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4. April 2019
Firmenkundengeschäft: Zukunftsszenarien in der Betriebshaftpflichtversicherung

Firmenkundengeschäft: Zukunftsszenarien in der Betriebshaftpflichtversicherung

Selbstfahrende Autos und 3-D-Drucker, die Lebensmittel herstellen: Schon heute bietet die Technik Lösungen auf Zukunftsträume von gestern. Doch wie kann die Versicherungsbranche mit dem rasanten Wandel Schritt halten? Ein Artikel von Michael Staschik von der Nürnberger Versicherung.

Einfach in den Wagen steigen, die Füße hochlegen und während der Fahrt entspannt auf dem Tablet surfen – um Zusammenstöße mit anderen müssen sich Besitzer selbstfahrender Autos nicht mehr sorgen. Doch bis zu diesem Traumszenario ist es noch ein langer Weg, auf dem zahlreiche Crashs in Haftung und Versicherung vorprogrammiert sind.

Fahrer geben Verantwortung ab

Obwohl die Technik für das autonome Fahren schon sehr weit entwickelt ist, gibt es auf viele rechtliche und ethische Fragen noch relativ wenig Antworten. Soll das Auto beispielsweise bremsen und zur tödlichen Gefahr für die Insassen werden, wenn plötzlich ein Tier auf die Fahrbahn läuft? Oder weicht es aus und gefährdet Passanten? Und wer haftet, wenn es zu einem derartigen Unfall kommt? Bisher war diese Frage klar definiert: Verantwortlich ist, wer die Kontrolle über das Fahrzeug besitzt. Daher ist jeder Halter eines Kraftfahrzeugs gesetzlich verpflichtet, eine Kfz-Versicherung abzuschließen. So sind Halter und Fahrer abgesichert. Wenn nun aber kein Mensch, sondern ein Computer das Fahrzeug steuert, liegt die Unfallursache im Auto selbst. Versicherungsfälle werden dann zwar nach wie vor von der Kfz-Haftpflichtversicherung reguliert – das hat der Gesetzgeber sichergestellt – aber über den Regressweg kann der Fahrzeughersteller in Verantwortung gezogen werden. Ihn schützt die Produkthaftpflichtversicherung. Denn sie kommt für Kosten auf, die durch Produktfehler entstehen. Und dem Hersteller liegt viel daran, diese Verantwortung mit externen Zulieferern zu teilen. Daher kann es passieren, dass auch die für ihn produzierenden Gewerbe im Ernstfall haftbar gemacht werden. In der Automobilbranche bedeutet das für die Versicherung: Die Betriebshaftpflicht kleiner Unternehmen muss in Teilen Schäden decken, die bisher von der Kfz-Versicherung getragen wurden.

Haftpflicht statt Kfz-Versicherung

Für den Versicherungsvermittler wird die Risikoanalyse beim Kunden zukünftig noch wichtiger. Insbesondere bei produzierenden Betrieben sollte genau hinterfragt werden, ob die gefertigten Teile am Ende der Lieferkette womöglich bei einem Automobilzulieferer verarbeitet werden – und wie die Haftung bei Fehlern geregelt ist. Denn bei einer oberflächlichen Risikoanalyse geht oft unter, dass Teile für die Kfz-Industrie hergestellt werden, und benötigter Versicherungsschutz bleibt unentdeckt. Im Schadenfall kann das die Existenz des Betriebs bedrohen und der Vermittler haftet obendrein wegen unzureichender Beratung. Aber auch für die Versicherungsbranche birgt die kommende Technologie noch viele ungeklärte Fragen. Sie muss sich daher auf den neuen Bedarf einstellen und in Zukunft geeignete Produkte entwickeln, um nicht vom technischen Wandel überholt zu werden. Insbesondere die Haftpflichtversicherung ist auf die veränderten Anforderungen eher ungenügend vorbereitet: Gängige Produkthaftpflichtbedingungen sehen – aus wohl gutem Grund – bei Aus- und Einbaukosten einen Ausschluss für Kraftfahrzeuge vor. Ein Kfz-Rückruf ist nicht obligatorisch mitversichert. Kalkuliert ist das Kfz-Haftpflicht­risiko aus dem autonomen Fahren aktuell wohl in keinem Betriebshaftpflichttarif.

