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26. April 2024
Klimapolitik und Prävention schützen unseren Wohlstand
House covered with green umbrella to protect it from rain and storm. Flood on the streets. Concept of home insurance. Ai generative

Klimapolitik und Prävention schützen unseren Wohlstand

Die Welt verändert sich. Für viele sind die Auswirkungen des Klimawandels weit in der Zukunft, doch man sollte sich spätestens jetzt fragen: Wie geht man damit um und was kann man dagegen tun? Jörg Asmussen vom Versichererverband GDV analysiert den politischen Handlungsspielraum und den Status quo in der Branche.

Ein Artikel von Jörg Asmussen, Hauptgeschäftsführer des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft e. V.

Das Jahr 2023 war laut EU-Klimaobservatorium das wärmste seit Beginn der Wetteraufzeichnungen. Wahrscheinlich liegen die Temperaturen jetzt erstmals über zwölf Monate hinweg 1,5 Grad über dem vorindustriellen Niveau. Die Meerestemperaturen sind weltweit ungewöhnlich hoch. Die CO2-Konzentration in der Atmosphäre steigt weiter linear an.

Methodisch immer ausgefeiltere Studien zeigen, dass daraus hohe Risiken für die Wirtschaft und den Finanzsektor entstehen können. Daher stehen Umweltrisiken im Global Risks Report des World Economic Forum erneut auf den Top-Plätzen der kurz-, mittel und langfristigen Risiken. Die Europäische Zentralbank und der Europäische Ausschuss für Systemrisiken (ESRB) gehen davon aus, dass Europa weniger als andere Weltregionen direkte Verluste aus Wetterextremen erleiden wird. Die indirekten BIP-Verluste könnten aber zehn Mal so hoch sein, weil Europa wirtschaftlich eng verflochten ist. EZB und ESRB haben deswegen Ende 2023 einen neuen makroprudenziellen Überwachungsrahmen vorgestellt, mit dem sie systemische Klimarisiken im Finanzsystem frühzeitig erkennen und gegensteuern können.

Die Fakten sprechen eine deutliche Sprache: Klimapolitik ist keine politische Strömung, Meinung oder Ideologie. Maßnahmen zur Begrenzung der Klimaerhitzung sind das Gebot der Stunde. Zentral dabei ist der zügige und dauerhafte Abschied von fossilen Energiequellen. Parallel muss schon heute Vorsorge gegen die Folgen der steigenden Temperaturen getroffen werden.

Die Versicherer setzen sich intensiv mit den möglichen Folgen dieser Entwicklungen für ihr Geschäftsmodell auseinander. Die alarmierenden Nachrichten bekräftigen den vom Sektor eingeschlagenen Weg, anhand einer Nachhaltigkeits-Roadmap den erforderlichen Beitrag zur Milderung der Klimakrise und zur Abfederung von deren Folgen zu leisten.

Wo stehen wir mit unseren Anstrengungen?

Im November 2023 hat der GDV den dritten sektorweiten Nachhaltigkeitsbericht veröffentlicht. Dafür wurden erneut zahlreiche Daten bei den Versicherern abgefragt, mit denen die Umsetzung der GDV-­Roadmap dokumentiert wird. Die Indikatoren aus den Bereichen Governance, eigene operative Geschäftsprozesse, Kapitalanlagen, Risikoübernahme und Produkte zeigen ein hohes Engagement der Versicherer, die Ziele der Roadmap zu erreichen.

Was das konkret bedeutet, zeigt das Beispiel der Kapitalanlage,eines der zentralen Beiträge der Versicherer zur nachhaltigen Restrukturierung der Wirtschaft: 90% der Versicherer-Assets werden mittlerweile mit dem langfristigen Ziel der Netto-Treibhausgasneutralität gemanagt. Versicherer mit 70% der Assets haben sich dafür klare Zielpfade gesetzt. Zur Umsetzung nutzen sie vielfältige Ansätze für die an ESG-Kriterien orientierte Kapitalanlage. Für 78 % der Kapitalanlagen verwenden Versicherer inzwischen Ausschlusskriterien, z. B. für Kohle-Unternehmen. Für mehr als die Hälfte der Versicherer-Investments werden anspruchsvolle Konzepte verwendet wie die ESG-Integration, normbasierte Screenings oder Engagement bei Firmen, in die investiert wird.

