Ein Versicherungsnehmer, geboren 1960, forderte aus einem Grundfähigkeitsversicherungsvertrag Leistungen wegen des Verlusts der Grundfähigkeit „Knien/Bücken“ ab Januar 2019. Die versicherte Rente betrug aufgrund einer vereinbarten Dynamik zum 01.01.2019 monatlich 2.128,36 Euro. Grundlage waren der Versicherungsschein vom Oktober 2016, ein Dynamiknachtrag vom Juli 2019 sowie die Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die Grundfähigkeitsversicherung (AVB GFV).
In den AVB GFV ist der Verlust einer Grundfähigkeit definiert als eine voraussichtlich oder bereits seit sechs Monaten bestehende Beeinträchtigung bestimmter körperlicher Fähigkeiten, die durch Krankheit, Körperverletzung oder altersentsprechenden Kräfteverfall nachweislich verursacht ist. Unter anderem umfasst dies die Fähigkeit „Knien/Bücken“ – also die Fähigkeit, sich aus eigener Kraft zu bücken oder hinzuknien, um den Boden mit den Fingern zu berühren und sich danach wieder aufzurichten.
Der Versicherungsnehmer stellte im Februar 2019 einen Leistungsantrag, den der Versicherer im September 2019 ablehnte. Daraufhin klagte der Versicherungsnehmer auf Zahlung der Grundfähigkeitsrente, Freistellung von den Versicherungsbeiträgen und Erstattung bereits gezahlter Beiträge. Der Versicherer bestreitet den Eintritt der versicherten Grundfähigkeitseinschränkung und beantragte Klageabweisung.
Erstinstanz entscheidend zugunsten des Versicherungsnehmers
Das Landgericht Köln beauftragte einen Sachverständigen und auf Grundlage dessen Beweisaufnahme stellte das Gericht fest, dass die Grundfähigkeit „Knien/Bücken“ beim Kläger nicht mehr gegeben ist. Ursachen seien unter anderem eine stark ausgeprägte Kniearthrose und ein Bandscheibenvorfall mit Nervenwurzelbeteiligung in der Lendenwirbelsäule. Der Klage wurde überwiegend stattgegeben: Der Versicherer wurde zur Zahlung der Grundfähigkeitsrente, zur Freistellung von laufenden Beiträgen und zur Rückzahlung bereits gezahlter Beiträge verurteilt. Abgelehnt wurden lediglich Anträge auf weitere Dynamisierungen der Rente und doppelt geltend gemachte Zahlungen.
Zwischenzeitliche Insolvenz des Klägers
Während des Berufungsverfahrens eröffnete das Amtsgericht Aachen das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Klägers. Der Insolvenzverwalter berief sich auf eine Unterbrechung des Berufungsverfahrens nach § 240 ZPO. Der Kläger argumentierte dagegen, die Ansprüche aus der Grundfähigkeitsversicherung seien nach § 850b ZPO unpfändbar.
Das Berufungsgericht stellte klar: Die Ansprüche fallen nicht in die Insolvenzmasse, solange keine Pfändbarkeitserklärung nach § 850b Abs. 2 ZPO erfolgt. Grundfähigkeitsrenten sind Renten, die wegen einer Beeinträchtigung körperlicher Fähigkeiten gezahlt werden. Sie sind ausdrücklich bedingt pfändungsfrei, da sie die Existenzgrundlage sichern. Selbst Selbstständige genießen diesen Schutz. Ein Antrag des Insolvenzverwalters, die Leistungen dem Insolvenzbeschlag zu unterwerfen, lag nicht vor.
Versicherer muss die Grundfähigkeitsrente zahlen
Also zurück zum Versicherungsfall: Die Berufung des Versicherers vor dem OLG Köln hatte keinen Erfolg. Der Versicherer beanstandete insbesondere die Beweiswürdigung des Landgerichts und die Feststellung, dass der Kläger die Grundfähigkeit verloren habe. Denn der Versicherer hatte selbst einen Orthopäden als Sachverständigen bestellt. Das Gericht bestätigte aber die Vorinstanz, dass nach dem Wortlaut der AVB GFV „aus eigener Kraft“ bedeutet, dass die versicherte Person ohne Hilfsmittel oder fremde Hilfe in der Lage sein muss, sich aus kniender oder hockender Position wieder aufzurichten. Hilfsmittel ändern daran nichts. Nach Überzeugung des Gerichts ist dem Kläger dies nicht möglich. Damit ist der Versicherungsfall eingetreten. Der Versicherer muss die Grundfähigkeitsrente also zahlen.
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