Neue Wege der Produktion

Aber nicht nur selbstfahrende Autos werden unser Leben revolutionieren. Auch additive Fertigungsverfahren bieten Chancen und stellen uns gleichzeitig vor spannende Herausforderungen. Bisher wurden Gegenstände über sogenannte subtraktive Verfahren hergestellt, also durch das Abtragen von Material – zum Beispiel beim Fräsen, Schleifen oder Verdampfen. Geändert hat das der 3-D-Druck: Hier wird das Produkt anhand einer elektronischen Skizze in Schichten aufgebaut. Das bringt zahlreiche Vorteile mit sich. Aufgrund des schichtgenerierenden Prinzips bestehen praktisch unbegrenzte Konstruktionsmöglichkeiten. Mit den bisherigen Verfahren waren viele komplexe Strukturen bisher nicht herstellbar. Nun können personalisierte Gegenstände einfach und schnell individuell produziert werden. Daneben sprechen mehrere wirtschaftliche Faktoren für den Einsatz dieser Technik: Die Prozessketten werden kürzer, die Herstellung beschleunigt, teure Werkzeuge nicht mehr benötigt und Lagerhaltungskosten werden, je nach Produkt, zum Teil drastisch reduziert.

Prothesen und Mahlzeiten drucken

Auch wenn es kaum vorstellbar ist – der 3-D-Druck ist im Bereich der Medizin längst angekommen. Das Verfahren erstellt bereits jetzt chirurgische Werkzeuge und Prothesen. Spannend ist das Thema 3-D-Bioprinting: Damit lassen sich – bislang nur im Versuchsstadium – unter anderem Organe und Gewebe nachbilden. Es ist jedoch nur eine Frage der Zeit, bis Forscher den ersten einsatzfähigen Prototypen testen. In der Nahrungsmittelindustrie hat die innovative Produktionsmethode ebenso Einzug gehalten. Neben beispielsweise „gedruckten“ Desserts in Erlebnisrestaurants liefert der 3-D-Druck einen wertvollen Beitrag in der Altenpflege. Bei Bewohnern von Alten- und Pflegeheimen kann er zum Beispiel Mangelernährung verhindern. Püriertes Essen wirkt oft unästhetisch und mindert die Lust an der Nahrungsaufnahme, speziell wenn die Geschmacks- und Geruchsnerven bereits eingeschränkt sind und Schluckbeschwerden bestehen. Der 3-D-Drucker erstellt Mahlzeiten, die das Auge ansprechen und trotz Erkrankungen problemlos aufgenommen werden können.

Haftungsrisiko in der IT

Und wer kommt bei Schäden auf, wenn ein Produkt aus dem 3-D-Druck fehlerhaft ist? Grundsätzlich unterliegt der Hersteller und damit der Betreiber des Druckers der Produkt- und Produzentenhaftung (ProdHaftG, §§ 823 f. BGB) – analog den Bestimmungen der „konventionellen“ Herstellung. Problem der Produkthaftung: Sie bezieht sich nur auf bewegliche Gegenstände. Wird also ein ganzes Haus im additiven Verfahren gedruckt, läuft die verschuldensunabhängige Haftung mitunter ins Leere. Interessant und wichtig in diesem Zusammenhang ist, dass auch der Urheber der Druckersoftware rechtlich als Hersteller zu werten ist. Bedeutet im Klartext: Kommt es zu einem Schaden durch ein 3-D-Druckerzeugnis, kann der Programmierer über den Regressweg in Verantwortung gezogen werden. Für ihn ergibt sich daher ein erheblicher Mehrbedarf im Versicherungsschutz, den der Vermittler zukünftig erkennen muss. Je nach programmiertem Erzeugnis ist hier an eine erweiterte Produkthaftpflichtversicherung und/oder eine Rückrufkostenversicherung zu denken.

Zukunftsrisiken einplanen

Werden Lungen im 3-D-Drucker produziert und übernimmt der Bordcomputer die Kontrolle über das Auto, lässt der richtige Versicherungsschutz oft Fragen offen: Welche Versicherung kommt bei Schäden auf? Welche Bedingungen muss die Police umfassen? Und was kann die Versicherungswirtschaft ethisch vertreten? Sicher ist: Die Versicherungsbranche muss sich schon heute Gedanken über die Entwicklung von Produkten für (über)morgen machen, um mit dem gesellschaftlichen und technischen Wandel mithalten zu können.

  • Den Artikel sowie weitere Artikel zum Thema finden sich in unserem E-Paper zur Sonderedition „Gewerbeversicherung“, das im Rahmen des AssCompact Gewerbe-Symposiums entstanden ist. Eine Zusammenfassung der Veranstaltung lesen Sie hier.