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12. Oktober 2022
Krankenkasse muss elektrisch unterstütztes Zuggerät finanzieren
Happy young disable man in wheelchair near hand bike.

Krankenkasse muss elektrisch unterstütztes Zuggerät finanzieren

Dass dem Wunschrecht von Behinderten bei der Hilfsmittelversorgung weiter Raum zu gewähren ist, hat das LSG Niedersachsen-Bremen jüngst im Fall eines Mannes entschieden, der ein elektrisch unterstütztes Zuggerät für seinen Rollstuhl bei seiner Krankenkasse beantragt aber nicht erhalten hatte.

Ein 49-jähriger, querschnittsgelähmter Mann war bislang mit einem Aktivrollstuhl nebst mechanischem Zuggerät (Handbike) versorgt. Wegen nachlassender Kraft und zunehmender Schulterbeschwerden beantragte er bei seiner Krankenkasse ein elektrisch unterstütztes Zuggerät.

Krankenkasse: Elektrorollstuhl verursacht weniger Kosten

Die Kasse lehnte den Antrag ab und bot dem Mann stattdessen einen Elektrorollstuhl an. Ein elektrisch unterstütztes Zuggerät möge zwar wünschenswert, hilfreich und sinnvoll sein. Gleichwohl stelle es eine nicht notwendige Überversorgung dar, weil die Basismobilität auch mit einem rein elektrischen Hilfsmittel gesichert werden könne, das nur rund die Hälfte koste, argumentierte die Krankenkasse.

Der Mann lehnte einen Elektrorollstuhl jedoch ab. Eine rein passive Fortbewegung sei für ihn keine adäquate Alternative, da selbst der Medizinische Dienst einen Elektrorollstuhl in seinem Falle als „Zumutung“ bewertet habe.

LSG: Grundbedürfnis der Erschließung des Nahbereichs darf nicht zu eng gefasst werden

Anders als die erste Instanz, das Sozialgericht Oldenburg, hat das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen (LSG) die Kasse zur Kostenübernahme verurteilt. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass ein querschnittsgelähmter Versicherter nicht gegen seinen Willen auf einen rein passiven Elektrorollstuhl zur Erschließung des Nahbereichs verwiesen werden könne, wenn er lediglich eine elektrische Unterstützung benötige. Bei der Prüfung des Anspruchs auf ein solches Hilfsmittel dürfe das Grundbedürfnis der Erschließung des Nahbereichs nicht zu eng gefasst werden.

Dies folge aus einer grundrechtsorientierten Auslegung, den Teilhabezielen des SGB IX und der UN-Behindertenrechtskonvention. Dem Wunsch- und Wahlrecht des behinderten Menschen sei volle Wirkung zu verschaffen. Die Leistung müsse dem Berechtigten viel Raum zur eigenverantwortlichen Gestaltung der Lebensumstände lassen und die Selbstbestimmung fördern. Im Falle des Klägers widerspräche eine nicht gewünschte Versorgung mit einem Elektrorollstuhl dem Selbstbestimmungsrecht des Behinderten, so das LSG. (ad)

LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 13.09.2022 – L 16 KR 421/21

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Bild: © Chudakov – stock.adobe.com