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4. Januar 2022
Corona – Berufsunfähig oder kerngesund?
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Corona – Berufsunfähig oder kerngesund?

Corona wird in der Berufsunfähigkeitsversicherung noch lange Thema sein. Und das nicht nur wegen der ungeklärten Folgen rund um das Long-Covid-Syndrom. Auch heute schon fällen die deutschen Gerichte einschlägige Urteile. Ein Kommentar zum ersten „Corona-BU-Urteil“ von der Fachanwältin für Versicherungsrecht Kathrin Pagel.

Ein Artikel von Kathrin Pagel, Fachanwältin für Versicherungsrecht und Partnerin in der Kanzlei Michaelis Rechtsanwälte PartG

Eine erste Entscheidung zu Corona und Berufsunfähigkeit liegt inzwischen vom Landgericht Münster (LG Münster, Urteil vom 08.04.2021 – 115 O 150/20) vor. Das Gericht hatte sich mit der Frage auseinanderzusetzen, ob die Angst vor einer „Corona-Infektion“ zu Berufsunfähigkeit führen kann.

Der Kläger hatte aus Angst vor Corona seine berufliche Tätigkeit eingestellt und Leistungen aus seiner Berufsunfähigkeitsversicherung geltend gemacht. Aufgrund einer bei ihm festgestellten Lungenerkrankung war ihm mitgeteilt worden, er sei ein Risikopatient. Das bedeute, so wurde ihm erklärt, er habe ein erhöhtes Risiko für Komplikationen im Falle einer Infektion mit dem Erreger SARS-CoV-2.

Seine berufliche Tätigkeit übte der Kläger bei einer Bank als Immobilienbesichtiger aus. Als solcher hatte er täglich von einem Acht-Stunden-Tag anteilig ca. 5,5 Stunden Besichtigungstermine mit Kunden wahrzunehmen – hauptsächlich in Wohngebäuden. Bei dieser Tätigkeit wäre es ihm, so der Kläger, trotz Einhaltung der bekannten Vorsichtsmaßnahmen wie Abstandsregelungen nicht die ganze Zeit möglich gewesen, die Ansammlung von Aerosolen zu vermeiden. Der Kläger wurde daraufhin wegen der Corona-Risiken arbeitsunfähig krankgeschrieben. Da das Risiko einer Erkrankung an Corona auf nicht absehbare Zeit, also dauernd bestand, meinte der Kläger, er sei berufsunfähig und beantragte Leistungen aus der Berufsunfähigkeitsversicherung.

BU-Definition in den Versicherungsbedingungen maßgeblich

Nach den zum Vertrag vereinbarten Versicherungsbedingungen liegt Berufsunfähigkeit vor, „wenn die versicherte Person infolge Krankheit, Körperverletzung oder mehr als altersentsprechenden Kräfteverfalls, die ärztlich nachzuweisen sind, voraussichtlich mindestens sechs Monate ununterbrochen zu mindestens 50% außerstande sein wird, ihren zuletzt ausgeübten Beruf, so wie er ohne gesundheitliche Beeinträchtigung ausgestaltet war, auszuüben“.

Diese Definition der Berufsunfähigkeit war somit der Beurteilung zugrunde zu legen. Unstreitig bestand eine gesundheitliche Vorbelastung durch die Lungenerkrankung. Im Falle einer Infektion könnte für den Kläger auch die Gefahr des besonders schweren Verlaufs der Erkrankung bestehen. Zur Vermeidung dieses Risikos hatte der Kläger auch seine berufliche Tätigkeit eingestellt. Allerdings war er selbst zu diesem Zeitpunkt nicht an Corona erkrankt, das heißt, er litt nicht unter einer Infektion mit dem Erreger SARS-CoV-2 oder deren Folgen. Auch Corona-Spätfolgen, ein sogenanntes Long-Covid-Syndrom, war nicht die Begründung für die Annahme einer Berufsunfähigkeit. Vielmehr berief sich der Kläger ausschließlich darauf, dass er besondere gesundheitliche Risiken seines Berufs vermeiden wolle.

Keine Absicherung von bloßen Risiken

Aber bloße Gesundheitsrisiken, denen ein Versicherter in seinem Beruf ausgesetzt ist, führen nicht stets zu Berufsunfähigkeit. Das bloße Risiko, wegen einer künftig möglicherweise eintretenden Erkrankung berufsunfähig zu werden, sei in der Berufsunfähigkeitsversicherung nicht versichert, so das Landgericht Münster. Voraussetzung ist darüber hinaus, dass besondere Umstände vorliegen, die eine Fortsetzung der Berufstätigkeit unzumutbar erscheinen lassen (vgl. BGH, Beschluss vom 11.07.2012 – IV ZR 5/11). Ein solches besonderes Gesundheitsrisiko hatte das Landgericht Münster bei dem Kläger jedoch nicht gesehen, gleichwohl aber bestätigt, dass Berufsunfähigkeit im Zusammenhang mit einer Covid-19-Erkrankung grundsätzlich denkbar wäre.

