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8. Mai 2022
China und Indien auf dem Weg zu Netto-Null
Mixed China and India flag, three dimensional render, illustration

China und Indien auf dem Weg zu Netto-Null

Viele Industriestaaten wollen bis 2050 Klimaneutralität erreichen. Doch wie sieht es bei den beiden bevölkerungsreichsten Ländern der Erde aus? Sam Mahtani von BMO, einem Tochterunternehmen von Columbia Threadneedle, wirft einen Blick auf Chinas und Indiens Weg zu Netto-Null.

Ein Artikel von Sam Mahtani, Fondsmanager des Fonds BMO Responsible Emerging Markets Equity

Bei der Pro-Kopf-Betrachtung liegt China noch deutlich hinter den USA und in etwa auf dem Niveau von Europa. In absoluten Zahlen hat allerdings kein anderer Staat einen so hohen CO₂-Ausstoß wie China. Für den globalen Kampf gegen den Klimawandel spielt das Land also eine entscheidende Rolle. 2020 verkündete Präsident Xi Jinping, dass China bis 2060 die CO₂-Neutralität erreichen soll. Für seinen Weg zu Netto-Null gibt sich China damit zehn Jahre mehr Zeit als die meisten Industrieländer. Als aufstrebende Volkswirtschaft muss China eine Balance finden, um einerseits die wirtschaftliche Entwicklung weiter voranzutreiben und gleichzeitig Emissionen zu senken. Zunächst werden diese Emissionen jedoch noch weiter steigen, bis sie vor 2030 ihren Höhepunkt erreichen.

Der relativ kurze Zeitraum vom geplanten Höhepunkt bis zur Netto-Null-Marke im Jahr 2060 ist eine große Herausforderung für China. Allerdings hat das Land durchaus Interesse zu handeln. Laut einer Studie der Weltbank und der Asiatischen Entwicklungsbank dürften die Temperaturen in China aufgrund des Klimawandels überdurchschnittlich steigen und die Wahrscheinlichkeit von Dürren, Überschwemmungen und Hitzewellen zunehmen. Eine Emissionsreduzierung bietet zudem strategische Vorteile. Dazu zählen eine erhöhte Energiesicherheit durch mehr Unabhängigkeit von Importen fossiler Energiequellen, der Erhalt der Weltmarktführerschaft bei Elektroautos, Windturbinen und Solarmodulen sowie eine bessere Luftqualität.

China dürfte ab 2030 richtig durchstarten

In dieser Dekade dürfte China zunächst ein System zum Erreichen der CO₂-Neutralität aufbauen und seine Wirtschaft anpassen, bevor das Land dann aggressiver in Richtung Dekarbonisierung steuert. Ein wichtiger Bereich in dieser Transformation ist Energie. Zwar ist China weltgrößter Investor, Produzent und Verbraucher von erneuerbaren Energien. Dennoch: Derzeit stammt mehr als die Hälfte der Energie in China aus Kohle, und eine klare Verschiebung zu weniger emissionsstarken Quellen ist erforderlich. Bis 2025 sollen 16,5% der Elektrizität mithilfe von Wind und Sonne erzeugt werden.

Im aktuellen Fünf-Jahres-Plan ist ebenfalls bereits festgelegt, dass die CO₂-Intensität, also die Emissionen pro BIP-Einheit, bis 2025 um 18% und der Energieverbrauch pro BIP-Einheit um 13,5% sinken sollen. Für einige Branchen, etwa Energie, Petrochemie, Stahl und Nicht-Eisen-Metalle sowie Transport gibt es detailliertere Ziele. So soll beispielsweise bis spätestens 2025 jeder fünfte Neuwagen ein E-Auto sein.

Außerdem hat China im vergangenen Jahr ein Emissionshandelssystem ähnlich dem EU-System lanciert. Es ist das weltgrößte seiner Art und deckt mehr als 2.000 Unternehmen im Energiesektor ab, in den kommenden Jahren dürfte es auf weitere Sektoren ausgeweitet werden. Auf dem Weg zur Klimaneutralität werden auch neue Technologien helfen. Grüner Wasserstoff und die CO₂-Abscheidung und -Speicherung sind noch in einer frühen Phase, werden aber sicherlich eine wichtige Rolle im Dekarbonisierungsprozess spielen.

