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16. Oktober 2025
Beitragsstabilität in der GKV: Alles nur „Augenwischerei“?
Beitragsstabilität in der GKV: Alles nur „Augenwischerei“?

Beitragsstabilität in der GKV: Alles nur „Augenwischerei“?

Der GKV-Schätzerkreis hat den zu erwartenden durchschnittlichen Zusatzbeitragssatz der Krankenkassen für das Jahr 2026 beziffert: 2,9%, 0,4 Prozentpunkte höher als die letztjährige Schätzung für 2025. Die Kritik folgte schon bald darauf. Aber wie akkurat ist dieser Wert eigentlich reell?

Es wird viel diskutiert über die gesetzliche Krankenversicherung (GKV). In gewisser Weise ist sie selbst ein Patient: Jahr für Jahr muss sie finanzielle Defizite hinnehmen, belastet durch den regulären Bundeszuschuss von 14,5 Mrd. Euro außerdem den Bundeshaushalt, die Reserven der einzelnen Kassen wurden in den letzten Jahren aufgebraucht – und bei der Bevölkerung hat sie es auch nicht leicht. Denn der in der GKV versicherte „Normalbürger“ fragt sich lediglich: Warum zahle ich eigentlich jedes Jahr mehr, aber die Leistungen bleiben gleich oder werden gar schlechter?

Und aufgrund all dieser Umstände (und natürlich auch wegen der Alterung der Gesellschaft) wird es wohl nicht besser werden – eher schlimmer. Einige Krankenkassen haben auch unter dem Jahr ihre Beiträge erhöht und medial aktive GKV-Chefs oder Verbandsvorsitzende warnten dieses Jahr mehrfach, dass die Beitragssteigerungen im nächsten Jahr nicht aufhören würden.

GKV-Schätzerkreis hat getagt

Wenn man die Entwicklungen der GKV aufmerksam verfolgt, ist ein Stichtag im Jahr das Treffen des GKV-Schätzerkreises des Bundesamts für Soziale Sicherung (BAS), der jährlich die finanziellen Rahmenbedingungen der GKV für das aktuelle und das kommende Jahr schätzt. Dabei wird auch der zu erwartende, rechnerische durchschnittliche Zusatzbeitragssatz beziffert. Für 2026 liegt dieser bei 2,9%, was einem Plus von 0,4 Prozentpunkten entspricht. Den tatsächlichen Zusatzbeitrag, den eine Krankenkasse von ihren Versicherten „zusätzlich“ zum gesetzlichen Beitragssatz von 14,6% verlangt, legt jede Krankenkasse selbst fest.

Der finanzgeneigte Bürger dürfte bei dieser Zahl, 2,9%, aufhorchen. Vor allem, wenn er die Beitragsentwicklung im Lauf des Jahres 2025 verfolgt hat. Man erinnert sich: Für 2025 prognostizierte der GKV-Schätzerkreis einen durchschnittlichen Zusatzbeitragssatz von 2,5%. In der Realität sieht die Sache jedoch anders aus. Denn wie Oliver Blatt, der Vorstandsvorsitzende des GKV-Spitzenverbandes, in einer Pressemitteilung zum Thema meldet, liegen die tatsächlich erhobenen Zusatzbeitragssätze der Krankenkassen „bereits heute bei durchschnittlich 2,94%“, also 0,44 Prozentpunkte höher als vom GKV-Schätzerkreis im Oktober 2024 errechnet.

Woher kommt diese Differenz? Und fast noch wichtiger: Warum liegt die neue Schätzung für nächstes Jahr bei „nur“ 2,9%, was dem aktuellen, reellen Wert entspricht, wenn alle mit steigenden Beitragssätzen im Jahr 2026 rechnen?

„Augenwischerei“?

Zeit für ein bisschen Politik. Denn am Mittwoch, nur wenige Stunden vor Verkündung des Ergebnisses des GKV-Schätzerkreises, hatte das Bundeskabinett ein „kleines Sparpaket“ verabschiedet. Dieses soll den Krankenkassenbeiträgen im nächsten Jahr Stabilität verleihen – so zumindest das Ziel von Bundesgesundheitsministerin Nina Warken. Enthalten in dem Paket sind Ausgabenbremsen vor allem bei den Kliniken. So sollen hier 1,8 Mrd. Euro an Ausgaben eingespart werden, indem der Anstieg der Vergütungen auf die tatsächlichen Kostensteigerungen der Krankenhäuser begrenzt werden. Weitere 100 Mio. Euro an Einsparungen soll es bei den Verwaltungskosten der Krankenkassen geben und nochmal 100 Mio. Euro will man sich über eine Halbierung der Einzahlungen aus Kassenmitteln in einen Fonds zur Versorgungsforschung sparen. Über dieses Sparpaket werde also eine ermittelte Deckungslücke in Höhe von insgesamt 2 Mrd. Euro geschlossen. tagesschau.de zitiert Warken mit der Aussage, dass man damit die schon zur Gewohnheit gewordenen Erhöhungen der Zusatzbeiträge in den vergangenen Jahren durchbreche und die Bundesregierung somit „Wort gehalten“ habe.

