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7. Oktober 2021
Altersvorsorge: Das muss die künftige Bundesregierung angehen

Altersvorsorge: Das muss die künftige Bundesregierung angehen

Die Altersvorsorge ist eine der größten Baustellen für die künftige Regierung – egal wie diese aussehen wird. Den Reformbedarf bei der geförderten privaten Altersvorsorge haben die Wahlprogramme aller Parteien bereits erkannt. Nun gilt es, diesen in die Tat umzusetzen. Dabei darf die künftige Qualität der Beratungsdienstleistung nicht zu kurz kommen.

Von Martin Stenger, Sales Director Business Development Insurance & Retirement bei Franklin Templeton

16 Jahre Angela Merkel haben unserem Land einen Stempel aufgedrückt. Die Kanzlerin wird in die Geschichte eingehen, weil sie Deutschland verändert und Weichen gestellt hat wie kein Zweiter vor ihr. Vor allem die letzten Jahre ihrer Kanzlerschaft, in der Merkel dauerhaft aus dem Krisenmodus heraus zu agieren schien, waren aber auf verschiedenen Gebieten durch Reformstau gekennzeichnet, sind Zukunftsprojekte liegen geblieben, blieben Fragen unbeantwortet. Fragen, die nun von Mitgliedern der neu gewählten Regierung dringend angegangen werden müssen.

Die ausgebliebene Reform der staatlich geförderten privaten Altersvorsorge ist das vielleicht drängendste Beispiel. Die bevorstehende Absenkung des Höchstrechnungszinses von 0,9 auf 0,25% infolge des Niedrigzinsdrucks bedeuten praktisch das Aus geförderter Altersvorsorgeprodukte mit 100%-­Beitragsgarantie. Viele Versicherer haben bereits angekündigt, ab dem neuen Jahr keine entsprechenden Produkte mehr anbieten zu können. Damit droht vor allem Geringverdienern und Familien eine Versorgungslücke bei geförderten Altersvorsorgeverträgen.

Absenkung des Garantieniveaus auf 80% notwendig

Die Wahlprogramme aller Parteien haben den Reformbedarf bei der geförderten privaten Altersvorsorge erkannt. Nun muss die neu zu bildende Koalition abstimmen, um die unterschiedlichen Vorstellungen in einen Konsens zu gießen. Um keine Zeit mit Grabenkämpfen zu vergeuden, sollte sofort eine leicht umzusetzende Minimalreform in Gang gesetzt werden, um die Angebotslücke zu schließen. Dazu bedarf es nur einer Absenkung des gesetzlich verpflichteten Garantieniveaus von 100% auf 80% oder gar einer weiteren Reduktion. Die Außenkommunikation einer neuen Koalition wird dann die Aufgabe haben, den Bürgern klarzumachen, dass im Falle einer solchen Reform den Versicherten nicht etwa weniger Bezüge zur Verfügung stünden, sondern dass eher das Gegenteil der Fall sein wird: Die Versicherten werden eine Steigerung ihrer Bezüge erfahren, da es den Anbietern mit dieser Minimalreform möglich sein wird, renditeträchtigere Produkte bei einer gleichzeitigen Risiko­absicherung anzubieten.

Alle Parteien gefordert

Alle Parteien sind aufgefordert, diese Minimalreform in Koalitionsverhandlungen zu berücksichtigen, um sich für die notwenigen Anpassungen der privaten geförderten Altersvorsorge Zeit und Handlungsoptionen zu schaffen, die nicht zulasten ihrer Wähler gehen, denn die Absenkung des Garantieniveaus auf 80% ist ein unverzichtbarer Schritt im Interesse aller Vorsorgesparer in Deutschland.

Gemeinsamkeiten gibt es etwa bei CDU und SPD. Beide forderten im Wahlkampf eine verpflichtende Einbeziehung von Selbstständigen in die gesetz­liche Altersvorsorge, um den Mittelstand in Deutschland zu stärken. Bei der privaten Altersvorsorge setzten sich beide Parteien für staatliche Standardvorsorgeprodukte ein. Auch gibt es hier eine gemeinsame Schnittmenge mit den Grünen, die einen Bürgerfonds als Ersatz für die Riester-Rente vorgeschlagen haben.

