Ein Interview mit Stefanie van Holt, Vorständin Vertrieb, Marketing und Personal bei Volkswohl Bund Versicherungen, und André Meissner, Head of Sales bei Canada Life Deutschland.
Frau van Holt, Herr Meissner: Warum sind junge Menschen aus Ihrer Sicht eine so zentrale Zielgruppe für Lebensversicherer?
Stefanie van Holt Weil genau in dieser Lebensphase die ersten entscheidenden Weichen gestellt werden – sei es mit dem Eintritt ins Berufsleben, in Ausbildung oder Studium. Wer dann beginnt, über finanzielle Eigenverantwortung nachzudenken, braucht Orientierung. Hier greifen erste Absicherungsentscheidungen – beispielsweise zur Einkommenssicherung oder Altersvorsorge.
André Meissner Zudem ist die Ausgangslage ideal: Junge Menschen sind in der Regel gesund, was zu günstigen Konditionen führt. Und: Je früher man mit der Vorsorge beginnt, desto stärker wirken Effekte wie Zins und Laufzeit. Das kann langfristig große Versorgungslücken schließen – gerade angesichts der demografischen Herausforderungen.
Gleichzeitig fällt auf, dass viele junge Menschen dennoch eher zurückhaltend sind, wenn es um private Absicherung geht. Woran liegt das aus Ihrer Sicht?
AM Ein zentrales Problem ist die mangelnde Finanzbildung. Viele starten ins Erwachsenenleben, ohne jemals fundiert über Versicherungen oder Vorsorge gesprochen zu haben – weder in der Schule noch im Elternhaus. Das sorgt für Unsicherheit, für Aufschub oder für vermeintlich einfache, aber nicht immer passende Entscheidungen.
SvH Zudem mangelt es oft an Impulsen. Junge Menschen wachen nicht morgens auf mit dem Wunsch, ihre Berufsunfähigkeit abzusichern. Es braucht jemanden, der aufklärt, der die Bedeutung der Themen verständlich macht – und das möglichst lebensnah.
Aber sind das nicht Aufgaben, die heute längst durch Internet, Vergleichsportale oder KI übernommen werden können?
SvH Keinesfalls. Diese Informationsquellen liefern standardisierte Ergebnisse. Sie stellen jedoch weder Nachfragen noch begleiten sie den Lebensweg eines Kunden. Gerade bei Produkten wie BU oder Altersvorsorge kommt es aber auf langfristige Betreuung und Anpassung an. Eine KI erkennt keinen individuellen Karrierewechsel, keine veränderte Familiensituation.
AM Hinzu kommt: Im Leistungsfall – wenn es ernst wird – hilft weder eine Vergleichsplattform noch eine KI. Dann braucht es jemanden, der Prozesse begleitet, der weiß, welche Unterlagen gebraucht werden und wo es im Zweifel haken kann. Diese menschliche Komponente ist nicht digital ersetzbar.
Welche Chancen ergeben sich für Versicherungsmakler durch die frühe Ansprache junger Zielgruppen?
AM Der Einstieg in die Beratung eröffnet die Möglichkeit, eine lebenslange Kundenbeziehung aufzubauen. Wer heute bei der BU berät, kann morgen bei Familiengründung, Immobilienfinanzierung oder Ruhestandsplanung zur Seite stehen. Das schafft Vertrauen und Bindung.
SvH Und: Junge Kunden von heute sind die Empfehlungsgeber von morgen. Wer hier gute Arbeit leistet, wird weiterempfohlen – oft innerhalb ganzer Familien oder Freundeskreise. Beratung wird so zum Multiplikator.
Die Versicherungsbranche spricht gerne von der besonderen Rolle des Maklers – gerade bei komplexen Vorsorgethemen. Was macht gute Beratung bei jungen Zielgruppen aus Ihrer Sicht konkret aus?
SvH Gute Beratung bedeutet, Lebenswege individuell zu verstehen – und die passenden Absicherungen mit Weitblick zu empfehlen. Gerade junge Menschen durchlaufen viele Veränderungen: Ausbildung, Studium, Berufseinstieg, Umzüge, Familiengründung. Ein Makler, der diese Stationen kennt und begleitet, ist weit mehr als ein Produktvermittler. Er wird zum dauerhaften Ansprechpartner.
Aber ist die Bereitschaft junger Menschen, sich überhaupt beraten zu lassen, nicht eher gering? Viele wollen schnelle Antworten – und keine langen Beratungsgespräche.
