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13. Oktober 2022
Kapitalmärkte: Die Deglobalisierung wird kommen

Kapitalmärkte: Die Deglobalisierung wird kommen

Unruhige Zeiten an den Kapitalmärkten treiben auch Flossbach von Storch um. Angesichts von Deglobalisierung, Dekarbonisierung und dem demografischen Wandel sieht Philipp Vorndran insbesondere die ökonomische Zukunft Europas mit Sorge. Auch der chinesische Kapitalmarkt ist keine sinnvolle Alternative.

Interview mit Philipp Vorndran, Kapitalmarktstratege bei Flossbach von Storch
Herr Vorndran, im Ukraine-Krieg ist noch kein Ende absehbar, die Notenbanken straffen ihre Geldpolitik zunehmend und China laviert immer noch mit coronabedingten Lockdowns herum. Sind die fetten Jahre an den Kapitalmärkten auf absehbare Zeit vorbei?

Meiner Meinung nach sind die fetten Jahre tatsächlich vorbei. Ich bin zwar nach wie vor überzeugt, dass eine Kapitalanlage, die sich stark auf Unternehmens­beteiligungen konzentriert, weiterhin zwischen 6 und 8% Bruttorendite pro Jahr erwirtschaften kann. Das ist bei einer Inflationsrate von 8% aber natürlich eine ganz andere Hausnummer als in den vergangenen Jahren.

Diese Zeit kommt nicht wieder?

Diese Dekade liegt hinter uns. Geprägt durch die Globalisierung hatten wir extrem positive Auswirkungen über die Ausnutzung von Skaleneffekten. Da waren eben 7% Bruttorendite im MSCI World drin. Klar müssen wir da noch Gebühren und Steuern abziehen. Die dampfen das dann eher in Richtung 5% – aber diese 5% hatten Anleger brutto für netto. Gute Unternehmen können aber auch von Inflation profitieren – also die Umsätze steigern. Irgendjemand muss ja schließlich die Preise anheben, sonst hätten wir keine Inflation.

Was zeichnet solche guten Unternehmen aus?

Diese Unternehmen bieten zum einen Produkte an, auf die nicht beliebig verzichtet werden kann. Zum anderen müssen sie ihre Kosten unter Kontrolle halten. Aber selbst für Anleger, die in robuste Unternehmen investieren, gilt: Real bleibt deutlich weniger Rendite übrig. Und in Wahrheit ist das Bild ja noch viel düsterer. Wie viel Prozent seines Vermögens hält der Deutsche denn in realen Werten wie Unternehmensbeteiligungen? Da sprechen wir von 0 bis 25%. Das ist natürlich unter den aktuellen Umständen katastrophal.

Reagieren die Notenbanken aber nicht bereits?

Bei fast zweistelliger Inflationsrate ist eine Zins­anhebung um 0,75 Prozentpunkte nun wirklich nicht besonders ergiebig. Und selbst wenn Anleger künftig wieder 0,5% Zins auf dem Festgeldkonto erhalten, trägt das hinten und vorne nicht nennenswert zum Werterhalt des eigenen Vermögens bei.

Die hohe Inflation ist doch aber hauptsächlich angebotsseitig begründet, oder? Stichworte: Energieknappheit und abgerissene Lieferketten.

Da sind wir bei Flossbach von Storch ganz anderer Meinung. Der Auslöser der Inflation ist unserer Ansicht nach ganz klar die Ausweitung der Geldmenge. Ohne Geldmengenausweitung geht nichts in puncto Inflation. Und insbesondere die Maßnahmen der Zentralbanken gegen die Corona-Pandemie haben noch einmal zu einer gigantischen Steigerung der Geldmenge geführt. Die Lieferkettenproblematik und die Angebots-Nachfrage-Situation, die nicht nur bei der Energie in Schieflage ist, waren da natürlich noch weitere Faktoren.

Wie geht es Ihrer Ansicht nach weiter?

Wir werden jetzt in großem Maße Zweitrunden­effekte sehen. In den USA haben wir schon seit einigen Quartalen Arbeitskosten, die um 7% p. a. wachsen. Auch in Europa wird es nicht mehr um 1, 2 oder 3% in den Lohnverhandlungen gehen. Da stehen andere Werte vor der Tür. Und dann folgt das, was wir als 3D-Inflation bezeichnen. Das sind die strukturellen Preisanstiege durch die Faktoren Dekarbonisierung, Deglobalisierung und Demografie. Die Faktoren sind nahezu selbsterklärend. Wir wollen unseren Energieverbrauch reduzieren, damit die Welt ein angenehmer Ort bleiben kann. Wir möchten unsere Abhängigkeiten verringern und – populistisch ausgedrückt – weniger vom Chinesen oder Russen kaufen. Das belastet aber die zuvor angesprochenen Skaleneffekte der Globalisierung. Und nicht zuletzt fehlen aufgrund des demografischen Wandels links und rechts Fachkräfte. Das bedeutet höhere Kosten – insbesondere für Europa, wenngleich die Japaner und die Chinesen ähnliche Probleme haben. Übrigens trifft auch die Dekarbonisierung Europa härter als andere Weltgegenden. Die Amerikaner scheren sich nämlich relativ wenig um CO2-Zertifikate. Die USA haben auch kein Problem mit der Demografie und durch den aufwertenden Dollar importieren sie Deflation. In Europa das Gegenteil. Deshalb wird die EZB auch nicht durchgreifen können. Es gibt hier andere Themen, die die Relevanz der Geldwertstabilität massiv überlagern.

