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24. Dezember 2020
Digitaler Wandel der Branche: Wer sind die Gewinner?

Digitaler Wandel der Branche: Wer sind die Gewinner?

Der digitale Wandel hat längst die Versicherungsbranche erreicht und fordert traditionelle Geschäftsmodelle heraus. Der deutsche Versicherungsmarkt ist von einer Konsolidierungswelle erfasst und alle maßgeblichen Akteure träumen letztlich von einer marktbeherrschenden Stellung. Wer hier die Nase vorn hat, erklärt Dr. Philipp Kanschik, Mitglied der Geschäftsleitung bei Policen Direkt.

Neue Zeiten bringen neue Herausforderungen, auch für die Versicherungsbranche. Kandidaten für die Pole Position im deutschen Markt gibt es genug. Amazon und Ping An liebäugeln mit einem Markteintritt in Deutschland, während die großen deutschen Maklerpools, MVP-Anbieter und die Allianz ihre Angebote zur Megaplattform ausbauen wollen. Auch Bancassurance-Angebote und wachstumsstarke Maklermarken haben Konjunktur. Wer am Ende die Nase vorn haben könnte, soll im Folgenden gezeigt werden.

Produktgeber oder Softwareanbieter mit marktbeherrschender Stellung?

Zunächst sehr naheliegend scheint eine beherrschende Stellung eines „Herstellers“ – die Versicherer als Produkt­geber sollten doch eigentlich am längsten Hebel sitzen. Es gibt hier auch schon Giganten mit immenser Marktmacht, der weltweit größte kommt aus dem Reich der Mitte: In Sachen Automatisierung und künstliche Intelligenz stellt Ping An selbst Google und Co. in den Schatten. Das Öko­system ist mit Versicherungen und weiteren Angeboten wie Automiete, Immobilienhandel sowie Pflege- und Altersheimen dabei längst noch nicht erschöpft. 1,4 Millionen Vermittler betreuen rund 700 Millionen Kunden.

Erste Schritte in den deutschen Markt hat Ping An mit seinem Finleap-Investment bereits getan, auch wenn mit Joonko eine der prominentesten Investitionen kürzlich die Segel gestrichen hat. Der Weg zu einer ähnlichen Marktstellung wie in China indes ist sehr weit. Ein Erfolgsrezept ist nämlich, dass Kundendaten aus sämtlichen Geschäftsbereichen des umfassenden Ökosystems synchronisiert werden. Ob Vorbehalte in Sachen Datenschutz überwunden werden? In den nächsten zwei bis drei Jahren entscheidet sich, ob Ping An in Deutschland voll angreifen kann. Wenn das passiert, muss sich die Konkurrenz warm anziehen.

Die heißt auf Versichererseite hierzulande Allianz und muss sich keineswegs verstecken. Fast 50% Anteil am Neu­geschäft in der Lebensversicherung – mit ihrer Produktgestaltung bestimmt sie diesen Markt. Dazu hat man mit der Allianz X einen konzerneigenen Innovationsmotor an Bord und mit „Hey Money“ erneut Fuß in der Bankenwelt gefasst. Im Sach- und Krankengeschäft ist die Position aber längst nicht so marktbeherrschend. Für die absolute Marktmacht ist es entscheidend, im Direktkundengeschäft die rückläufige Entwicklung in der Ausschließlichkeit auszugleichen. Die „Legacy IT“ schwächt die Allianz zudem nicht unerheblich. Als Mindestanforderung für einen „blauen Riesen“ sollte der angekündigte Digitalisierungsgrad von 100% bis 2021 tatsächlich erreicht werden.

Steigt statt der Versicherer ein Anbieter von Maklersoftware oder ein Pool zur Megaplattform auf?

Makler hätten so alle relevanten Daten und Tools an einem Ort – an der Schnittstelle zwischen Versicherer und Vertrieb hätten sie mit ihrem Pool Maklerverwaltungsprogramm (MVP), Vergleichsrechner, Beratungs- und Kundentool in einem. Bereits heute geht der Trend klar zur Konsolidierung der Landschaft für Maklerdienstleistungen, sowohl bei den Pools als auch bei den MVPs und Vergleichern. Viele Anbieter versuchen hier, ihre Marktmacht zu vergrößern. Gerade die große Konkurrenz macht es aber unwahrscheinlich, dass sich ein Anbieter gegen alle Mitbewerber durchsetzt. Dazu kommt die fehlende Datenstandardisierung. Mehr als 30 Jahre nach dem Start der GDV-Branchenstandards ist man immer noch weit entfernt von einer Normierung der Datenströme. Gerade diese Standardisierung braucht jedoch jede Megaplattform. Entsprechend bleibt die Landschaft für Maklerdienstleistungen weiterhin zersplittert. 50 MVPs werden in Deutschland aktiv genutzt. Dazu kommen 18 Pools, die jeweils mehr als 10 Mio. Euro Jahresprovisionen verwalten.