AM Die Erwartungshaltung ist anders als bei älteren Zielgruppen. Es braucht daher neue Formate: kürzere Kontaktpunkte, digitale Ergänzungen, Beratung auf Augenhöhe. Wer hier als Makler flexibel agiert und gleichzeitig Kompetenz ausstrahlt, wird gehört.
Beratung begleitet also Menschen durch unterschiedliche Lebensphasen. Würden Sie sagen, Beratung ist die eigentliche Konstante in der Vorsorge?
AM Ich vergleiche einen guten Berater gerne mit einem Rechtsanwalt für das Zukunfts-Ich. Er kennt nicht nur die aktuelle Lebenssituation, sondern denkt voraus – 10, 20 oder 30 Jahre. Junge Menschen wissen heute oft nicht, was in ihrem Leben auf sie zukommt. Genau deshalb brauchen sie jemanden, der regelmäßig sagt: „Denk an morgen, prüf deinen Schutz, bleib flexibel.“
Müsste dann in dieser Zielgruppe nicht auch viel stärker für unabhängige Beratung geworben werden?
SvH Ja, das wäre dringend nötig. Eine gemeinsame Kampagne unabhängiger Vermittler, die jungen Menschen klarmacht: Du kannst viele Sachen mal eben online selbst erledigen. Deine finanzielle Vorsorge aber nicht. Lass dich stattdessen von einem Experten beraten, der den Markt kennt und der deinen individuellen Schutz ernst nimmt.
Viele junge Menschen zögern beim Abschluss langfristiger Versicherungen, weil sie nicht wissen, wie ihr Leben in fünf oder zehn Jahren aussieht. Wie reagieren Sie auf dieses Bedürfnis nach Flexibilität?
AM Flexibilität ist kein Trend, sondern eine Notwendigkeit. Wer da nicht mitwirkt, wird irrelevant. BU-Tarife ermöglichen heute Nachversicherungen ohne erneute Gesundheitsprüfung – teils sogar anlassunabhängig. Das schafft Planungssicherheit ohne Einengung.
SvH Das Lebensmodell „Einmal absichern – passt für immer“ ist vorbei. Junge Kunden erwarten, dass sich ihr Versicherungsschutz an neue Lebensphasen anpassen lässt. Deshalb setzen wir Versicherer auf Bausteinlösungen, Nachversicherungsgarantien und Wechseloptionen. Entscheidend ist: Der Vertrag muss heute passen – aber auch morgen noch tragen.
ETF-Sparpläne haben in den letzten Jahren an Popularität gewonnen – gerade bei jungen Menschen. Wie nehmen Sie diesen Trend als Lebensversicherer wahr?
SvH Das Interesse an ETFs zeigt: Junge Menschen beschäftigen sich mit Finanzen – das ist grundsätzlich positiv. Aber es führt auch zu einer gefährlichen Vereinfachung. ETF-Sparen wird oft als Allheilmittel dargestellt, obwohl es weder biometrische Risiken absichert noch die lebenslange Verrentung im Alter bietet. Altersvorsorge ist mehr als Kapitalaufbau.
AM Das Hauptproblem liegt nicht nur im Produkt, sondern auch in der Erzählung. Finfluencer und Plattformen suggerieren: Mit wenigen Klicks zum finanziellen Glück. Aber sie übernehmen keine Verantwortung, wenn es nicht so läuft wie erhofft. Ein ETF ist kein Ersatz für eine Beratung – und ersetzt auch keine solide Altersvorsorgestrategie mit steuerlichen Vorteilen und lebenslangen Leistungen.
SvH Ergänzend dazu stellt auch die Politik permanent auf billig, einfach und standardisiert ab – und suggeriert, dass jeder seine Vorsorge einfach selbst regeln kann. Das bringt die jungen Menschen ja förmlich dahin, keine Beratung zu suchen, obwohl sie bei komplexen Themen wie Altersvorsorge unerlässlich wäre.
AM Und: Ich glaube, man nimmt bei Versicherern die regulatorischen Rahmenbedingungen in der Öffentlichkeit deutlicher wahr. Wir wollen ja auch kundenorientiert erklären, was im Produkt passiert – aber die Regulatorik zwingt uns, bestimmte Passagen in Jahresbriefe und Produktinformationsblätter aufzunehmen, etwa zu Kosten, Garantien oder Nachhaltigkeitsaspekten. Diese Texte sind sperrig und für viele Kunden nicht verständlich – sie wirken abschreckend, obwohl sie eigentlich informieren sollen.
