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9. März 2021
Betriebsschließungsversicherung: Tendenzen der Rechtsprechung

Betriebsschließungsversicherung: Tendenzen der Rechtsprechung

Mittlerweile gibt es zur Betriebsschließungsversicherung eine Vielzahl an Urteilen. Rechtsanwalt Jens-D. Sprenger, LL.M., erklärt die Tendenzen in der Rechtsprechung sowie die Aussicht auf ein BGH-Urteil. Er äußert sich auch zum „Bayerischen Modell“ und warnt vor der Gefahr, Ansprüche verjähren zu lassen.

Die Corona-Pandemie hat auch die Betriebsschließungsversicherung in den Fokus der Versicherungsbranche gerückt. Gegenstand der Betriebsschließungsdeckung ist eine Tagesentschädigung aufgrund einer behördlich angeordneten Schließung des Betriebes.

Die tragenden Parameter für den versicherten Anspruch je Betriebsschließung sind die Anzahl der maximal erfassten Schließungstage pro Versicherungsfall (Haftzeit) und die Höhe der vereinbarten Tagesentschädigung, wobei letztere häufig unklar geregelt und deshalb nicht frei von Transparenzzweifeln ist.

Zahlreiche Verfahren sind seit Frühjahr 2020 aufgrund mangelnder Regulierungsbereitschaft der Versicherer vor den Gerichten anhängig, nachdem teils politisch motivierte und unzureichende Vergleichsangebote (beispielsweise 15%ige Regulierung gegen weiteren Verzicht – sogenanntes „Bayerisches Modell“) der Versicherungswirtschaft zu den Pandemie-Schäden abgelehnt wurden. Schlussendlich läuft diese ungeklärte Rechtslage auf eine höchstrichterliche Entscheidung des Bundesgerichtshofs hinaus. Die Versicherungsnehmer, die ihre Ansprüche bis dahin nicht geltend machen, kommen dann wohl zu spät und werden vermutlich der Einrede der Verjährung ausgesetzt sein, was für die Versicherer in die eigene Prozessstrategie „eingepreist“ ist.

Abschließende oder dynamische Verweisung auf das IfSG?

Beachtung fand zunächst das Urteil des Landgerichts Mannheim (29.04.2020 – 11 O 66/20), das den Anspruch des Versicherungsnehmers auf Versicherungsleistung bestätigte und einen ersten signifikanten Akzent gegen die Rechtsansichten der Versicherer setzte. Eine der Kernproblematiken in der Sache, nämlich ob in den Versicherungsbedingungen eine abschließende oder eine dynamische Verweisung auf §§ 6, 7 Infektionsschutzgesetz (wirksam) vereinbart worden war, wurde erörtert und im Ergebnis zugunsten der Versicherungsnehmer entschieden. Dieser Rechtsansicht schlossen sich bis heute im Ergebnis acht weitere Gerichte mit 17 weiteren Entscheidungen an, darunter die Landgerichte Hamburg, München, Magdeburg und Darmstadt. Dem gegenüber steht gleichermaßen auch eine Vielzahl von anderslautenden Entscheidungen zugunsten der Versicherer.

Die Versicherer sind bemüht, im Markt den Eindruck zu erwecken, die Rechtslage sei eindeutig. Da sie über bessere Pressezugänge und Marketing-Instrumente verfügen, und der einzelne Versicherungsnehmer seinen Erfolg üblicherweise nicht publiziert, wird das Stimmungsbild zum derzeitigen Stand der Judikatur hierdurch verzerrt.

Einzelfallentscheidungen anhand der jeweiligen Bedingungen

Zentral ist die konkrete Formulierung der jeweiligen Versicherungsbedingungen. Insbesondere Begriffe wie „namentlich“, „folgenden“, „nur“ oder „vollständige Aufstellung“ werden in teils unterschiedlichen Formulierungen unter Verweis auf die in den Bedingungen erfassten Erkrankungen/Erreger verwendet, was die Gerichte im Rahmen ihrer Einzelfallentscheidungen entsprechend würdigen. Der Verweis auf Referenz-Urteile hat daher aus Gründen der Seriosität und Vergleichbarkeit stets auf die konkret zugrunde liegenden Versicherungsbedingungen zu erfolgen. Zudem werden Fragen des Schadenminderungsrechts, wie die Möglichkeit des Außerhausverkaufs etc., auf der Tatsachenebene geprüft. Zudem hat das LG München (01.10.2020 – 12 O 5895/20) sich in seiner zusprechenden Entscheidung auch auf das Transparenzgebot berufen und klargestellt, dass der durchschnittliche Versicherungsnehmer davon ausgehen darf, dass sich der Versicherungsschutz auf die Listung der Krankheiten und Erreger im Infektionsschutzgesetz erstreckt.