Krankenkassen wenig begeistert

So richtig zufrieden waren die Krankenkassen mit dem Wert von 2,9% vom Schätzerkreis allerdings nicht. Denn die haben definitiv eine Meinung, woher der Wert kommt. Die härtesten Worte kamen diesbezüglich von Anne-Kathrin Klemm, Vorständin des BKK Dachverbandes, in einer Mitteilung mit dem Titel „Die Mär von der Beitragssatzstabilität“. Klemm wirft der Regierung im Prinzip vor, dass die 2,9% lediglich eine Angabe ist, die sich nach dem Narrativ der Bundesregierung ausrichtet, dass die GKV-Beiträge 2026 stabil gehalten werden könnten. „Mit dem auf den letzten Drücker angekündigten kleinen Sparpaket soll heute alles unter Dach und Fach und diese Choreografie zum Abschluss gebracht werden. Insofern ist das Ergebnis des Schätzerkreises von 2,9% aus Sicht des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) nur konsequent. Für das BMG ist das Thema damit beendet, die Mission erfüllt.“

Klemms Ansicht nach sei die prognostizierte Beitragsstabilität „Augenwischerei“, da sich das Schätzergebnis nicht von den im Jahr 2025 durchschnittlich tatsächlich erhobenen Zusatzbeiträgen unterscheide und diese aber bereits 0,4 Prozentpunkte höher seien als die 2,5% aus dem letzten Jahr. So werde es auch nächstes Jahr kommen: „Entgegen der Aussage des BMG kommen auf die Beitragszahlenden also auch im kommenden Jahr finanzielle Mehrbelastungen zu“, so Klemm.

Woher kommt die Differenz?

Die Antwort, warum die Zusatzbeiträge 2025 überproportional gestiegen sind und warum der Schätzerkreis für 2026 auf 2,9% kommt, ist prinzipiell recht einfach, wie das BAS auf Nachfrage von AssCompact bestätigt. Ein Sprecher erläutert es so: „Der rechnerische durchschnittliche Zusatzbeitragssatz in Höhe von 2,9% im Jahr 2026 ergibt sich aus der Differenz zwischen den vom GKV-Schätzerkreis geschätzten Einnahmen des Gesundheitsfonds und Ausgaben der Krankenkassen.“

Eine Größe, die der Schätzerkreis bei den besagten "Ausgaben der Krankenkassen" nicht berücksichtigt, ist allerdings die Lücke bei deren Finanzrücklagen. Denn die „im Zusammenhang mit der Auffüllung der Finanzreserven stehenden Aufwendungen“ zählen zu diesen nicht dazu, sondern nur die "voraussichtlichen zuweisungsrelevanten Ausgaben". Hintergrund ist, so das BAS auf Nachfrage, dass für die Berücksichtigung der zu erwartenden Finanzreserven bei der Schätzung des rechnerischen durchschittlichen Zusatzbeitragssatzes durch den Schätzerkreis eine Gesetzesänderung erforderlich wäre. Diese wurde im Januar 2019 bereits mit einem Gesetzentwurf geplant, von der damaligen Bundesregierung jedoch nicht weiter verfolgt.

Aufgrund dieser Umstände sind wohl auch die 2025 bisher beobachteten überproportionalen Anhebungen der Zusatzbeitragssätze entstanden. Diese dienten, so der BAS-Sprecher, „vor allem der Auffüllung der Finanzrücklagen auf das gesetzliche Mindestniveau“.

Das BAS lügt also nicht

Es ist also keine Lüge, die das BAS mit seiner Schätzung auftischt, wie auch Dr. Jens Baas, CEO der Techniker, in einem Post auf LinkedIn erläutert. Die Berechnung lässt aber, eben weil es das Gesetz so vorschreibt, einen Wert, der den individuellen Haushalt der gesetzlichen Krankenkassen und damit auch die letztendlichen Zusatzbeitragssätze beeinflusst, außen vor. Mal ehrlich: Das soll auch erstmal einer verstehen – nicht jeder bohrt so tief nach oder ist so versiert in der Finanzlage der GKV.

Das Problem hierbei allerdings: Die Botschaft der Politik, dass die Beitragssätze nächstes Jahr stabil bleiben, ist zwar leicht verständlich. Aber realistisch betrachtet werden die Beiträge voraussichtlich trotzdem steigen. Der gesetzlich versicherte Normalbürger wird im neuen Jahr, wenn die Mitteilung über die Beitragserhöhung im Briefkasten landet, sich wohl wieder fragen: „Warum soll ich denn schon wieder mehr zahlen?“

Wenn sich das mal nicht rächt … (mki)