„Voraussetzung dafür ist jedoch ein spezifischer Zusammenhang zu den gerade aus der Berufstätigkeit herrührenden Gefahren, der beispielsweise dann bestehen kann, wenn ein Versicherter mit erhöhtem Infektionsrisiko bezüglich einer Covid-19-Erkrankung in einem Bereich tätig ist, in dem er in besonderem Umfang mit Covid-19-­Erkrankten in Kontakt kommt (z. B. bei Tätigkeit auf einer entsprechenden Station im Krankenhaus)“, so das Landgericht Münster.

Abgrenzung zum allgemeinen Lebensrisiko nötig

Eine besondere Gefährdung im Falle des Immobilienbesichtigers wurde durch das Landgericht Münster verneint. Nach der Empfehlung im Arztbrief könne die Infektionsgefahr durch Einhaltung der Hygienemaßnahmen, der Abstandsregeln, das Tragen von FFP-2-Masken und die Sorge für ausreichende Belüftung in zu besichtigenden Räumlichkeiten herabgesetzt werden, so das Gericht. Weil mit gängigen Maßnahmen der Infektionsgefahr entgegengewirkt werden könne, übersteige die Gefahr am Arbeitsplatz das allgemeine Lebensrisiko nicht.

Will man demnach annehmen, dass sich der Versicherungsnehmer bei Ausübung seines Berufs einem relevanten Risiko mit Gesundheitsgefährdung aussetzt, muss sich dieses Risiko erst konkretisieren, also das allgemeine Lebensrisiko übersteigen.

In einem anderen vom BGH entschiedenen Fall hatte ein Dachdecker eine besondere Gefahr bei der Einnahme von gerinnungshemmenden Medikamenten gesehen, weil ein Sturz schwere Folgen für ihn haben könnte. Der BGH hatte auch hier eine besondere Gefährdungslage verneint. Danach seien Arbeiten auf Leitern oder Gerüsten trotz Medikamenteneinnahme grundsätzlich ohne eine besondere Gefährdung zumutbar, so der BGH. Besonders schwerwiegende gesundheitliche Schäden würden in einer solchen Situation nämlich nur dann drohen, wenn eine hinreichend konkrete Gefahr für einen Unfalleintritt bestünde. Dieser Gefahr könnte man aber mit gebotenen Unfallverhütungsmaßnahmen in aller Regel entgegenwirken. Eine nur allgemeine Gefahr, dass der Versicherte auch bei gewöhnlichen Stürzen wie etwa beim Gehen oder dem Anstoßen des Kopfes an einem harten Gegenstand innere Blutungen mit schwerwiegenden Folgen erleiden könne, sei dem allgemeinen Lebensrisiko zuzurechnen, so der BGH in seinem Hinweisbeschluss vom 11.7.2012 – IV ZR 5/11.

Kläger macht keine psychische Erkrankung geltend

Der Immobilienbesichtiger hatte sich gerade nicht auf psychische Folgen seiner Ängste vor einer Corona-Erkrankung, also nicht auf eine psychische Erkrankung berufen. Derartige schwererwiegende Erkrankungen wie Angststörungen und andere psychische Störungen wären grundsätzlich als Auslöser für eine Berufsunfähigkeit in anderen Fällen denkbar. Es ist bekannt, dass psychische Erkrankungen als Folge der Pandemielage und damit in Verbindung stehende Ängste zunehmen und sich auch auf die berufliche Tätigkeit von Versicherungsnehmern in vielen Bereichen auswirken.

Fazit

Allein die gegebenenfalls sogar berechtigte Angst vor einer Erkrankung und die Tatsache, dass der Versicherte ein Risikopatient ist, führt für sich allein nicht zu einer Unzumutbarkeit der weiteren Berufsausübung. Es muss zudem eine das allgemeine Lebensrisiko übersteigende konkretisierte Gefahr festzustellen sein, die als spezifisches Berufsrisiko gegeben ist. Ob ein solcher Fall gegeben ist, muss jeweils im Einzelfall betrachtet werden.

Diesen Artikel lesen Sie auch in AssCompact 12/2021, S. 116 f., und in unserem ePaper.

Bild: © Di Studio – stock.adobe.com

 
Ein Artikel von
Kathrin Pagel