Gleichwohl entscheiden Gerichte selbst bei identisch formulierten Versicherungsbedingungen teils unterschiedlich (vgl. LG Hamburg, 04.11.2020 – 412 HKO 91/20 und LG Essen, 21.10.2020 – 18 O 167/20). Rechtliche Unklarheiten der Versicherungsbedingungen haben sich nach AGB-Recht zwar grundsätzlich zulasten des Versicherers als Verwender und zugunsten des Versicherungsnehmers auszuwirken. Jedoch kommt dann freilich auch die tatrichterliche Würdigung des einzelnen Gerichts ins Spiel, die auch bei gleich gelagerten Fällen nicht zwingend identisch ausfallen muss und dem Fall dann insbesondere auch für das Berufungsverfahren eine eigene Prägung gibt.

Auslösender Versicherungsfall – Beispiel Oktoberfest

Neben der reinen Bedingungsdiskussion stellt sich auch die Frage nach dem auslösenden Versicherungsfall. So wird bedingungsgemäß regelmäßig eine Verfügung zur Betriebsschließung gefordert. Zum Problem werden dann solche Fälle wie die Absage des Oktoberfestes 2020. Für den betroffenen Betrieb, der als sogenannter Stammbeschicker selbstverständlich auch im Kalenderjahr 2020 wieder seinen Stand erhalten hätte, ist es von der Auswirkung unerheblich, ob das Oktoberfest coronabedingt durch die Stadt München abgesagt wurde oder die Betriebsschließung am ersten Tag des Oktoberfestes per Verfügung aus demselben Grund dem Versicherungsnehmer gegenüber erfolgt (wäre).

BGH: Entscheidung nach Fallgruppen?

Der Bundesgerichtshof wird in der Sache das „letzte Wort“ sprechen. Diese Aufgabe ist für den Bundesgerichtshof jedoch nicht so einfach, da unterschiedliche Bedingungen durchaus auch zu unterschiedlichen Entscheidungen in Bezug auf die versicherten Ansprüche führen können. Je nach Gang der Judikatur ist es deshalb nicht ausgeschlossen, dass der Bundesgerichtshof die Versicherungsbedingungen in der Betriebsschließungsversicherung in Untergruppen separiert und hierzu differenziert nach Fallgruppen entscheidet. Ob dies bereits in der ersten Grundsatzentscheidung so richtungsweisend für den Markt erfolgen wird (was man sich wünschen würde) oder ob sich der Bundesgerichtshof schlicht auf die streitgegenständliche dem vorgelegten Verfahren zugrunde liegende Rechtsfrage beschränken wird, bleibt abzuwarten. Das Thema wird uns folglich noch lange bewegen.

Vergleiche nach „Bayerischem Modell“ anfechtbar?

Betroffene Versicherungsnehmer sollten unbedingt rechtlichen Rat einholen, ob sie zunächst unzureichend erscheinende Vergleichsangebote ablehnen, diese nachverhandeln oder gegen Deckungsablehnungen förmlich vorgehen. Auch die nach dem „Bayerischen Modell“ zustande gekommenen Vergleiche werden teilweise nun in der zweiten Welle für anfechtbar gehalten, was weitere Ansprüche gegen Versicherer auslösen könnte. Sollte man als Versicherungsnehmer noch nicht tätig geworden sein, ist zu beachten, wie man gegebenenfalls die Zeitspanne bis zur ersten höchstrichterlichen Grundsatzentscheidung überbrückt, ohne sehenden Auges in ein Verjährungsthema hineinzulaufen.

Bild oben: © fotomowo; © Yanukit – stock.adobe.com

Über den Autor

Jens-Dietrich Sprenger, LL.M., ist unter anderem Fachanwalt für Versicherungsrecht und Managing Partner bei sprenger.rechtsanwälte (sprenger-recht.de) Regensburg/München/Göttingen. Zudem ist er Lehrbeauftragter an der Universität Münster/Westfalen. Der gelernte Versicherungskaufmann berät Kapital- und Versicherungsgesellschaften zu Fragen des Versicherungs- und Haftungsrechts und ist erfahren in der Produktentwicklung für Versicherer.

 
Ein Artikel von
Jens-Dietrich Sprenger, LL.M.