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11. August 2022
Abfrage von Präferenzen zur Nachhaltigkeit – Nur wie?
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Abfrage von Präferenzen zur Nachhaltigkeit – Nur wie?

Seit dem 02.08.2022 müssen Vermittler die Nachhaltigkeitspräferenzen ihrer Kunden berücksichtigen. Sie stehen nun vor dem Dilemma, die Präferenzen ohne die dafür erforderlichen gesetzlichen Detailvorgaben erfragen zu müssen. Was tun? Ein Überblick von Hans-Ludger Sandkühler.

Ein Artikel von Hans-Ludger Sandkühler

Seit dem 02.08.2022 müssen Vermittler von Versicherungsanlageprodukten im Rahmen der Geeignetheitsprüfung auch die Nachhaltigkeitspräferenzen ihrer Kunden berücksichtigen. Detaillierte Vorgaben dazu sollen technische Regulierungsstandards der Europä­ischen Kommission zur EU-Offenlegungsverordnung enthalten. Deren Anwendungsbeginn ist bisher zweimal, zuletzt auf den 01.01.2023, verschoben worden. Vermittler von Versicherungsanlageprodukten stehen nun vor dem Dilemma, Nachhaltigkeitspräferenzen ihrer Kunden ohne die dafür erforderlichen gesetzlichen Detailvorgaben erfragen zu müssen. Was tun? Ein Überblick.

Hintergrund Sustainable Finance

Anfang 2018 veröffentlichte die Europäische Kommission den Aktionsplan Finanzierung nachhaltigen Wachstums (Financing Sustainable Growth). Der Aktionsplan fußt auf der Agenda 2030 der Vereinten Nationen für nachhaltige Entwicklung und dem Pariser Klimaabkommen. Zentrales Element ist der Begriff „Nachhaltiges Finanzwesen“ (Sustainable Finance), der sich auf die Berücksichtigung umweltbezogener und sozialer Erwägungen (sogenannter ESG-Faktoren) bei Investitionsentscheidungen bezieht. Ein Teil der Gesetzgebungsinitiative zur Umsetzung des Aktionsplans ist die Offenlegungsverordnung.

Zentrale Inhalte der Offenlegungsverordnung

In der Verordnung werden u. a. Vorschriften über Transparenz im Hinblick auf die Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsrisiken festgelegt. Welche Pflichten damit für Vermittler von Versicherungsanlageprodukten verbunden sind und wie Vermittler mit diesen Pflichten umgehen können, ist hinreichend diskutiert und in einer lesenswerten Empfehlung der Verbände AfW und VOTUM dargestellt.

Verpflichtung zur Abfrage von Nachhaltigkeitspräferenzen

Mit der Delegierten Verordnung EU 2021/1257 zur Änderung der Delegierten Verordnungen EU 2017/2358 (Aufsichts- und Lenkungsanforderungen, POG) und EU 2017/2359 (Informationspflichten und Wohlverhaltensregeln für den Vertrieb von Versicherungsanlageprodukten, IBIP) verpflichtet die Europäische Kommission nun Versicherungsvertreiber, ab dem 02.08.2022 bei der Ermittlung des Zielmarkts im Rahmen des Produktgenehmigungsverfahrens Nachhaltigkeitsfaktoren zu berücksichtigen und die für den Vertrieb von Versicherungsanlageprodukten geltenden Informationspflichten um Nachhaltigkeitspräferenzen zu erweitern. Delegierte Verordnungen gelten unmittelbar und haben Anwendungsvorrang gegenüber dem nationalen Recht.

Mit der Änderung wird die Verordnung EU 2017/2359 (IBIP) um Bestimmungen zu Nachhaltigkeitspräferenzen erweitert. Dabei soll der Kunde entscheiden, ob und gegebenenfalls welche und in welchem Umfang bestimmte Finanzprodukte bei seiner Anlage einbezogen werden sollen. Dafür stellt die Verordnung drei Produktklassen zur Verfügung:

  • Versicherungsanlageprodukte mit ökologisch nachhaltigen Investitionen im Sinne von Art. 2 Nr. 1 Taxonomie-VO.
  • Versicherungsanlageprodukte mit nachhaltigen Investitionen im Sinne von Art. 2 Nr. 17 Offenlegungs-VO.
  • Versicherungsanlageprodukte, die die wichtigsten nachteiligen Auswirkungen auf Nachhaltigkeitsfaktoren berücksichtigen.

Die Abfrage der Nachhaltigkeitspräferenzen erfolgt im Rahmen einer erweiterten Geeignetheitsprüfung. Dabei werden die zur Beurteilung der Eignung einzuholenden Informationen um die Nachhaltigkeitspräferenzen ergänzt. Die prinzipienbasierten Verordnungsvorgaben bedürfen aber noch detaillierter Umsetzungsvorgaben durch technische Regulierungsstandards (TRS), die ursprünglich für den 01.01.2022 angekündigt waren. Nunmehr sollen die TRS am 01.01.2023 in Kraft treten. In der Zeit zwischen dem 02.08.2022 und dem 01.01.2023 stehen Vermittler vor dem Problem, dass ihnen für die Abfrage der Nachhaltigkeitspräferenzen nur grobe Werkzeuge zur Umsetzung ihrer Verpflichtung zur Verfügung stehen und sie infolgedessen Haftungsrisiken befürchten müssen.

