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15. April 2020
Baufinanzierung: Wandel ist die neue Normalität

Baufinanzierung: Wandel ist die neue Normalität

Die Baufinanzierungsbranche ist permanentem Wandel ausgesetzt. Aber gerade in diesem dynamischen Marktumfeld liegen viele Potenziale. Wer mit Baufinanzierung erfolgreich sein möchte, sollte sich mit drei Themenfeldern auseinandersetzen.

Von Dr. Stephan Groll, Projektleiter, und Torben Tietz, geschäftsführender Partner der MSR Consulting Group

In der Niedrigzinsphase fokussieren sich Bausparkassen, aber auch Unternehmen mit großen Kapitalstöcken wie Versicherer vermehrt auf die Baufinanzierung. Auch die Zahl der Vermittler von Baufinanzierungsprodukten nimmt zu. Finanzvertriebe haben sich das Thema auf ihre Fahnen geschrieben. Neue Player wie Direktbanken und FinTechs nutzen Online-Vertriebswege deutlich professioneller als die Etablierten. Baufinanzierer sind zudem einer kontinuierlichen Veränderung der regulatorischen Anforderungen ausgesetzt. Ein Beispiel hierfür ist die neue Zahlungsdiensterichtlinie PSD2. Die Möglichkeiten, die sich daraus bieten, sind Fluch (für etablierte Player) und Segen (für neue Player) zugleich. Nicht zuletzt verändern sich Kundenbedürfnisse und -anforderungen. Vor diesem Markthintergrund ergibt sich ein strategisches Spielfeld mit drei Handlungsfeldern für Baufinanzierer:

1. Denken in Ökosystemen

Grob gesagt, geht es für Baufinanzierer um drei Erfolgsfaktoren:

  • Kundengewinnung = Kundenzugang + relevantes Angebot
  • Ertragreiche Kundenbeziehungen = effiziente Prozesse + Erweiterung der Wertschöpfung
  • Kundenbindung = Cross-/Up-Selling + Weiterempfehlungen

Um erfolgreich zu sein, sollten Baufinanzierer in Ökosystemen denken. Dabei geht es darum, die Kundenbedürfnisse perfekt zu verstehen und Angebot sowie Kommunikation optimal darauf abzustimmen. Die Sicht auf die Customer Journey hilft dabei.

Vor der Baufinanzierung: Wenn das Kundenverhalten bekannt ist, kann systematisch geplant werden, wie das eigene Angebot optimal platziert werden kann. Wenn ein lukratives Geschäftsfeld gut zur Kernkompetenz des Anbieters passt, kann eine Angebotserweiterung sinnvoll sein. Ein naheliegendes Beispiel ist das Angebot von Immo­bilienvermittlung.

Baufinanzierung: Auch im Rahmen der originären Kundenreise mit dem Bau­finanzierer können Leistungen additiv erweitert werden. Vom Gutachten über das Angebot von Smart-Home-Lösungen bis zur Wohnungseinrichtung ist viel vorstellbar. Wesentlich für den Erfolg ist eine digitale Schnittstelle zum Kunden, da diese die Einbindung externer Serviceangebote ermöglicht.

Nach der Baufinanzierung: Baufinanzierer sollten sich bewusst machen, dass die Kundenreise mit der Auszahlung des Darlehens nicht beendet ist. Für den Kunden kommt jetzt die hochemo­tionale Phase des Einzugs in die neue Immobilie. Auch hier ergeben sich viele Möglichkeiten, über das Thema Wohnen in Kontakt zu bleiben (z. B. das Thema Gartenpflege). So ergeben sich große Potenziale, die Kundenbeziehung aktiv zu halten. Im Hinblick auf Weiterempfehlungen und Kundenbindung kann der Kontakt zum Kunden wesentlich zum Erfolg beitragen.

Anbieter können mit einem in einem Ökosystem integrierten Angebot ihr Wissen über den Kunden ausbauen und passgenaue Lösungen für ihre Kunden anbieten. Wenn das Angebot perfekt zu den Bedürfnissen passt, steigt auch die Zahlungsbereitschaft der Kunden. Bei der Entwicklung von Angeboten im Ökosystem ist es entscheidend, das Verständnis der Kundenbedürfnisse mit möglichen Angeboten abzugleichen und dann einen passenden Verkaufs­ansatz zu entwickeln. Wichtig dabei: Das Angebot muss sich rechnen. Insofern ist immer eine Kalibrierung aus Kundennutzen und Kosten für Bereitstellung sowie zusätzlichen Erlösen notwendig.