Damit machen Versicherer auch ihre Hausaufgaben für das Management klimabezogener Risiken. Seit 2022 müssen Versicherer materielle Klimawandelrisiken mithilfe von Szenarioanalysen bewerten. Auf Basis dieser Analysen, auch das zeigt der Nachhaltigkeitsbericht 2023, sieht ein Drittel des Marktes mittelfristig, also zwischen 2028 und 2050, materielle Auswirkungen durch Transitionsrisiken auf das eigene Investmentportfolio zukommen, 13% erwarten zudem materielle physische Risiken für die Kapitalanlagen. Ihre bereits eingeleiteten Strategien und Maßnahmen bewerten viele Versicherer jedoch als angemessen, um diesen Risiken adäquat begegnen zu können.

Die Fortschritte auf dem Weg zu Net-Zero dokumentiert der GDV jährlich als europaweit erster Finanzverband mit dem CO2-Fußabdruck des Sektors: Für das Jahr 2022 betrug er 79 Tonnen CO2 je Million investiertem Euro in gelistete Aktien und Anleihen. Gegenüber dem Vorjahr ist das ein Anstieg um acht Tonnen, der aus Nachhol­effekten nach der Corona-Pandemie und verbesserter Datenverfügbarkeit resultiert. Voraussichtlich wird der Fußabdruck auch in Zukunft deutlichen Schwankungen unterworfen sein. Das liegt an Veränderungen in der Datenbasis und weil weitere Kapitalanlagen wie z. B. Immobilien in die Berechnungen einbezogen werden. Die Weichen haben Versicherer gestellt und nun heißt es: dranbleiben! Der GDV arbeitet mit Hilfestellungen und Austauschformaten daran, die Versicherer bei der Umsetzung der Roadmap auf höchstem fachlichen Niveau zu unterstützen.

Politik in der Pflicht

Wir sehen aber auch etliche politische Stellschrauben, mit denen wir unseren Beitrag zur Restrukturierung vergrößern könnten. So ist das Potenzial für Investitionen in erneuerbare Energien und nachhaltige Infrastruktur bei Weitem noch nicht ausgeschöpft. Mit digitalen Prozessen könnten Behörden und Dienstleister trotz Personalengpässen mehr Prüfanträge für erneuerbare Energien stemmen. Standardisierte und gebündelte Prüfverfahren brächten zusätzliches Tempo und mehr Rechtssicherheit.

Für die Entwicklung und Finanzierung nachhaltiger Infrastruktur wie beispielsweise Strom- oder Wärmenetze müssen öffentlich-private Partnerschaften (ÖPP) dringend aufgewertet werden. Dazu schlagen wir einen institutionalisierten Austausch zwischen Ministerien, Bund, Ländern und Kommunen vor. Auch bei Infrastrukturprojekten würden einheitliche Regelungen zur Genehmigung und Umsetzung helfen. Würde ein Teil der Risiken vom Staat getragen werden, könnte das zusätzliche private Investitionen fördern. Dabei würden Anpassungen bei den Regeln der Förderbanken helfen.

Zudem muss die Politik Sorge dafür tragen, das Zeitfenster für die Anpassung an den Klimawandel nicht zu verpassen. Anpassungsmaßnahmen bei Gebäuden und Infrastruktur könnten laut Studien ca. 220 Mrd. Euro Folgeschäden bis 2050 vermeiden. Eine Versicherungspflicht für Elementarschäden ist hingegen kein gutes Gegenmittel, weil sie keine Risiken reduziert. Eine aktuelle Auswertung des GDV zeigt, dass derzeit rund 323.000 Adressen in einem vorläufig gesicherten oder amtlich festgesetzten Überschwemmungsgebiet bzw. in sogenannten Hochwassergefahrenflächen liegen. Diese Gebäude sind Wohnhäuser, gewerbliche Bauten, landwirtschaftliche oder öffentliche Gebäude.

Das geplante bundesweite Naturgefahrenportal beim deutschen Wetterdienst kann bei der nötigen Aufklärung über Klimarisiken helfen. Für durchschlagender halten wir aber ein bundesweites Bauverbot in Überschwemmungsgebieten, um weitere ruinöse Fehlinvestitionen zu verhindern. Für Bauträger sollte eine Klima-Gefährdungsbeurteilung bei Baugenehmigungen sowie der Einsatz überschwemmungsresilienter Baustoffe verpflichtend werden. Am Ende schützen nur eine substanzielle Abmilderung der Klimaerhitzung und Prävention unseren Wohlstand.

Diesen Beitrag lesen Sie auch in AssCompact 04/2024 und in unserem ePaper.

Bild: © ImageFlow – stock.adobe.com

 
Ein Artikel von
Jörg Asmussen