Pro und Contra von Staatsfonds

Aus Sicht der Versicherungsvermittler wäre es begrüßenswert, einen Blick auf das Konzept der FDP zu werfen, deren Ideen den Vorstellungen der Maklerschaft am nächsten kommen. Sie forderte im Wahlkampf eine gesetzliche Aktienrente, die sich mithilfe eines Staatsfonds umsetzen ließe, finanziert durch die Abzweigung von zwei Prozentpunkten aus dem Umlagesystem.

Allerdings bedeutet ein Staatsfonds auch immer die Gefahr des Missbrauchs der Ein­lagen, etwa in Krisensituationen. In Irland geriet der staatliche Pensionsreservefonds NPFR während der Finanzkrise 2008 in Schief­lage. Die Regierung vergriff sich am Pensionsfonds zur Bankenrettung. Spanien verabschiedete 2012 sogar ein Gesetz, um auf den Staatsfonds regulär zugreifen zu können. Hinzu kommt, dass ein am Markt dominierender Staatsfonds auch wettbewerbsrechtlich problematisch sein kann.

Das Problem mit den Staatsfonds scheinen viele Parteien lieber verdrängen zu wollen. Die auch von den Grünen vertretene Auffassung, dass ein breit aufgestellter Staatsfonds keine Garantien mehr benötige, kann vor dem Hintergrund dieser Beispiele nicht ernsthaft aufrechterhalten werden, wenn ein Zugriff nach Begehrlichkeiten nicht vermieden werden kann.

Hat Vorsorgeberatung noch eine Zukunft?

Was die Zukunft der Beratungsdienstleistung betrifft, hat vor allem die CDU zuletzt eine erstaunliche Kehrtwende hin zur Position der Grünen vollzogen, die sich bei der privaten Altersvorsorge für eine Opt-out-Option ohne Abschlusskosten einsetzt. Einer Konsens­findung ist das zuträglich, der künftigen Qualität der Beratungsdienstleistung hingegen nicht. Es kann und darf nicht im Interesse der Versichertengemeinschaft liegen, wenn zentrale Fragen der Altersvorsorge in Zukunft bei den Personalabteilungen der Unternehmen hängen bleiben.

Stattdessen sollte es weiter finanzielle Anreize für Vorsorgesparer geben, etwa durch die Steuergesetze. Fehlen diese Anreize, würden die Ausgaben der Bundesbürger rasch konsumorientierter werden, die Auswirkungen wären volkswirtschaftlich fatal. Das Thema Provisionsverbot war hingegen zuletzt von keiner Partei ernsthaft verfolgt worden. Sowohl die CDU als auch die FDP scheinen sich mit dem Dualismus, der sich zwischen Honorar- und Provisionsberatung herausgebildet hat, arrangieren zu können.

Klimaziele berücksichtigen

Da der Klimaschutz zuletzt so stark an Bedeutung gewonnen hat, dass er weit über die Fridays-for-­Future -Bewegung und selbst über die Parteigrenzen der Grünen hinweg ausstrahlt, sodass sich sogar ein Olaf Scholz veranlasst sah, sich im Wahlkampf als „Klimakanzler“ zu positionieren, kann davon ausgegangen werden, dass das künftige Altersvorsorgemodell – in welcher Ausgestaltung auch immer – darauf ausgerichtet sein wird, die Pariser Klimaziele stärker zu berücksichtigen.

Berater müssen ab dem 02.08.2022 ihre Kunden fragen, in welchem Umfang ihre Altersvorsorge nachhaltig gestaltet werden soll. Hier ist der Kapitalmarkt bereits weitestgehend dem EU-Aktionsplan gefolgt und hat Produkte entwickelt, die „Paris-aligned“ sind und strenge Kriterien anlegen. Die Klima-Referenz-Benchmarks sollen vor allem die Transparenz von Anlageinstrumenten garantieren und das Risiko von Greenwashing durch gemeinsame Standards, Ziele und quantitative Größen auf ein Minimum senken. Paris-aligned OGAW-konforme Smart-Beta-ETFs etwa sind ein Beispiel dafür, wie die neuen Klima-Benchmarks der EU die Entwicklung flexibler Instrumente für die Portfolio-Allokation vorangetrieben haben. Hier bestehen gute Chancen für ein aktienorientiertes Vorsorgemodell, das am ehesten in der Lage sein wird, solche neuartigen klimafreundlichen Produkte in das Vorsorgekonzept zu integrieren.

Den Artikel lesen Sie auch in AssCompact 10/2021, Seite 52 f., und in unserem ePaper.

Artikelbild: © JeanLuc – stock.adobe.com

 
Ein Artikel von
Martin Stenger