Indien strebt Klimaneutralität für 2070 an

Indien hat mit knapp 1,4 Milliarden Menschen eine ähnlich große Bevölkerung wie China. Seine CO₂-Emissionen machten 2019 aber nur 7% der globalen Emissionen aus. Die chinesischen hatten einen Anteil von 28%. Dies spiegelt vor allem den noch schwächeren wirtschaftlichen Entwicklungsstand Indiens wider. Das Land muss ebenso wie China wirtschaftliches Wachstum und die Senkung der Emissionen miteinander in Einklang bringen. Indiens Weg zu Netto-Null dürfte aber noch schwieriger sein. Auf der Weltklimakonferenz im November 2021 verkündete Premierminister Narendra Modi, dass Indien dieses Ziel bis 2070 erreicht haben will.

Strom und Heizen sind die Haupterzeuger von CO₂-Emissionen in Indien. Das Land ist stark abhängig von Kohle und anderen fossilen Quellen, um die nötige Energie zu erzeugen. Der Bedarf steigt gleichzeitig immer weiter. Enorme Investitionen sind daher nötig, um das Stromnetz an erneuerbare Energien anzupassen. Es gibt aber auch schon Lichtblicke: Das Land hat in diversen Sektoren entscheidende Schritte hin zu einer kohlenstoffarmen Wirtschaft unternommen und entwickelt sich zu einem führenden Land bei der Kapazität erneuerbarer Energien. Mit der Verbesserung der Technologie werden erneuerbare Energiequellen im Vergleich zu fossilen Brennstoffen immer wirtschaftlicher. Indien hat zum Teil die niedrigsten Kosten für Photovoltaik-Projekte weltweit. Zwar wird die Regierung ihr Ziel von 100 Gigawatt bis Ende 2022 verfehlen, die installierte Solarkapazität ist aber seit 2016 um fast 500% auf 40,1 Gigawatt gestiegen.

Da Indien der drittgrößte Energieverbraucher der Welt ist, sind niedrigere Emissionen unbedingt erforderlich, um die globalen Reduktionsziele zu erreichen. Modi hat dafür einen Fahrplan aufgestellt. So soll bis 2030 die Kapazität erneuerbarer Energien auf 500 Gigawatt steigen, und 50% des Energieverbrauchs sollen aus erneuerbaren Quellen stammen. Zudem soll die CO₂-Intensität um 45% sinken. Besonders wichtig, um die Pläne richtig bewerten zu können, ist es nun, dass Indien zusätzliche Details zu den Netto-Null-Zielen liefert. Die Unternehmen müssen ihre Rolle und die damit verbundenen wirtschaftlichen Risiken und Chancen verstehen und einschätzen können.

Dekarbonisierung bietet Anlagechancen

Auch für Investoren bietet der Weg zur Klimaneutralität der beiden bevölkerungsreichsten Länder der Erde Risiken und Chancen. Viele Firmen berichten ihre ESG-Fortschritte dort bislang nicht so detailliert, wie wir es aus anderen Märkten kennen. Nur mit tiefgründigem Research lassen sich starke Managementteams finden, die auf dem richtigen Weg sind. Beispielsweise könnte das chinesische Unternehmen Centre Testing International als Marktführer im Bereich Umweltprüfungen eine wichtige Rolle dabei spielen, Unternehmen bei Messung und Reduzierung ihres CO₂-Ausstoßes zu unterstützen.

In China ist im schnelllebigen Markt für erneuerbare Energien und Elektrifizierung eine zunehmende Akzeptanz durch sinkende Kosten und höhere Effizienz im Vergleich zu fossilen Brennstoffen zu erwarten. Die Solarenergie wird dort nach wie vor von der Regierung vorangetrieben. Interessant sind insbesondere Unternehmen mit technologischem Vorsprung, die vom strukturellen Wandel der Nachfrage profitieren. Zudem können Investoren Unternehmen über kollaboratives Engagement in Klimawandelfragen in die richtige Richtung lotsen. Zum Beispiel diskutiert BMO mit Tencent über CO₂-Emissionen ihrer Rechenzentren oder mit dem Schifffahrts- und Logistik-Unternehmen SITC International Holdings über eine effizientere Kraftstoffnutzung.

Diesen Artikel lesen Sie auch in AssCompact 04/2022, S.58 f., und in unserem ePaper.

Bild: © daboost – stock.adobe.com

 
Ein Artikel von
Sam Mahtani