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31. August 2025
Finanzvertrieb 2025: Wie Vermittler auf Änderungen reagieren können
Finanzvertrieb 2025: Was sich ändert und wie Vermittler reagieren können

Finanzvertrieb 2025: Wie Vermittler auf Änderungen reagieren können

Der Finanzvertrieb steht unter massivem Veränderungsdruck: Digitalisierung, soziale Medien und der tiefgreifende Wertewandel bei jungen Anlegern treffen die klassischen Beratungskanäle hart. Hier sollten Vermittler und Finanzberater ansetzen, um auch morgen noch relevant zu bleiben.

Ein Artikel von Stefan Schmitt, Geschäftsführer von INNO INVEST

In Finanz- oder Versicherungsfragen klassische Beratungsangebote wahrnehmen? Viele junge Menschen können sich das nicht vorstellen. Laut einer BaFin-Umfrage aus dem letzten Jahr glauben 60% der 18- bis 45-Jährigen, dass Social-Media-Angebote eine gute Alternative zur professionellen Beratung darstellen. Junge Anleger der Gen Y und Gen Z informieren sich lieber über Finfluencer auf TikTok, YouTube und Instagram. Die Gründe dafür sind vielfältig. Was die Finanzbranche hellhörig machen sollte, ist vor allem dies: Traditionelle Beratungsangebote gelten als wenig vertrauenswürdig. Junge Anleger halten sie für intransparent, teuer oder bevormundend.

Wer glaubt, die Ablehnung des klassischen Finanz- und Versicherungsgeschäfts ginge Hand in Hand mit einem Desinteresse an Finanzthemen, irrt sich. Interessanterweise ist die junge Zielgruppe zunehmend kapitalmarktaffin. Zwischen 2018 und 2023 hat sich der Anteil der unter 25-Jährigen mit Wertpapier­erfahrung fast vervierfacht. Beim Thema Finanzen sind sie selbstbestimmt und digital unterwegs. Junge Anleger sind außerdem kostensensibel. Tendenziell vertrauen sie Direktbanken und Neobrokern; viele setzen auf ETF-Sparpläne. Laut einer Studie des Anlegerportals extraetf.com im Auftrag von BlackRock nahm die Zahl der monatlich ausgeführten ETF-Sparpläne von 2023 auf 2024 um 42% zu.

WealthTech als neues Betriebssystem des Finanzvertriebs

Wer als Vermittler zukunftsfähig bleiben will, muss seine Beratungsprozesse digital denken: vom Online-Onboarding über automatisierte Geeignetheitsprüfungen bis hin zu digitalen Kundenportalen und Reporting-Apps. Standardisierte Modellportfolios, skalierbare Plattformlösungen und API-basierte Schnittstellen zu Pools oder Haftungsdächern sind dabei keine Kür, sondern Pflicht. Entscheidend ist ein Schwenk im Mindset: Digitale Tools sollten nicht als technisches Beiwerk, sondern als strategischer Wachstumstreiber verstanden werden. Denn nur wer digital effizient arbeitet, kann in einem stark regulierten Umfeld gleichzeitig kostendeckend beraten und moderne Kundenerwartungen erfüllen.

Vermittler zwischen Aufbruchstimmung und Veränderungsdruck

Klassische Berater sind in der Zwickmühle. Einerseits wächst das Marktpotenzial, andererseits wird ihre Rolle im Anlageprozess marginalisiert, der Druck auf sie wächst: regulatorische Anforderungen, MiFID II, Kostentransparenzpflichten und Dokumentationsauflagen verschärfen das Haftungsrisiko und machen individuelle Beratung zeit- und kostenintensiv. Die Folge: Banken setzen zunehmend auf standardisierte Beratungslösungen – die „McDonaldisierung“ der Vertriebsstruktur ist längst Realität.

Um in diesem Umfeld wettbewerbsfähig zu bleiben, braucht es skalierbare und digitale Lösungsansätze. Der Markt bietet grundsätzlich vier strategische Optionen, jede mit eigenen Vor- und Nachteilen.

Option 1: Unabhängig werden mit der eigenen Portfolioverwaltung

Sie ist der Goldstandard in puncto Unabhängigkeit, aber die Eintrittsbarrieren sind hoch: Wer eine eigene BaFin-Lizenz für Finanzportfolioverwaltung anstrebt, muss Kapital, Compliance-Kompetenz und Geduld mitbringen. Der Break-even liegt bei etwa 150 Mio. Euro verwaltetem Kundenvermögen. Für die meisten kleineren und mittelgroßen Vermittler ist dieser Weg wirtschaftlich nicht tragfähig.

Option 2: Selbstständig sein unter dem Schutz des Haftungsdachs

Schneller Marktzugang bei vollem regulatorischen Rückhalt. Der Vermittler wird zum vertraglich gebundenen Partner unter dem Lizenzschirm eines zugelassenen Instituts. Haftung, MiFID-Compliance, Reporting: All das übernimmt das Haftungsdach. Zudem bieten viele Haftungsdächer moderne White-Label-Lösungen für (digitale) Vermögensverwaltung, Modellportfolios und ESG-Strategien an. Der Vermittler behält die Kundenbeziehung, reduziert seinen Aufwand und bleibt vertriebsfokussiert.

Option 3: Effizienter arbeiten mit Maklerpool und Plattformstrategie

Maklerpools haben sich längst als Infrastrukturpartner etabliert. Sie bündeln Abwicklung, Research, Provisionsabrechnung, Tools und Services – teilweise inklusive angebundener Haftungsdächer. Insbesondere Pools mit starker Digitalplattform ermöglichen Vermittlern auch ohne eigene Lizenz, Modellportfolios und ETF-Lösungen effizient zu vertreiben.

Option 4: Von Tippgeber-Modellen profitieren

Die schlankste Form der Zusammenarbeit: Vermittler verweisen Kunden an eine lizenzierte Vermögensverwaltung und erhalten eine hohe Tippgeberprovision. Gerade in Kombination mit White-Label-Angeboten lässt sich so ein hochwertiger Vermögensverwaltungsservice anbieten – ohne regulatorische Eigenlast. Der Vermittler bleibt erster Ansprechpartner, die operative Umsetzung erfolgt im Hintergrund.

Wer Zukunft will, muss Entscheidungen treffen

Die Spielregeln im Finanzvertrieb verändern sich radikal. Wer weiterhin ausschließlich auf persönliche Beratung setzt, ohne digitale und regulatorisch entlastende Komponenten zu integrieren, wird mittelfristig vom Markt gedrängt; nicht durch „Big Tech“, sondern aufgrund mangelnder Effizienz, ungünstiger Kostenstruktur und Nichterfüllung der Kundenerwartung.

Die gute Nachricht: Der Zeitpunkt für strategische Neupositionierung war selten besser: Die Nachfrage nach unabhängiger Beratung ist hoch, der Wunsch nach digitalen Lösungen wächst und die technischen Möglichkeiten sind da. Wer jetzt die Stellschrauben neu justiert – ob über Plattformpartnerschaften, Haftungsdächer oder moderne Portfoliolösungen –, kann sich nicht nur absichern, sondern im veränderten Marktumfeld gezielt wachsen.

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Ein Artikel von
Stefan Schmitt