Kundenorientierte Prozesse

Beim Blick auf die Kundenreise Bau­finanzierung im Rahmen der MSR-Studie KUBUS Baufinanzierung wird klar, dass Abschlussprozess und begleitende Kommunikation die wichtigsten Einflussfaktoren auf die Zufriedenheit mit der Baufinanzierung sind. Kunden stellen heute immer höhere Anforderungen an Schnelligkeit, Transparenz und Konsistenz. Während viele Anbieter eine hohe Beratungsqualität sicherstellen, ist dies bei den Prozessen noch nicht der Fall. So dauern manche Prozesse im Rahmen der Finanzierung aus Kundensicht zu lang.

Die Grundvoraussetzung für eine kundenorientierte Prozessoptimierung ist die Kenntnis der Kundenanforderungen: Bei welchen Prozessschritten müssen Anbieter schnell sein und wo kommt es nicht auf eine hohe Geschwindigkeit an? Zur Beantwortung dieser Fragen ist die Einholung der Kundensicht mittels Service-Level-Analysen notwendig. Diese zeigen auf Basis einer Kombination von Fakten (zum Beispiel Bearbeitungsdauer) mit Zufriedenheitsergebnissen, welches Anspruchsniveau die Kunden haben.

Ein weiterer wichtiger Einflussfaktor ist die Versorgung mit relevanten Informationen. Dies schließt alle Kontakt­kanäle mit ein. Hier zeigen verschiedene Studien, dass Kunden vor allem konsistente Informationen über alle Kanäle wünschen. Im Optimalfall kann der Kunde im Rahmen eines Geschäftsvorfalls ohne einen Prozessbruch zwischen den verschiedenen Kontaktstellen wechseln. Die Realität zeigt jedoch, dass dies oftmals eine Idealvorstellung bleibt. Ein möglicher Ausweg ist das gezielte Lenken von Kunden in gewünschte Kontaktkanäle. Für Customer Guiding ist es essenziell, sich der Stärken und Schwächen der eigenen Organisation bewusst zu sein. Ein Beispiel für Guiding kann die Positionierung des Kontaktwegs Chat auf der Website sein.

Kundenzentrierte Unternehmenskultur

Zentrale Voraussetzung für zukünftigen Erfolg stellt der passende kulturelle Rahmen im Unternehmen dar. Dieser wird geprägt durch kontinuierliche Auseinandersetzung mit Kundenfeedback, das zugleich höchster Maßstab bei allen relevanten strategischen Unternehmensentscheidungen ist. Das kann durch die Installation eines Customer-Experience-Management-Programms erreicht werden. Ein CX-Programm konfrontiert die Organisation permanent mit Kundenfeedback und setzt dieses systematisch in Maßnahmen um. Mit dem Kundenfeedback erhalten Unternehmensführung und Mitarbeiter eine einheitliche Währung.

Durch die permanente Auseinandersetzung mit Feedback lernt die Organisation. Die Mitarbeiter haben Gestaltungsmöglichkeiten, um Kundenbedürfnisse besser zu erfüllen. Führungskräfte nehmen stärker als bisher eine Coachingrolle ein. Dabei können Veränderungen auf Verhaltensebene schnell viel bewirken. Es gibt aber auch genügend Ansatzpunkte bei Prozessen, Systemen und Organisation. In kundenzentrierten Organisationen fallen Mitarbeitern notwendige Veränderungen leichter. Insofern fördert die Kundensicht auch die Agilität und Anpassungsfähigkeit der Organisation.

Fazit

Unternehmen spielen ein unendliches Spiel. In diesem Spiel verändern sich Rahmenbedingungen und Kundenanforderungen. Wer sich als Unternehmen konsequent auf den Kunden ausrichtet, bleibt agil und kann die Marktchancen entsprechend nutzen. Für Baufinanzierer heißt dies, in Ökosystemen zu denken, kundenzentrierte Prozesse zu installieren und eine Feedbackkultur zu schaffen, die die Mitarbeiter mitnimmt und sie befähigt, ihre Leistung im Sinne des Kunden zu gestalten.

Das Interview lesen Sie auch in AssCompact 04/2020 auf Seite 84f und in unserem ePaper.

© Production Perig – stock.adobe.com

 
Ein Artikel von
Stephan Groll
Torben Tietz