Startet Bancassurance durch oder gibt es ein Comeback der Kleinmakler?

Mit einer „Finanz-Megaplattform“ könnte der Kunde sämtliche finanziellen Aspekte seines Lebens steuern: Konto, Depot, Kredit – und eben auch Versicherungen. Der Traum der Bancassurance scheint also längst nicht ausgeträumt. Im Gegenteil, viele Kooperationen von Banken und InsurTechs loten hier die Potenziale aus (z. B. Comdirect/JDC oder Deutsche Bank/Friendsurance). Können also Banken den Ver­sicherungsmarkt der Zukunft beherrschen?

Statt von Maklern und Versicherern eigene Online-Zugänge zur Verfügung gestellt zu bekommen, findet der Kunde alle Informationen zu seinen Versicherungen in seinem Banking-Portal – inklusive perfekt auf ihn zugeschnittener Angebote. So weit die Theorie. Die Regulierung besteht allerdings weiter darauf, dass Bank und Versicherer zwar zu einem Konzern gehören dürfen, rechtlich aber voneinander unabhängige Unternehmen bleiben müssen. Dies wird den Aufbau einer Allfinanz-Plattform auch in Zukunft erheblich erschweren. Eine Prognose des Autors: Dieser Traum wird sich damit wohl in näherer Zukunft nicht erfüllen.

Ohne Frage wird die eigentliche Marktmacht künftig bei demjenigen liegen, der die Kundenschnittstelle besetzt. Dies muss nicht die Plattform sein, auch wenn alle Protagonisten des Wandels derzeit auf diese Strategie setzen. Wenn diese nur die Technologie bereitstellt, vom Kunden aber gar nicht wahr­genommen wird, könnte sich die Marktmacht in Grenzen halten. Eher muss man angesichts der Tatsache, dass so viel in Plattformen investiert wird, damit rechnen, dass verschiedene Plattformen und ihre Angebote damit zur „commodity“ werden. In diesem Fall gäbe es einen harten Konkurrenzkampf, Makler könnten das ausnutzen und die Margen drücken.

Werden also starke Maklergruppen und Großmakler das große Geschäft im Versicherungsvertrieb machen?

Ein großer Vorteil ist die direkte Schnittstelle zum Kunden und das Wertversprechen eines unabhängigen Beraters. Megaplattformen, Technologieanbieter und letztlich auch die Versicherer selbst können darauf nicht in dieser Form zurückgreifen. Diesen Trumpf werden größere Maklerverbünde in einem sich konsolidierenden Marktumfeld ausspielen. Funktionierende Megaplattformen könnten allerdings auch die Großmakler überflüssig machen. Wenn optimale Technologie auch ganz kleinen Maklern zu denselben Konditionen zur Verfügung steht, kann es damit sogar zu einem Comeback der Kleinmakler kommen. Allerdings hängt dies, wie oben erwähnt, stark von der Normierung von Datenströmen ab.

Am Ende könnten also unterm Strich die Vermittler die großen Gewinner sein. Mit einem möglichen Großangriff von Amazon schwebt jedoch ein Damoklesschwert über der gesamten Branche. Denn keiner hat einen besseren Draht zum Kunden als der E-Commerce-­Gigant. Aktuell lässt Amazon in anderen Märkten diverse Testballons in der Kfz- und Krankenversicherung steigen, um sich als Vermittler zwischen Kunden und Versicherer zu schieben. Policen-Direkt-Prognose bleibt aber, dass der Versicherungsvertrieb letztlich zu weit weg vom Kerngeschäft des Tech-Giganten aus Seattle ist. Allein die nationalen rechtlichen Besonderheiten machen diesen Markt weniger attraktiv. Zudem lassen sich Versicherungsprodukte aufgrund ihrer Beratungsintensität und Komplexität viel schwieriger verkaufen als klassische E-Commerce-Produkte.

Bei allen betrachteten Szenarien bleibt zu beachten: Der Wandel der Versicherungsbranche findet bereits statt, gleicht aber eher der Verschiebung kontinen­taler Platten: langsam, aber mit riesigen Implikationen und dennoch nicht rückgängig zu machen.

Diesen Artikel lesen Sie auch in AssCompact 12/2020, Seite 26f., und in unserem ePaper.

Bild: © Alexander Limbach – stock.adobe.com