Was kann die Branche tun, um im Wettbewerb mit ETF-Plattformen und Finfluencern nicht an Sichtbarkeit zu verlieren?
AM Makler müssen ihre Rolle als persönliche Lotsen sichtbar machen. Ein Finfluencer bietet keine Nachversicherung, steht nicht im Leistungsfall zur Seite, übernimmt wenig bis gar keine Verantwortung. Wer das klar kommuniziert, schafft Vertrauen.
SvH Zudem helfen digitale Services: Apps, Online-Terminvereinbarung, Vertragsübersichten. Das haben wir bei unserer neuen ETF-Vorsorge DURCHBLICK berücksichtigt. Die App dazu ermöglicht zum Beispiel Zuzahlungen und Beitragserhöhungen und zeigt dem Kunden sein Guthaben – direkt auf dem Handy. So wird Altersvorsorge im Alltag sichtbar. Das wollen junge Menschen.
Beratung wird es aber nicht immer einfach gemacht. So zeigt ein Ergebnis einer BFV-Studie: In vielen Maklerhäusern fließt inzwischen im Schnitt ein Arbeitstag in regulatorische Anforderungen. Eine besorgniserregende Entwicklung, oder?
AM Ja, absolut. Die Zunahme regulatorischer Pflichten ist unübersehbar – und sie trifft vor allem kleine und mittlere Maklerbetriebe hart. Viele müssen heute deutlich mehr Zeit in die Erfüllung der regulatorischen Anforderungen stecken als in echte Kundenberatung. Das belastet nicht nur wirtschaftlich, sondern auch emotional. Beratung wird zur Nebensache.
SvH Regulatorik ist wichtig, keine Frage – aber sie ist mittlerweile so komplex, dass sie die Beratungsrealität überfordert. Wer neu in die Branche kommt, sieht sich nicht nur mit Produktvielfalt konfrontiert, sondern auch mit einem Wust an Formularen, Pflichten und Unsicherheiten. Das schreckt Nachwuchs ab und gefährdet die Vielfalt im Markt.
Wie reagieren Sie als Versicherer darauf? Können Sie überhaupt helfen – oder sitzen Sie im selben Boot?
SvH Wir engagieren uns zusätzlich politisch – etwa über die BFV und den Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft GDV. Denn letztlich liegt die Ursache oft nicht bei den Versicherern oder Vermittlern, sondern in Brüssel oder Berlin. Unser Ziel: den Entscheidungsträgern deutlich zu machen, welche Folgen Überregulierung für die Beratung und für die Vorsorgequalität der Menschen hat.
Können Sie einschätzen, ob die Regulatorik mittlerweile auch tarifierungserheblich ist? Also: Zahlt am Ende auch der Kunde für die Komplexität?
SvH Indirekt ja. Verwaltungskosten fließen in die Tarifkalkulation ein. Wenn sich Personalaufwand durch regulatorische Vorgaben erhöht, kann das mittelfristig die Produkte verteuern – auch wenn wir versuchen gegenzusteuern, etwa durch Digitalisierung oder Prozessoptimierung. Nehmen wir als konkretes Beispiel Riester. Der Vorwurf, Riester sei teuer, liegt nicht an unserer Kalkulation – der Kostentreiber ist der enorme Verwaltungsaufwand rund um die Zulagen. Dafür braucht es eigene Einheiten, die zum Beispiel riesige Excel-Dateien der Zulagenstelle verarbeiten.
AM Die Herausforderung besteht darin, diesen Mehraufwand nicht am Kunden auszulassen – aber es braucht Grenzen. Wenn wir nicht gegensteuern, wird Altersvorsorge durch Regulierung nicht nur komplizierter, sondern auch teurer. Und damit unattraktiver für genau jene, die wir erreichen wollen: junge Menschen.
Die Bundesarbeitsgemeinschaft zur Förderung der Versicherungsmakler (BFV) wurde im Mai 2014 gegründet. Damals wurden gerade das Lebensversicherungsreformgesetz und ein Provisionsdeckel für die Lebensversicherung diskutiert. Den Maklerversicherern drängte sich die Frage auf, warum der Beratung durch Versicherungsmakler so wenig Wertschätzung entgegengebracht wird und sie immer nur auf die Vergütung reduziert wird. Daraus entstand die BFV, die heute als Interessenvertreterin von Versicherungsmaklern und mittelständischen, maklerorientierten Versicherern agiert.
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