Leitlinien der EIOPA

Im Rahmen eines öffentlichen Konsultationsverfahrens hat die Europäische Versicherungsaufsicht sieben Leitlinien vorgestellt, die Vermittlern bei der Umsetzung der neuen Vorgaben helfen sollen. Die Leitlinien sind eher formaler Natur (Information, Abfrage und Prüfung der Nachhaltigkeitspräferenzen, Produktprüfung, Abgleich Präferenzen und Produkt, Sicherstellung der Eignung, Dokumentation) und können deshalb die noch ausstehenden TRS allenfalls ergänzen. Im Übrigen stehen nach Abschluss der Konsultation noch Änderungen an. Detailinformationen zu Nachhaltigkeitspräferenzen enthalten die Leitlinien nicht.

Fragebogen des DIN-Ausschusses „Finanzdienstleistungen für Privathaushalte“

Hilfe verspricht ein Fragebogen des DIN-Ausschusses „Finanzdienstleistungen für Privathaushalte“, der kürzlich vorgelegt worden ist. Er soll „Berater und Kunden durch die Präferenz-Abfrage leiten und zugleich der Dokumentation des Abfrage-­Ergebnisses dienen“. Der Fragebogen mutet an wie die Vorlage für ein Computerprogramm und verfügt insbesondere bei den ökologischen und sozialen Schwerpunkten sowie bei der Abfrage der Intensität über einen Detaillierungsgrad, der den TRS vorgreift und deshalb möglicherweise noch Änderungsbedarf beinhaltet. Im Übrigen ist der Abgleich zwischen den Vorstellungen des Kunden und den möglichen Produktlösungen (das Herzstück der Geeignetheitsprüfung) ausdrücklich nicht enthalten. Das DIN-Produkt nennt sich zwar Norm, ist aber nicht verbindlich.

Checkliste des BVK

Auch die gut gemeinte Checkliste des BVK verspricht Hilfe. Sie geht auf die Abfrage der Nachhaltigkeitspräferenzen erst auf Seite 15 von 22 ein, empfiehlt dort sicherzustellen, dass die Eignungsprüfung auch die Nachhaltigkeitspräferenzen des Kunden einschließt, und verweist ausgerechnet auf die DIN-Norm, die die Eignungsprüfung ausdrücklich ausschließt. Im Übrigen setzt die Checkliste auf Inhalte des DIN-Fragebogens und der EIOPA-Leitlinien auf. Deshalb sind auch hier Änderungen durch die TRS denkbar.

Drei Fonds-Kategorien der Nachhaltigkeit

Im Hinblick auf möglichen Änderungsbedarf ist fraglich, ob sich Vermittler der Mühe unterziehen sollten, sich in den einen oder anderen Vorschlag vorsorglich einzuarbeiten. Vielleicht liegt eine praktische Lösung näher. Mit der Offenlegungsverordnung haben sich drei Fonds-Kategorien ausgebildet. Die Kategorien sind in Art. 6, Art. 8 und Art. 9 der Verordnung genauer beschrieben:

  • Art. 6: graue (herkömmliche Fonds ohne Nachhaltigkeitsziele)
  • Art. 8: hellgrüne Fonds (Berücksichtigung ökologischer und sozialer Aspekte, nachhaltiges Investieren ist aber nicht das Hauptziel des Fonds)
  • Art. 9: dunkelgrüne Fonds (Fonds verfolgen als Hauptziel eine nachhaltige Anlage)

Die Fondsanbieter können selbst festlegen, welcher Kategorie ein Fonds zugeordnet wird. Eine Abfrage des Kunden könnte sich also bis zum Inkrafttreten der TRS auf die drei Alternativen beschränken. Versicherer können ihre Versicherungsanlageprodukte entsprechend kategorisieren, sodass dem Vermittler auch eine Geeignetheitsprüfung möglich wird. Warum sollte hier ein Vermittler haften? Schließlich ist es der Gesetzgeber, der sich in seiner eigenen Komplexität verloren hat und nicht rechtzeitig liefern kann. Überdies die Posse mit den 34f-Vermittlern. Eine Haftung von Versicherungsvermittlern wäre unwürdig und großes Unrecht.

Hans-Ludger Sandkühler

Hans-Ludger Sandkühler ist aus­gewiesener Experte in Maklerfragen, gefragter Referent und Autor zahlreicher Veröffentlichungen. Außerdem ist er Mitinitiator des Arbeitskreises „Beratungsprozesse“ sowie Geschäftsführer des Instituts für Verbraucherfinanzen.

Diesen Artikel lesen Sie auch in AssCompact 08/2022, S. 74 f., und in unserem ePaper.

Bild: © Sergey Nivens – stock.adobe.com