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5. April 2022
BU: Ist eine rückwirkend befristete Anerkenntnis zulässig?
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BU: Ist eine rückwirkend befristete Anerkenntnis zulässig?

Was passiert im Falle einer Berufsunfähigkeit in der Vergangenheit? Ist dann eine rückwirkend befristete Anerkenntnis durch den Versicherer rechtens? Exklusiv für AssCompact erläutert Rechtsanwalt Bernhard Robert Gramlich diese Rechtsfrage anhand eines aktuellen BGH-Urteils.

Bei der Streitfrage, die der Bundesgerichtshof (BGH) zu klären hatte, handelte es sich um Sachverhalte, in denen der Versicherer im Rahmen der Erstprüfung feststellt, dass die versicherte Person in der Vergangenheit zwar bedingungsgemäß berufsunfähig geworden war, zum Zeitpunkt des Abschlusses der Leistungsprüfung die Berufsunfähigkeit aber bereits wieder entfallen ist. Statt also eine eigentlich gebotene unbefristete Anerkenntnis abzugeben und gleichzeitig die Leistungseinstellung zu erklären, mit der Folge dass sich die Beweislast zuungunsten des Versicherers dreht – sogenannte „uno-actu-Entscheidung“ –, wurde sehr oft durch die Versicherungen eine sogenannte rückwirkend befristete Anerkenntnis ausgesprochen (siehe hier der Beitrag: „Sind rückwirkend befristete Anerkenntnisse durch Versicherungen zulässig?“).

Sind rückwirkende Befristungen durch Versicherung nun unzulässig?

Der BGH hat in seinem Urteil vom 23.02.2022 allerdings entschieden, dass der Versicherer in der Berufsunfähigkeitsversicherung eine befristete Anerkenntnis nicht rückwirkend für einen abgeschlossenen Zeitraum abgeben darf (Az. IV ZR 101/20). Zwar ist in den meisten Berufsunfähigkeitsversicherungsverträgen und in § 173 Abs. 2 VVG vorgesehen, dass der Versicherer im Rahmen der Leistungsprüfung einmalig für einen bestimmten Zeitraum – in der Regel bis zu zwölf Monate – eine befristete Anerkenntnis aussprechen darf, wenn es hierfür einen sachlichen Grund gibt. Allerdings bezieht sich die gesetzliche Regelung des § 173 Abs. 2 VVG nur auf solche Befristungen, die sich in die Zukunft erstrecken, da eine zeitlich befristete Anerkenntnis ein Element der Ungewissheit über den Eintritt des Versicherungsfalles und die Leistungspflicht des Versicherers voraussetzt. Dies hat der BGH in seiner Entscheidung erneut bestätigt, aber nunmehr ausdrücklich geurteilt, dass deswegen rückwirkende Befristungen für einen abgeschlossenen Zeitraum gerade nicht zulässig und daher unwirksam sind.

Versicherungen dürfen Versicherungsbedingungen nicht umgehen!

Ferner stellt der BGH in seinem Urteil erneut klar, dass nach seiner ständigen Rechtsprechung der Berufsunfähigkeitsversicherer an die eine Leistungseinstellung regelnden Versicherungsbedingungen gebunden ist; und das selbst dann, wenn er beim Wegfall der zunächst eingetretenen Berufsunfähigkeit kein Leistungsanerkenntnis abgegeben hat. Der Versicherer darf also seine Versicherungsbedingungen nicht einfach umgehen, indem er nach Wegfall der Berufsunfähigkeit eine rückwirkend befristete Anerkenntnis abgibt.

Was sind die rechtlichen Konsequenzen der unzulässigen Befristungen?

Folge der unzulässigen Rückwirkung der Anerkenntnis ist, dass die Anerkenntnis als unbefristet abgegeben gilt, sodass sich die Beendigung der Leistungspflicht des Versicherers nach den Regelungen des Nachprüfungsverfahrens richtet. Es ist entsprechend zu prüfen, ob die Mitteilung der rückwirkenden Befristung die strengen formellen und inhaltlichen Anforderungen einer Einstellungsmitteilung erfüllt. Nur wenn diese Voraussetzung erfüllt ist, kann die unwirksame rückwirkende Befristung der Anerkenntnis in eine Einstellungsmitteilung umgedeutet werden, sodass die Leistungspflicht des Versicherers mit dem Ablauf des dritten Monats nach Zugang dieser Einstellungsmitteilung endet. Erfüllt die Mitteilung der rückwirkenden Befristung die strengen formellen und inhaltlichen Anforderungen einer Einstellungsmitteilung jedoch nicht, was erfahrungsgemäß meist der Fall ist, gilt die unbefristete Leistungspflicht des Versicherers fort, bis er ein neues Nachprüfungsverfahren einschließlich einer erneuten Einstellungsmitteilung einleitet.

Was ist betroffenen Versicherten nun zu raten?

Festzuhalten ist, dass viele Berufsunfähigkeitsversicherungen derartige Leistungsentscheidungen, also rückwirkend befristete Anerkenntnisse, ausgesprochen haben. Diese sind durch die nunmehr abschließende Entscheidung des BGH unzulässig geworden, da die Befristung unwirksam ist. Versicherte könnten damit im Einzelfall noch weitere Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag geltend machen, obwohl das Regulierungsverfahren der Versicherungen bereits abgeschlossen ist. Denn in den meisten Fällen dürften Versicherungen keine Leistungsentscheidung bzw. Leistungseinstellung getroffen und formuliert haben, die den rechtlichen Anforderungen des BGH gerecht werden. Aus diesem Grunde sollten Versicherte zwingend die Leistungsentscheidungen der Berufsunfähigkeitsversicherungen anwaltlich überprüfen lassen, damit gegebenenfalls noch weitere Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag geltend gemacht werden können. Hierbei wären sogar zumindest noch einige Monate mehr an Leistungen aus dem Versicherungsvertrag denkbar. Bei formellen Fehlern der Änderungsmitteilung der Versicherungen möglicherweise sogar unbefristete Leistungen aus dem Versicherungsvertrag.

Über den Autor

Rechtsanwalt Bernhard Robert Gramlich ist Fachanwalt für Versicherungsrecht & Verkehrsrecht bei der Kanzlei Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte

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