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19. Januar 2021
Betriebsschließungsversicherung: „BGH wird sich zu diesem Thema äußern“

Betriebsschließungsversicherung: „BGH wird sich zu diesem Thema äußern“

Die Kanzlei Clyde & Co beschäftigt sich mit Klagen rund um die Betriebsschließungsversicherung und rechnet mit einem Weg bis hin zum BGH. AssCompact hat im Interview nach dem aktuellen Stand der Verfahren, dem zweiten Lockdown und der Bedeutung für Vermittler gefragt. Interview mit Dr. Vincent Schreier, Rechtsanwalt bei der Kanzlei Clyde & Co.

Herr Dr. Schreier, es liegen mittlerweile einige Urteile im Streit um die Betriebsschließungsversicherung aus dem ersten Corona-Lockdown vor. Welche Tendenz machen Sie hier aus?

Nach meiner Wahrnehmung haben die Gerichte, darunter etwa die Landgerichte Stuttgart, Oldenburg und Bayreuth, den Versicherungsschutz für Betriebsschließungen im Zuge der Corona-Krise bislang überwiegend abgelehnt. Dennoch ist die Rechtsprechung in dieser Frage durchaus gespalten. Das Landgericht München I hat beispielsweise schon in mehreren Entscheidungen den Klagen von Versicherungsnehmern stattgegeben und auch andere Gerichte haben sich dem angeschlossen. Insofern kann es sich derzeit nur um eine Momentaufnahme handeln, zumal auch im Schrifttum die Meinungen weit auseinandergehen. Wohin die Reise geht, wird der weitere Verlauf der Verfahren zeigen.

Wo sehen die Gerichte genauer hin – auf das Thema Allgemeinverfügung oder die Nennung von Corona im Infektionsschutzgesetz?

Weder der eine noch der andere Aspekt hat in der Rechtsprechung bisher eine entscheidende Rolle gespielt. Nach Auffassung der meisten Gerichte kommt es für den Versicherungsschutz nicht darauf an, ob der Betrieb des Versicherungsnehmers durch eine behördliche Einzelverfügung, eine Allgemeinverfügung oder eine Rechtsverordnung geschlossen wird. Im Mittelpunkt steht stattdessen die Frage, ob der Versicherungsschutz sich nur auf die in den Versicherungsbedingungen aufgelisteten Krankheiten und Krankheitserreger beschränkt oder sich auch auf solche erstreckt, die erst später in das Infektionsschutzgesetz aufgenommen worden sind, wie eben auch das Coronavirus. Daneben beschäftigen sich die Gerichte häufig mit der Frage, ob ein Anspruch auf Versicherungsleistungen auch dann besteht, wenn der Versicherungsnehmer seinen Betrieb während des Lockdowns noch teilweise aufrechterhalten konnte, zum Beispiel durch einen Außerhausverkauf.

Vermutlich wird der Streit erst vor dem BGH entschieden. Oder erwarten Sie bis dorthin noch Vergleiche, wie wir Sie ja auch schon gesehen haben?

Zu Beginn der Pandemie haben einige Versicherer den Vorschlag unterbreitet, 15% des Ertragsausfalls zu übernehmen, was nicht bei allen Versicherungsnehmern auf fruchtbaren Boden gefallen ist. Ob dieses Angebot noch einmal nach oben korrigiert werden wird, dürfte wohl in erster Linie von der weiteren Entwicklung der Rechtsprechung abhängen. Gleichzeitig könnte aber auch die künftige Pandemieentwicklung Einfluss auf mögliche Vergleichsverhandlungen nehmen. Denn je länger die staatlichen Einschränkungen andauern, desto schwieriger könnte es für viele Versicherungsnehmer, insbesondere für die Hotel- und Gastronomiebranche, werden, eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs abzuwarten. Angesichts der Vielzahl der Verfahren gilt es aber schon jetzt als sicher, dass der Bundesgerichtshof sich zu diesen Themen äußern wird.

Nun gibt es einen weiteren Lockdown. Haben Sie einen Einblick, gibt es hier neue Klagen gegen die Versicherer?

Neue Klageverfahren stellen eher die Ausnahme dar. Stattdessen werden bereits während des ersten Lockdowns anhängig gemachte Klagen oft nachträglich dahingehend erweitert, dass auch Versicherungsleistungen für den zweiten Lockdown beansprucht werden. Ob für erneute Betriebsschließungen überhaupt Versicherungsschutz besteht, steht aber auf einem anderen Blatt.

Erklären Sie doch bitte noch einmal näher die Situation oder auch die Unterschiede zum ersten Lockdown.