Meinen Sie damit das wirtschaftliche Nord-Süd-Gefälle innerhalb des Euroraums?

Unter anderem. Wenn wir uns anschauen, was Christine Lagarde als ihren Aufgabenbereich definiert hat, bekommt man das Gefühl, ESG und Gender Diversity wären relevanter als das Thema Geldwertstabilität. Damit wir uns nicht falsch verstehen: Das sind politisch relevante und wichtige Punkte. Im Aufgabenfeld einer Notenbank haben sie meiner Meinung nach aber nichts zu suchen. Mit dieser Meinung stehe ich wahrscheinlich aber ziemlich alleine da.

Wie ernstzunehmend ist die Gefahr einer Deglobalisierung aber überhaupt angesichts immer weiter kletternder Handelsvolumen – auch zwischen den USA und der Volksrepublik China?

Berechtigte Anmerkung. Ich bin jedoch davon überzeugt, dass die Deglobalisierung kommen wird. Der Wettbewerb zwischen den USA und China um die Rolle als Führungsmacht der Welt wird sich noch weiter verschärfen. Die Unternehmen haben dagegen überhaupt keine Lust auf Deglobalisierung. Sie streben danach, ihre Gewinne zu maximieren, und da sind Skaleneffekte genau das, was sie haben wollen. Aber die Unternehmen sehen sich auch mit politischen Fakten konfrontiert. Es geht nicht allein darum, ob sie Güter nach Russland liefern wollen oder nicht, sondern auch darum, ob das politisch oder gesellschaftlich akzeptiert würde. Die Politik und auch die Medien werden den Unternehmen immer mehr Bürden auferlegen.

Was für eine Welt erwartet uns geostrategisch in den kommenden Jahren?

Wir gehen davon aus, dass wir einen Eisernen Vorhang 2.0 bekommen. Die Welt wird sich aufteilen zwischen dem Westen – hauptsächlich bestehend aus den USA und Europa – und dem Osten, der hauptsächlich von China dominiert werden wird. Zur Einflusssphäre Chinas wird dann auch der Vasallenstaat Russland gehören. Putin ist definitiv Juniorpartner in dieser Konstellation – mehr nicht. Und Europa wird von dieser Aufteilung besonders hart getroffen werden, denn sie bedroht massiv unser Geschäftsmodell. Gerade für Deutschland – selbst wenn wir mittlerweile nicht mehr Exportweltmeister sind – ist der globale Handel extrem wichtig.

Wenn die Musik künftig in den USA und China spielt und Europa in vieler Hinsicht eine schlechte Ausgangslage hat, sollten Anleger ihr Geld dann nicht hauptsächlich auf die aufstrebende Volksrepublik und die weiterhin mächtigen USA setzen?

Die USA sind zweifellos weiterhin attraktiv. Zu China hingegen: Wenn Anleger Werte wie Nachhaltigkeit, Menschenrechte und Demokratie hochhalten wollen, haben sie in China nichts zu suchen – ebenso wenig wie in Russland. Als die Ukraine von Putin und seinen Truppen überfallen wurde, haben uns viele unserer Kunden gefragt, wie wir nun mit den russischen Positionen im Portfolio umgehen. Wir hatten aber gar keine. In so ein Rechts- und Politiksystem zu investieren, konnten wir unseren Kunden nicht zumuten.

Und wie ist das in Bezug auf China im Portfolio von Flossbach von Storch?

In China waren die Missstände lange nicht so offensichtlich wie in Russland. Bis zur Präsidentschaft von Xi Jinping hatte sich China deutlich in Richtung westliches Wertesystem entwickelt. Davon ist heute nicht mehr viel übrig – spätestens seit der Aufdeckung des Umgangs mit der Minderheit der Uiguren besteht daran kein Zweifel mehr. Ich beschäftige mich auch persönlich sehr intensiv mit China, ich liebe die chinesische Kultur und spreche auch die Sprache ein bisschen. Nichtsdestotrotz war ich immer sehr vorsichtig, was Investments in China betrifft. Wir haben das Gewicht chinesischer Titel in unseren Portfolios mittlerweile auch deutlich reduziert.

Dieses Interview lesen Sie auch in AssCompact 10/2022, S. 56 f., und in unserem ePaper.

Bild: Philipp Vorndran, Flossbach von Storch

 
Ein Interview mit
Philipp Vorndran