmäßig Fachvorträge halten. Dabei arbeitet das BLD-Betrugsaufklärungszentrum mit einen Expertennetz technischer und weiterer Sachverständiger und privater Ermittler zusammen, bietet ein Wissensmanagement durch In-house-Schulungen, EDV-gestützte Archive, Betrugsmeetings, professionelles Infobroking, sorgt für die Wiedererlangung von Vermögenswerten bei aufgedecktem Betrug usw. Ferner bietet das Betrugsaufklärungszentrum über den einzelnen Schadenfall Begutachtungen an. Das gilt zum Beispiel dem Datenschutz, welcher zunehmend an Bedeutung gewinnt.

Das Interview lesen Sie auch in AssCompact 07/2015, Seite 110f.

 
Ein Artikel von
Prof. Dr. Dirk-Carsten Günther,Leiter des Betrugsaufklärungszentrums, BLD Bach Langheid Dallmayr Rechtsanwälte