Unterschiede ergeben sich hier zunächst einmal nicht, sofern man davon ausgeht, dass die Versicherungsverträge für Maßnahmen aufgrund des Corona­virus generell keinen Deckungsschutz bieten. Dann bestehen weder für den ersten noch für den zweiten Lockdown Ansprüche auf Versicherungsleistungen. Schwieriger liegen die Dinge, wenn behördliche Maßnahmen infolge des Coronavirus grundsätzlich gedeckt sind. In solchen Fällen stellt sich die Frage, ob nur die erste Betriebsschließung oder auch alle darauffolgenden Maßnahmen versichert sind. Das hängt wiederum von den Vereinbarungen im Versicherungsvertrag ab. Viele Versicherungsbedingungen sehen vor, dass die Entschädigungsleistung nur einmal zur Verfügung steht, wenn eine versicherte Maßnahme mehrmals angeordnet wird und die mehrfachen Anordnungen auf den gleichen Umständen beruhen. Bei einer solchen Vertragsgestaltung ist daher davon auszugehen, dass der Versicherungsnehmer allenfalls für den ersten Lockdown eine Entschädigung verlangen kann.

Versicherer haben ihre Bedingungen nun angepasst. Pandemien sind weitgehend ausgeschlossen. Haben Sie den Eindruck, dass hier nun für mehr Klarheit und Transparenz gesorgt wurde?

Augenfällig ist bei den meisten neuen Bedingungswerken, dass die eingangs erwähnte Problematik gewissermaßen auf eine andere Ebene verlagert wird. Denn anders als die meisten älteren Fassungen sehen die aktuellen Bedingungen zwar regelmäßig einen weitreichenden Deckungsschutz auch für neu auftretende meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger vor. Allerdings wird dieser umfassende Versicherungsschutz durch eine Vielzahl von Risikoausschlüssen wieder eingeschränkt, zum Beispiel für Epidemien und Pandemien. Das ist einerseits sicherlich eine elegante Lösung. Andererseits sollte vor allem bei der Gestaltung der Ausschlüsse darauf geachtet werden, dass man hier nicht über das Ziel hinausschießt. Es ist nämlich nicht zu übersehen, dass die Versicherungsbedingungen unter dem Einfluss der aktuellen Debatte überarbeitet worden sind. Das mag dazu beigetragen haben, dass die Regelungen mitunter etwas verklausuliert erscheinen. Manches ließe sich möglicherweise auch durch kurze und prägnante Sätze klarer zum Ausdruck bringen.

Sehen Sie denn im Rückblick auch Nachlässigkeiten aufseiten der Vermittler, insbesondere bei Versicherungsmaklern?

Im Nachhinein ist es natürlich immer einfacher zu sagen, was man hätte tun und lassen müssen, um eine Situation, wie wir sie heute erleben, zu vermeiden. Das gilt nicht nur für die Gestaltung von Betriebsschließungsversicherungen, sondern auch für ihre Vermittlung. Oft wird argumentiert, der Versicherungsnehmer hätte bei Vertragsschluss darüber aufgeklärt werden müssen, dass der Versicherungsschutz sich nur auf bestimmte Krankheiten und Krankheitserreger beschränkt. Dem würde ich nicht uneingeschränkt zustimmen. Versicherungsvermittler sind nämlich im Grundsatz nicht von sich aus verpflichtet, auf alle Einzelheiten zum Deckungsumfang hinzuweisen. Eine Beratung durch den Vermittler ist vielmehr nur dann geschuldet, wenn hierfür ein erkennbarer Anlass besteht. Das Szenario einer Pandemie und hieraus resultierende Deckungslücken dürften in der Regel aber weder der Versicherungsnehmer noch die Vermittler konkret vor Augen gehabt haben. Wie so oft kommt es aber auch hier auf den Einzelfall an.

Die Betriebsschließungsversicherung wird ja weiter gebraucht. Wie können Makler in der Beratung damit umgehen?

Künftig wird man von Versicherungsmaklern ein größeres Problembewusstsein für diese Sparte erwarten, als dies bisher der Fall war. Im Vergleich zu anderen Ertragsausfallversicherungen kam der Betriebsschließungsversicherung vor der Corona-Krise eine eher zu vernachlässigende Bedeutung zu. Das wird sich sicherlich ändern. Daher sollten Makler die Marktentwicklungen weiterhin im Blick behalten und das Risikoprofil ihrer Kunden entsprechend analysieren.

Was wird von der Causa Betriebsschließungsversicherung bleiben?

Noch problematischer als das voraussichtliche Schadenaufkommen in der Betriebsschließungsversicherung könnte für die Versicherungswirtschaft der langfristige Reputationsschaden werden, der der Branche vielfach prophezeit wird. Nicht zuletzt aus diesem Grund halte ich es für bedenkenswert, unabhängig vom Ausgang der laufenden Prozesse das Gespräch mit den Versicherungsnehmern zu suchen. Das könnte helfen, die Gräben zu überwinden, die die monatelangen Querelen hinterlassen haben.

Diesen Artikel lesen Sie auch in AssCompact 01/2021, Seite 108 f., und in unserem ePaper.

Bild: © bluedesign – stock.adobe.com

 
Ein Artikel von
Dr. Vincent Schreier