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26. Oktober 2022
Marcel Fratzscher erklärt die aktuellen Krisenzeiten

Marcel Fratzscher erklärt die aktuellen Krisenzeiten

Auf der diesjährigen DKM hat der Präsident des DIW Berlin, Marcel Fratzscher, einen Vortrag über die aktuellen Krisenzeiten gehalten. In seinem Vortrag auf der großen Bühne der Speaker’s Corner ging es hauptsächlich um die Frage, inwiefern die Deutschen anders sparen – und warum vielleicht sogar falsch.

Die Deutschen sparen außergewöhnlich viel, aber in mancher Hinsicht auch einfach nur außergewöhnlich. Das ist einer der Befunde, mit denen der Top-Ökonom Marcel Fratzscher seinen Vortrag auf der großen Bühne der DKM begann.

Rezession unvermeidlich

Lange Zeit galt Deutschland als kranker Mann Europas. Doch darauf folgte ein goldenes Jahrzehnt. Ist das nun vorbei? Ausgemacht sei das im Augenblick noch keineswegs. Deutlich sei laut Fratzscher jedoch, dass das exportorientierte Deutschland sich 2023 mit einer Rezession abfinden müsse.

Fachkräftemangel sorgt für niedrige Arbeitslosigkeit

Die Hoffnung bestehe jedoch darin, dass eine tiefere Rezession verhindert werden könne. Aktuell rechne man nur mit einem Minus von 0,3% bei der BIP-Entwicklung. Was jedoch nicht zu erwarten sei ist, dass die Arbeitslosigkeit wie in früheren Krisen nach oben schnellt. Noch immer suchten alle Sektoren händeringend nach Arbeitskräften, während zwei Millionen Stellen weiterhin unbesetzt blieben.

Krisen zielen nach unten

Zahlreiche Faktoren könnten die Krise jedoch auf mittlere Frist maßgeblich verschärfen, sofern sie sich realisieren sollten. Darunter die weitere Eskalation des Ukraine-Kriegs, ein weiterer Anstieg der Energiepreise oder auch Hungersnöte und Armutswellen. Was viele dieser Krisenfaktoren gemeinsam haben: Sie treffen gerade Menschen mit niedrigem Einkommen besonders hart.

Hohe Vermögensungleichheit

In Deutschland herrsche, so Fratzscher, in puncto Vermögen ohnehin schon eine außergewöhnlich hohe Ungleichheit. Hinzu komme jetzt aber noch die Inflation, die gerade Preisanstiege bei Produkten umfasse, die schlecht eingespart werden könnten – wie Energie und Nahrungsmittel. Aus diesem Grund erfahren Menschen mit niedrigem Einkommen eine drei- bis viermal höhere Inflation.

Anders sparen heißt falsch sparen

Wie kommt es aber zu dieser außergewöhnlichen Verteilung? Laut Fratzscher sparten die Deutschen zwar gern, aber alles in allem eher schlecht. Der Anteil an Immobilieneigentümern ist niedrig, die Quote derjenigen, die direkt in Aktien investiert sind, sei mit 11–12% sogar außergewöhnlich gering. Dabei würden Vermögen im Verhältnis zu Einkommen in Deutschland überhaupt nicht hoch besteuert. Ungewöhnlich sei auch die hohe Belastung des Arbeitseinkommens durch Sozialabgaben. Viele Länder setzten anders als Deutschland auf eine relativ hohe Besteuerung passiver Vermögenswerte – insbesondere die Grundsteuer sei hier zu nennen – und weniger drastisch auf die Einkommenssteuer.

Inflation (vorerst) hier, um zu bleiben

Nach dieser Herleitung der deutschen Sonderrolle, was Vermögen betrifft, wandte sich Fratzscher noch der Frage zu, wie lange die Inflation uns wohl noch erhalten bleiben könnte. Hier hatte der Ökonom zunächst keine positiven Nachrichten. Denn seiner Ansicht nach könnte es dauern, bis man sich in Deutschland wieder dem angepeilten Inflationswerte von 2% annähere.

Mittelfristig 3-4% Inflation

Für das kommende Jahr glaubt Fratzscher beispielsweise, dass die Inflation noch einmal 7–8% erreichen könnte. Auf die kommenden fünf Jahre sei die Sorge begründet, dass sich die Inflation bei 3–4% einpendele. Daran könnte auch die EZB nicht viel ändern. Denn im Augenblick handele es sich im Euroraum um 70% oder mehr importierte Inflation, die sich wenig um niedrige oder hohe Leitzinsen schere. Das nun entschlossene Handeln der EZB sei jedoch trotzdem richtig, meint Fratzscher. Immerhin könne nur so die Erwartung an eine Rückkehr zu niedrigen Inflationswerten in der Gesellschaft verankert bleiben. Das wiederum sei nötig, um das Anstoßen einer Lohn-Preis- bzw. Preis-Lohn-Spirale abzuwenden.

Von der Bundesbank lernen, heißt siegen lernen

Die gute Nachricht ist aber: 3% Inflation sind kein wirtschaftlicher Weltuntergang, so Fratzscher. Die ehrwürdige Bundesbank, die die Deutsche Mark zu einem Musterbeispiel von Hartwährung gemacht hatte, habe Zeit ihres Bestehens bis zur Einführung des Euro nämlich ebenfalls über 3% Inflation akzeptieren müssen. (tku)